Tatort Wald: In Brandenburg ist Holzauktion
Der Diebstahl in den Wäldern hat zugenommen. Wegen steigender Holzpreise ist vor allem Brennholz begehrt. Aber auch der gewerbliche Diebstahl boomt.
Zwei Jahre ist es nun her, dass die Holzdiebe bei Paul Terget zugeschlagen haben. In seiner Gegend haben sie besonders leichtes Spiel. 48,1 Prozent des Landkreises sind mit Wald bedeckt. In der Gemeinde Siehdichum sind es 80,3 Prozent. Zum Vergleich: In Brandenburg sind 37 Prozent der Landesfläche als Wald ausgewiesen, bundesweit sind es 32 Prozent.
Heute denkt Paul Terget, dass er die Diebe vielleicht auch eingeladen hat. Mit der Holzernte hatte er polnische Waldarbeiter beauftragt. Sie haben die Bäume gefällt, auf Länge gesägt und auf einen Polter gestapelt.
Holz war weg
„Anschließend haben wir den Polter vermessen“, erinnert sich Terget, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er sitzt im Büro seines Hofs auf einem der ausgebauten Autositze, die um einen langen Tisch angeordnet sind. Beim Vermessen des Polters habe es Unstimmigkeiten mit dem Verkäufer gegeben, sagt er. Denn Terget ist kein Waldbesitzer, er hat das Holz gekauft, um es irgendwann weiterzuverkaufen. Terget verlangte, dass der Besitzer noch einmal nachmisst. „Und dann war das Holz weg.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte Terget schon bezahlt. 7.000 Euro betrug der Schaden.
Tergets Fall war 2021 einer von sieben, die im Landkreis Oder-Spree zur Anzeige gebracht wurden. In ganz Brandenburg gab es im selben Jahr laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik 74 Holzdiebstähle. Schadenssummer 65.000 Euro.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind die Zahlen gestiegen. Das bestätigt Brandenburgs grüner Umwelt- und Agrarminister Axel Vogel in der Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD. „Vor dem Hintergrund der stark gestiegenen Energiepreise hat der Holzdiebstahl in den Wäldern Brandenburgs in den letzten Monaten sehr zugenommen“, schrieb Vogel im Dezember 2022. Ob allerdings vorwiegend Brennholz geklaut wird oder, wie im Falle von Paul Terget, ganze Polter gestohlen werden, bleibt offen.
Auch Jürgen Gaulke hat da keine Statistik zur Hand. Aber er kennt die Meldungen, die von den Waldbesitzern auf seinem Schreibtisch landen. Gaulke ist der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzer, einem Verband, der vor allem die privaten Waldeigentümer in Deutschland vertritt. „Die Zunahme der Holzdiebstähle“, sagt er in seinem Büro in Berlin-Mitte, „betrifft sowohl den Kleindiebstahl als auch die gewerblichen Diebstähle.“ Auf „fifty-fifty“ schätzt Gaulke das Verhältnis. Die Dunkelziffer sei in beiden Fällen hoch.
Mit schwerem Gerät
Gern erzählt Gaulke die Geschichte vom wohl spektakulärsten Holzraub aus Königs Wusterhausen. Mit schwerem Gerät sei jemand in ein Waldgebiet gefahren und habe 100 Kiefern gefällt. Durch einen Anruf habe der Besitzer von der Tat erfahren. Schnell habe er sich ins Auto gesetzt und den Täter, einen Holzhändler aus Brandenburg, auf frischer Tat ertappt. Der Prozess läuft noch.
„Wir haben im professionellen Bereich sehr oft Auftragsdiebstahl“, weiß Jürgen Gaulke. „Manchmal haben die Banden auch Späher, die sagen: ‚Oh, da ist ein interessanter Eichenbestand, ich frag mal den oder den, ob die das haben wollen.‘ “ Das Holz werde nicht einfach so mitgenommen, betont Gaulke. „So eine Menge muss ja auch wo hingeschafft werden, da braucht es sofort einen Abnehmer.“
Es ist noch nicht lange her, da haben die Waldbesitzer nicht so gern über den Holzklau gesprochen. Man wolle keine schlafenden Hunde wecken, sagten die einen. Andere meinten, das sei gar kein Problem. „Doch das stimmt natürlich nicht“, erklärt Gaulke den Sinneswandel. „Inzwischen ist es ein wichtiges Thema geworden, deshalb haben wir uns auch entschlossen, uns dazu zu positionieren.“
Schwerpunkt des Holzdiebstahls in Deutschland sind laut Waldbesitzer-Verband Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. „In Brandenburg liegt es an der Grenze zu Polen“, sagt Jürgen Gaulke. In Nordrhein-Westfalen sei vor allem der private Holzdiebstahl ein Problem. In vielen Städten im Ruhrgebiet werde noch mit Holz geheizt.
