Talkrunde Maischberger: Chancengleichheit? Gibt's nicht!
Bei Maischberger theoretisieren Sahra Wagenknecht und ein Wirtschaftsjournalist über arm und reich. Ein 17-jähriger stiehlt ihnen die Show.
Sitzen ein Armer, ein Reicher, zwei Wirtschaftsjournalisten und Sahra Wagenknecht auf einem Sofa. Das könnte ein blöder Witz werden, war aber die Maischbergerkonstellation vom Mittwochabend. Als Thema der Sendung war „Die unfaire Republik: Reiche bevorzugt, Arme benachteiligt?“ angesagt – aber was eine Debatte über ungleiche Chancen hätte werden können, dümpelte recht theorieschwer vor sich hin.
Als Ausgangspunkt der Sendung dienten zwei Meldungen aus der vergangenen Woche: 250.000 neue Millionäre kamen in Deutschland im vergangenen Jahr hinzu. Gleichzeitig hat sich die Erwerbsarmut in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Die Fragen, die die Sendung dazu stellte, zeigten aber schon in welche Richtung die Diskussion gehen sollte: „Profitieren von dem Wirtschaftsboom nur die oberen Zehntausend? Und gelingt es immer noch manchem Superreichen, den Staat um Milliarden Steuern zu betrügen?“ Der Fokus lag auf der Theorie von arm und reich, eine konkretes Gespräch über Armut in Deutschland wurde daraus nicht.
Die Debatte dominierten vor allem Wagenknecht, die ARD-Börsenexpertin Anja Kohl und Rainer Hank, der ehemalige Chef des Wirtschaftsressorts der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung – zumindest was die Redezeit anging. Den meisten Eindruck dürfte bei vielen Zuschauern aber Jeremias Thiel hinterlassen haben, der einzige Unbekannte der Runde und mit 17 Jahren mit Abstand der Jüngste.
Die Sendung stellte ihn mit den Worten „wuchs in Armut auf“ vor, dem Teil seines Lebens, der ihn in den Augen der Redakteure anscheinend für die Sendung qualifizierte. Was dann kam, schilderte er selbst: die Kindheit in einer Familie mit arbeitsunfähigen Eltern, der Vater depressiv. Mit elf die Entscheidung, von zuhause auszuziehen in ein SOS Kinderdorf. Mit 14 Eintritt in die SPD, inzwischen Vollstipendiat an einer internationalen Schule, Ziel: Harvard.
Thiel berichtete eindrücklich von seinen Erlebnissen als Kind und prägte damit den Abend. „Chancengleichheit – Ich glaube das ist ein Begriff der nicht existiert“, erklärte er im Bezug auf seine eigene Kindheit. Der Gesprächsteil über Hartz 4 war für die Runde damit aber abgeschlossen. Es ging sofort weiter – Menschen die arm trotz Arbeit sind, wie kann das eigentlich sein?
Die Linke und der Neoliberale
Als Hank, der Ex-Wirtschaftschef der FAS, seine Expertenmeinung dazu abgeben sollte, kamen erst ein paar Zahlen und dann eine steile These: „Wer einen Vollzeitjob haben will, der wird ihn bekommen. Ich gehe kein hohes Risiko damit ein, wenn ich sage: Jeder wird einen bekommen und auch davon leben können.“ Man sehe das an jeder Bäckerei. Aber gab es diesen Satz nicht schon einmal? Zumindest erinnert er an eine Aussage von Emmanuel Macron, der im September einem Arbeitslosen erklärt hatte, wer wolle, könne sofort einen Job finden – er brauche dafür ja nur einmal über die Straße zu gehen. Macron erntete damals einen landesweiten Shitstorm.
Hank gefiel sich aber sichtlich in seiner Rolle als „der Neoliberale“. Dass er und Wagenknecht nebeneinander auf dem Sofa saßen, sorgte auch für ein paar Kabbeleien den Abend über. Allerdings eher gemäßigte, selbst bei Themen wie Managergehältern, Erwerbsarmut oder der Frage, ob Cum-Cum-Geschäfte denn nun illegal seien.
Die Linke und der Neoliberale schüttelten hin und wieder übereinander den Kopf, waren sich bei einigen Zahlen uneins – das war es dann aber auch. Anja Kohl fungierte als Schlichterin und erklärte hin und wieder, beide hätten Recht.
Selbst Ralf Dümmel, der Unternehmer aus „die Höhle der Löwen“, der als Quotenreicher eingeladen war, erzählte vor allem herzige Geschichten. Wie er vor dem Krankenhaus einmal eine alte Dame beim Pfandsammeln entdeckt hatte zum Beispiel, und dass er gegen Kinder- und Altersarmut auch gerne sofort selbst mehr Steuern zahlen würde. Aber eigentlich ja doch nicht, weil man nicht wisse, was mit dem Geld passiere.
Schwer beeindruckt von Jeremias Thiel machte er dem gleich ein Jobangebot: „Bewerben Sie sich gern“. Der lachte hauptsächlich. Abgesehen von solchen Momenten blieb der Abend aber ein Raum für Theorie über Wirtschaft, sprunghaft in den Themen und vor allem eins: erwartbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen