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Tarifkonflikt bei der CharitéVorwärts – aber langsam

Beim Arbeitskampf bei CFM zeichnet sich eine Lösung ab. Kann Verdi sich durchsetzen, könnte die Gewerkschaftsbewegung einen wichtigen Sieg einfahren.

Gemeinsam gegen Unterbezahlung: CFM-Beschäftigte auf einer Streikdemo Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Blut, Urin, Erbrochenes, gebrauchte Spritzen und Kot – die Reinigung eines Krankenhauses ist keine leichte Aufgabe, berichtet Dobrila, Reinigungskraft bei der Charité Facility Management (CFM) auf einer Streik­demonstration. Ohne sie laufe das Krankenhaus nicht, trotzdem sei das Gehalt mager. „Was glauben Sie, wie ich von 1.500 Euro überleben kann?“, fragt sie rhetorisch die nicht anwesenden Politiker:innen. Mehr als Urlaub am See mit der Familie sei nicht drin, Brot zum Mittag keine Seltenheit. „Bis wir nicht die versprochenen 100 Prozent TvÖD erhalten, werden wir unseren Streik nicht beenden“, verspricht Dobrila.

Seit zwei Monaten sind die rund 3.200 Beschäftigten der Charité-Tochter im unbefristeten Ausstand. Seit Dienstagmorgen verhandelt die Geschäftsführung wieder mit Verdi. Und nach den eher durchwachsenen Tarifabschlüssen bei der BVG und im öffentlichen Dienst stehen die Chancen gut, dass die Gewerkschaftsbewegung bei der CFM als eindeutiger Sieger hervorgeht.

Das Ziel der Beschäftigten, der Zweiklassengesellschaft an der landeseigenen Universitätsklinik ein Ende zu bereiten, ist bereits ein gutes Stück näher gerückt (siehe Kasten). Nach wochenlanger Blockadehaltung stimmte die Unternehmensleitung am 23. Mai einer vollständigen Angleichung der CFM-Gehälter an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvÖD) zu.

„Das ist ein Durchbruch“, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Tim Graumann der taz. Anstatt unterschiedlich bezahlt zu werden, könnten so die unterschiedlichen Beschäftigtengruppen im Haus zu einem Tarifvertrag zusammengeführt werden.

Die schwierige Heimkehr der verlorenen Tochter

Das Unternehmen 2005 ausgegründet, beschäftigt die Charité-Tochter CFM alle Krankenhausmitarbeitenden, die nicht an der direkten Patientenversorgung beteiligt sind: Reinigung, Catering, Patiententransport, Medizintechnik, Hausmeisterdienste und vieles mehr. Insgesamt umfasst das Unternehmen 150 Berufsgruppen.

Die Lücke Als 100-prozentige Tochter eines landeseigenen Unternehmens stünde den Beschäftigten, wie ihren direkt bei der Charité angestellten Kol­le­g:in­nen, ein Gehalt nach dem TvÖD zu. Bezahlt werden sie allerdings deutlich schlechter nach branchenüblichen Tarifverträgen.

Die Wiedereingliederung Die Zusammenführung und damit auch die Bezahlung nach TvÖD ist eigentlich beschlossene Sache, seit 2016 steht sie in allen Koalitionsverträgen. Doch umgesetzt wurde der Schritt nie. Verdi kündigte daher kurzerhand den laufenden Tarifvertrag zum Jahreswechsel auf und versucht, nun zumindest eine Angleichung der Löhne durch einen Tarifkonflikt durchzusetzen. (wah)

Kompromissvorschlag steht

Konkret stimmte die CFM der von Verdi vorgeschlagenen schrittweisen Angleichung an den TvÖD zu. Auch soll der neue Tarifvertrag dynamisch an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gekoppelt werden, damit sich die Lücke nicht wieder in der nächsten Tarifrunde vergrößert.

Allerdings bleiben viele Fragen offen. So kritisiert Verdi die vorgeschlagene Laufzeit von sechs Jahren. „Das ist nicht akzeptabel für die Beschäftigten“, sagt Graumann. Der größte Streitpunkt bei den laufenden Verhandlungen ist, in welche Gehaltsstufen die einzelnen Berufsgruppen eingruppiert werden. So versuche die Charité häufig in niedrigere Gehaltsstufen einzugruppieren als beispielsweise beim ebenfalls landeseigenen Vivantes-Krankenhauskonzern.

Am Sonntag kündigte das Unternehmen die mit Verdi vereinbarte Notdienstvereinbarung auf. Das Unternehmen begründet den Schritt damit, dass wichtige Arbeiten nach mittlerweile 48 Streiktagen nicht weiter aufgeschoben werden könnten. „Daher waren wir gezwungen, von unserem Sonderkündigungsrecht Gebrauch zu machen, um mit Verdi Nachverhandlungen führen zu können“, sagt eine CFM-Sprecherin.

Die Übereinkunft legt fest, wie viele Arbeitskräfte die einzelnen Stationen benötigen, um die grundlegende Patientenversorgung aufrechtzuerhalten. Laut den Beschäftigten ist sie so großzügig ausgelegt, dass sich die Notversorgung vom Normalbetrieb kaum unterscheide. Dass die CFM diese nun kündige, sei ein „Weg, um den Kol­le­g:in­nen das Streikrecht zu nehmen“, kritisiert Graumann.

Langer Atem zahlt sich aus

Dennoch, dass es mit den Verhandlungen überhaupt vorangeht, ist ein Erfolg. „Vor einem Monat war das noch undenkbar“, sagt Marcel, der als Kältetechniker an der Charité arbeitet und Mitglied der Tarifkommission ist. Die Unternehmungs­leitung legte in den ersten Runden nicht einmal ein Angebot vor, 100 Prozent TvÖD sei unmöglich, so die Geschäftsführung zu Beginn des Streiks.

Der Sinneswandel hat vor allem mit politischem Druck zu tun. Neben dem unbefristeten Streik flankieren Ak­ti­vis­t:in­nen den Tarifkonflikt mit einer Plakat- und Spendenkampagne. Regelmäßig suchen Beschäftigte öffentliche Auftritte von Kai Wegner (CDU) auf, um den Regierenden Bürgermeister an das Versprechen der Wiedereingliederung zu erinnern.

Der Stufenplan ist das Ergebnis einer informellen Einigung des Senats, dessen Mitglieder auch den Aufsichtsrat des landeseigenen Unternehmens bilden. Für die Umsetzung sagte der Senat der Charité zusätzliche Mittel zu. Bis Redaktionsschluss konnte die Senats­kanzlei die Summe nicht bestätigen.

„Es gibt einen Auftrag an die Charité, zu einem Abschluss zu kommen“, sagt der SPD-Abgeordnete Sven Meyer. Dass die Charité sich ziert, den vom Senat vorgeschlagenen Kompromiss einer stufenweisen Angleichung umzusetzen, hält der arbeitspolitische Sprecher der SPD für skandalös. „Wenn man den Vorschlag noch weiter runterdrücken will, zeigt man, dass man die Verhandlungen eigentlich nur noch crashen will“, befürchtet Meyer.

Dennoch, es sei der erste Erzwingungsstreik im Sparhaushalt, und dieser könne auch noch zum Erfolg werden, sagt Kältetechniker Marcel. „Darauf sind wir ein bisschen stolz.“

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