Als die Preise für Gas und Öl durch die Decke gingen, boomte das Geschäft mit den Kaminöfen. Gleichzeitig wurde das Brennholz knapp. „Die Brennstoffhändler waren ausverkauft“, erklärt Jürgen Gaulke. „Und wenn neues Holz kam, war es nach ein paar Stunden weg. Das war im Grunde wie Klopapier. Da wurde gehortet, auf Teufel komm raus.“
Dazu kam der enorme Preissprung um teilweise bis das Fünffache. Spitzenreiter bei der Preisspirale war Köln. Dort wurden statt 70 Euro für den Kubikmeter bis zu 350 Euro bezahlt. Also hätten die Leute gemacht, was sie nach dem Krieg auch getan haben, sagt Gaulke. „Sie sind fringseln gegangen.“ Fringseln, das ist ein Begriff, der auf dem Kölner Kardinal Josef Frings zurückgeht. „Der hat nach dem Krieg seinen Segen gegeben, dass man im Wald Holz sammeln durfte.“
Holzklau ist kein Kavaliersdelikt
Anders als damals ist Holzdiebstahl heute kein Kavaliersdelikt mehr. Auch gibt es keine „haushaltsüblichen Mengen“, die man dem Wald entnehmen darf, wie etwa beim Pilzesammeln. Im Grunde macht sich jeder schuldig, der einen abgebrochenen Ast aus dem Wald nach Hause nimmt.
Für manche kommt dann die böse Überraschung, die inzwischen auch in die Statistiken eingeht. Denn anders als die professionellen Holzdiebe werden die Kleindiebe öfter geschnappt. „Wer mit dem Hackenporsche in den Wald geht, erregt Verdacht“, warnt Gaulke. „Und wer mit dem Auto kommt, muss damit rechnen, dass jemand sein Kennzeichen notiert und den Waldbesitzer anruft. Dann gibt es eine Strafanzeige.“
Fährt dagegen jemand wie in Königs Wusterhausen mit dem Harvester in den Wald oder lädt, wie bei Paul Terget, einen Polter auf den Laster, denkt jeder, das habe schon seine Richtigkeit.
Vom zunehmenden Holzdiebstahl betroffen ist auch Boris Schnittker, Betriebsleiter Forst bei der Stiftung Stift Neuzelle. Mit 9.100 Hektar Waldfläche ist sie eine der größten Waldbesitzerinnen in Brandenburg. Nach der Wende hat die neu gegründete Stiftung viele der Wälder zurückbekommen, die einst dem Kloster Neuzelle gehört hatten.
„Die Diebstähle betreffen vor allem Klein- und Kleinstmengen“, sagt Schnittker. „Wenn mal ein Baum umfällt, ist er zwei Wochen später weg.“ Wegen des zunehmenden Holzdiebstahls seien die Förster und Mitarbeiter der Stiftung angehalten, „eine starke Flächenpräsenz zu zeigen“.
Fälle wie in Königs Wusterhausen hat es bei der Stiftung bislang nicht gegeben. „Was bei uns noch nicht gestohlen wurde, ist Rundholz in großen Mengen“, erklärt Schnittker. Das habe auch mit der Vertragsgestaltung zu tun. „Wir verkaufen das Holz in Selbstwerbung. Das heißt, der Käufer erntet selbst. Mit dieser Vertragsform schützen wir uns selbst vor Holzdiebstahl.“
Dass die Waldeigentümer beim Holzdiebstahl nicht immer die Geschädigten sind, weiß auch Waldbesitzer-Sprecher Gaulke. „Normalerweise ist es so, dass der Waldbesitzer die Waldarbeiter mit der Ernte beauftragt.“ Dann werde es mit dem Harvester geschält und auf Länge geschnitten. Anschließend werde das Holz gestapelt. Sobald das Holz am Wegesrand liegt, gilt die Ware als übergeben. „Dann hat der Waldbesitzer sein Geld“, sagt Gaulke. „Dem Käufer steht es frei, die Ware abzuholen, wann er möchte. In der Regel tut er das aber schnell.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Auf diese Weise schützen sich die Waldbesitzer einigermaßen vor gewerblichem Diebstahl. Doch wie sieht es mit dem Klau von Brennholz aus?
Brandenburgs Agrarminister Vogel hat angekündigt, im Landeswald auf die Holzsammler zuzugehen. „Der Landesbetrieb Forst Brandenburg plant die Brennholzbereitstellung ‚frei Waldweg‘ für Privatpersonen zu erhöhen“, heißt es in der Antwort auf die AfD-Anfrage. Wer für kleines Geld einen Sammelschein erwirbt, kann in den 26 Prozent der 1,1 Millionen Hektar Wald, die dem Land Brandenburg gehören, Brennholz entnehmen.
Holzauktion in Brandenburg also, so wie zum Ende des 19. Jahrhunderts im Berliner Grunewald. Damals hieß es in einem beliebten Gassenhauer: „Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion/Der ganze Klafter Süßholz kost’t ’nen Taler.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten