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„Tagesspiegel“ streicht MedienseiteDie Journalisten-Dinos weinen

Der Berliner „Tagesspiegel“ stellt seine Medienseite ein. Dabei hatte der moderne Medienjournalismus dort seine Anfänge.

Verspricht Hintergründiges: „Tagesspiegel“-Verlagshaus am Askanischen Platz in Berlin Foto: Jürgen Ritter/imago

D ie Süddeutsche hat es getan, die taz sowieso und jetzt folgt auch der Tagesspiegel. Ein neues Blattkonzept muss her. Nicht nur fürs Wochenende, der Tages­spiegel erfindet sich gleich doppelt neu. Ab Dezember ist er „2 in 1“, wie es in der Werbung heißt. Und diese verspricht: „Ab sofort lesen Sie zwei Zeitungen in einer: 40 Seiten aus der Welt. 40 Seiten aus der Weltstadt.“

Wobei mit „Weltstadt“ ganz unbescheiden wohl die Ansiedlung gemeint ist, für die seinerzeit die damalige Tagesspiegel-Schwester Zitty den schönen Slogan „Wir können alles, aber nichts richtig“ vorschlug. Nun soll Berlin also richtig zum Zuge kommen und auch die lang vernachlässigten Bezirke wieder eine gebührende Berichterstattung erfahren.

Klingt gut? Na ja, geht so. Denn der Tagesspiegel verspricht „mehr“ aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, ja ganz einfach „mehr aus dem Leben“. Aber die Medien lässt er weg. Genauer gesagt, seine ziemlich renommierte Medienseite. „Ja, da weinen nun alle Dinos unter sich. Wer sich nicht agil bewegen kann, fliegt beim Zeitungstanz frühzeitig raus“, meint die Mitbewohnerin.

Allerdings hat mit genau dieser Medienseite beim Tagesspiegel in der 1980er Jahren der moderne Medienjournalismus angefangen. Er wollte mehr sein als TV-Programmvorschau. Jetzt verspricht das Blatt augenzwinkernd „mehr Serien“. Und es heißt natürlich, die Medienthemen würden selbstverständlich weiterhin behandelt. Aber eben dort, wo sie hingehören, Medienpolitik in der Politik, Finanzlöcher beim RBB in der Wirtschaft oder im Lokalen usw.

Zusammenhänge gehen verloren

Kann das funktionieren? Im Prinzip ja, würde Radio Eriwan jetzt sagen. Bloß die hinlänglich bekannten Beispiele wie Zeit und Spiegel zeigen, dass der Umfang der Berichterstattung arg schrumpft. Wenn die verlässliche Abwurfstelle für Medienthemen wegfällt, haben die es weitaus schwerer, ins Blatt zu kommen. Keine Ahnung, ob es darüber wissenschaftliche Untersuchungen gibt. Aber nach dem Bauchgefühl verschwinden dann drei Viertel der Themen, vor allem die kleinen. Und die Zusammenhänge gehen verloren, die eine Medienseite beispielsweise zwischen TV-Programm, Wirtschaft und Politik herstellen kann. Oder zwischen mancher Springer-Berichterstattung und der Frage, wie Dr. Döpfner geschlafen hat.

Mit der Auflösung eines Fachressorts fehlt irgendwann auch die Expertise. Dann ist keineR mehr Ex­per­t*in und ständig am Ball. Mit dem Versprechen „mehr Expert*innen“, das auch so ein Jingle im Werbeblock für den neuen Tagesspiegel ist, passt das nicht zusammen. Anders als das olle Blattmotto „Rerum cognoscere causas“, das ja zutiefst Hintergründiges verspricht, wirft die Neuerfindung des Blattes so garantiert keinen Doppelgewinn ab.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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