Dresden-“Tatort“: Der Täter spielt keine Rolle
Dieser „Tatort“ ist besonders: Der Verdächtige ist der Protagonist, die Ermittler bleiben im Hintergrund. Das erzeugt eine ganz besondere Spannung.
Alles, nur nicht Gefängnis, das ist das Mantra des dieswöchigen „Tatort“-Täters Louis Bürger (Max Riemelt). Verständlich, denn nach eigener Aussage hat er fälschlicherweise drei Jahre hinter Gittern verbracht. Das kostete ihn nicht nur die Zwanziger, sondern auch seine beruflichen Perspektiven. Seit seiner Freilassung treibt sich Louis im kleinkriminellen Milieu rum – weshalb das Jugendamt ihm das Sorgerecht für seinen Sohn entzieht.
Louis will also nicht nur dem Gefängnis fernbleiben, sondern auch seinen Sohn zurück. Ein Mord, sein Nachbar wurde mit einem Baseballschläger kaltblütig erschlagen, schiebt beiden Plänen einen Riegel vor, denn: Louis’ Fingerabdrücke sind auf der Tatwaffe zu finden, ein stimmiges Motiv gibt es ebenfalls. Die Sache scheint klar, Louis muss in U-Haft.
Auf juristischem Weg kommt er nicht frei, davon ist er überzeugt. Deshalb nimmt er sich die Freiheit, die ihm seiner Ansicht nach zusteht, selbst. Mit Hilfe seiner Frau Anna (Katia Fellin) und einer Pistolenattrappe kann er fliehen. Das neue Ziel des Ehepaars: den Sohn aus dem Kinderheim zu holen und ab zum Sehnsuchtsort Kroatien, ein neues Leben beginnen.
Nichts für nebenbei Quatschen
„Die Zeit ist gekommen“ ist ein besonderer „Tatort“, erstens weil der Verdächtige hier der Protagonist ist, während die Ermittler im Hintergrund bleiben. Und zweitens, weil die Frage, wer den Mord tatsächlich begangen hat, kaum eine Rolle spielt. Die wahren Täter werden in zwei kurzen, fast schon unmotiviert hereingeschusterten Szenen enthüllt. Ihr Motiv ist langweilig und platt, und das ist noch euphemistisch beschrieben.
Denn der Fokus des „Tatort“ liegt woanders: Spannung erzeugen. Als die Bürgers ihren Sohn aus dem Heim abholen wollen, umstellt die Polizei das Gebäude. Um zu entkommen, gibt es für sie nur noch eine Möglichkeit: eine Geiselnahme. Die Heimleiterin und eines der Kinder werden mit vorgehaltener Pistole in der Küche des Heims festgehalten. Das Tragische: Louis hätte ohne Flucht und Geiselnahme nie ins Gefängnis gemusst, dass er unschuldig ist, finden die Kommissare letztendlich nämlich auch heraus.
Das Drehbuch findet kluge Wege aus der Patt-Situation einer Geiselnahme heraus, um dann die Spannung wieder anzuziehen. Zuschauer, die nebenbei noch ganz gerne ein wenig quatschen oder am Sonntagabend-Wein nippen, werden hier nicht glücklich. Eher schon diejenigen, die anderthalb Stunden Spannung genießen wollen.
Leser*innenkommentare
RPH
Ein in der Tat besonderer Tatort mit einem sehr guten Max Riemelt. Spannend und unterhaltsam.
APO Pluto
Ich beobachte das Fernsehen seit einiger Zeit unter anderen Gesichtspunkten. Ich frage mich nämlich, verändert das Fernsehen die Gesellschaft. Wie verändert (auch) die Dramaturgie, ohne die Film ja nicht auskommt, uns Menschen.
Ist die heutige Aggressivität fernsehgemacht?
Gestern Abend war wieder so eine Szene.
Warum versuchte die Kommissarin den Jungen unbedingt aus der Küche zu locken, er hatte ja von seinem kurzzeitig im Keller verschwunden Vater keine Gefahr zu befürchten, anstatt die Geisel in Sicherheit zu bringen.
Ich will nicht hoffen, dass die Polizei so vorgeht wie in diesem schnell zusammengeschusterten Drehbuch. Logik scheint hier etwas für Liebhaber antiker Autoren. Und das nicht nur in diesem Krimi.
Wenn ich mir Donald Trump anschaue, kommt mir unweigerlich der Gedanke, er ist ja im Mutterland des Fernsehens sozialisiert worden, in ihm einen deformierten Prototypen dieser von mit angenommenen Veränderung zu sehen.
Ich lese oft, dass Worte zu Taten werden können.
Können immer wiederkehrende Verhaltensmuster, welche der Dramaturgie geschuldet sind, uns verstärkt verändern? Und wo führt es uns hin? Werden wird alle in hundert Jahren Pöbler und Irrlichter sein?
Gibt es dazu Literatur?