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Tänzerinnen über Johann Kresnik„Er hatte eine irre Energie“

Johann Kresnik begründete in Bremen nach 1968 modernes Tanztheater. Ende Juli starb er. Zwei Tänzerinnen sprechen über sein Erbe

Johann Kresnik 2007 bei den Proben zu „Amerika“ im Bremer Güterbahnhof Foto: dpa
Interview von Jan Zier

taz: Frau Härtel und Frau Davenport, der Tänzer, Theaterregisseur und Choreograf Johann Kresnik ist am 27. Juli gestorben. Ist damit auch das kämpferische, politische Tanztheater tot – oder war es das vorher schon?

Heide-Marie Härtel: Er hinterlässt auf jeden Fall eine große Lücke! Ich würde mir sehr wünschen, dass jemand uns als ZuschauerInnen mit dieser Direktheit anspricht, die seine Stücke hatten. Es gibt ja Anlässe und Themen genug! Ich hätte es gut gefunden, wenn er zum Beispiel noch ein Stück gemacht hätte mit den Kids, die bei „Fridays for Future“ auf die Straße gehen. Aber außer der Choreografin Yoshiko Waki sehe ich gerade niemanden, der in seiner Art und Weise arbeitet.

Hat sich das überlebt?

Jacqueline Davenport: Auf keinen Fall. Heute versuchen das zwar manche – doch bisweilen wirkt es dann plump. Kresnik dagegen hatte die Begabung, diese starken, beeindruckenden Bilder glaubwürdig herzustellen.

Kresnik hat im Bremen einst das moderne Tanztheater begründet – er nannte das „choreografisches Theater“. Was ist damit gemeint?

Härtel: Es ging ihm weniger darum, einen neuen tänzerischen Stil zu kreieren. Der Fokus lag vielmehr darauf, alle theatralen Mittel für den Tanz zu nutzen und den Tanz als eigenständige Sparte des Theaters zu etablieren.

Davenport: Damals sprach man immer noch vom Ballett. Wir waren uns einig: Irgendwann muss das aufhören! Diese Spannung bei Kresnik, bei dem ich mal in Spitzenschuhen und mal in Stiefeln oder barfuß getanzt habe, fand ich enorm gut. Bei der Namensgebung haben wir als Tänzer auch mitgewirkt.

Im Interview: 

69, erhielt ihre Ballett­ausbildung an der Royal Ballet School in London und kam 1970 als Tänzerin nach Bremen. Ihre erste Kresnik-Produktion war „Kriegsanleitung für jedermann“. 1986 wurde sie Ballettmeisterin am Theater Bremen.

War das klassische Ballett in der Krise, als Kresnik 1968 in die Tanzprovinz Bremen kam?

Davenport: Ich glaube nicht. Hans, der ein fantastischer Tänzer war und tolle Pirouetten drehen konnte, hatte es einfach satt, immer nur Frauen hochzuheben und über die Bühne tragen.

Für ihn war Ballett „handlungsfreier Mist“.

Härtel: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte niemand Probleme auf der Bühne sehen. Einige Vertreter des Ausdrucks­tanzes waren auch in den Faschismus eingebunden. Im Zuge der 68er-Bewegung gab es dann dieses Unwohlsein: Das kann nicht alles gewesen sein. Der Bremer Intendant Kurt Hübner hat mit dem Engagement von Zadek, Stein, Fassbinder etc. neue Wege gesucht, dem zu begegnen. Kresnik passte in dieses Konzept.

War es ein historischer Zufall, dass gerade hier das modernen Tanztheaters entstand?

Härtel: Auf keinen Fall. In Heidelberg, Köln oder Berlin könnte ich mir das in der damaligen Zeit nicht vorstellen. Zudem war Bremen wegen der „roten Uni“ reizvoll. Er hat sich das getraut – und kannte Bremen schon als Tänzer.

Im Interview: Heide-Marie Härtel

69, absolvierte eine klassische Tanzausbildung in Köln – sie kam 1971 ans Theater Bremen – und ein Studium der Kulturwissenschaften. 1988 gründete sie das Deutsche Tanzfilminstitut.

Mit 29 wurde er hier Ballettdirektor, da war das Theater Bremen etwa im Schauspiel schon voller Ikonen. Wie passte das zusammen?

Härtel: Es war nicht so einfach – er ist hier stark gefordert worden, etwas Spezielles zu machen. Er musste liefern. Im Gegensatz zu Pina Bausch, der Arno Wüstenhöfer mehrere Jahre Zeit gegeben hat, das Publikum zu erobern.

Davenport: Alle, die damals hier in Bremen am Theater waren, wollten in ihrem Bereich etwas ganz anderes machen.

Warum wollten Sie bei ihm tanzen?

Davenport: Für mich war spannend, was hier passierte. In Frankfurt, wo ich vorher war, hatte ich ohne Ende den „Nussknacker“ von Tschaikowski getanzt, Kresnik hatte ein großes Charisma. Er hat uns alle mit an unsere Grenzen genommen, schon beim Vortanzen.

Härtel: In Köln hatte er 1968 das Stück „Paradies“ gemacht, in dem er das Attentat auf Rudi Dutschke thematisierte. Das war für mich das Stichwort – wir gingen damals auf die Straße, fanden aber die Brücke nicht: Was können wir tun, damit sich der Tanz einmischen kann? Als ich sagte „Ich will zu Kresnik!“ sagten vor allem die eigenen Kommilitonen: „Wofür haben wir so viel klassischen Tanz gelernt?“

Damals hieß es „Ballett kann kämpfen!“. War das Ihr Wunsch?

Härtel: Meiner in jedem Fall. Aber das war nicht bei jedem so ausgeprägt. Ich ging in meinen Pausen an die Uni, zu Schulungen über Marx’ Kapital. Und nicht zu vergessen: Das war zu Beginn der 70er-Jahre. Mitbestimmungsmodelle hatten auch das Theater erreicht.

Er war klar marxistisch geprägt. Hat er diese Haltung auch von seinen TänzerInnen erwartet?

Härtel: Nein. Es gab das Gerücht, er hätte Leute nach dem Parteibuch engagiert – aber das glaube ich nicht. Seine Tänzer mussten vor allem ein gutes Handwerkszeug mitbringen.

Bergbauernsohn Kresnik war – anders als Sie – nie auf einer Ballettschule und sagte, er habe das nicht gebraucht. Stießen da nicht Welten aufeinander?

Davenport: Kresnik war als Tänzer ein Naturtalent und er hatte sehr gute Ballettlehrer. Mir hat er mal erzählt, er ging zum Ballett, weil er näher an den Frauen sein wollte.

Seine Stücke waren von großer Wut getragen, oft aggressiv und von Gewalt geprägt. Wie muss man sich da die Zusammenarbeit mit ihm vorstellen?

Härtel: Es war oft heftig und auch anspruchsvoll – er hat einem alles abverlangt, man musste viel Mut beweisen. Besonders überzeugend war, dass er die gefährlichen Sachen alle auch selbst vorgemacht hat. Er war unglaublich schnell in der Kreation, er war ein Magnet. Seine künstlerischen Bezugsfelder finden wir eher bei Kurt Jooss, dem Folkwang-Mitbegründer, bei dem sogenannten „roten Tänzer“ Jean Weidt und bei den Wiener Aktionisten wie Otto Mühl oder Hermann Nietsch, nicht in der Ballettentwicklung.

Hat er seine TänzerInnen nicht auch mal angeschrieen?

Davenport: Sein Fordern war ein Anfeuern. Es ging nicht darum, dabei unsere Grenzen zu überschreiten. Er hatte einfach eine irre Energie!

Wie war er privat?

Davenport: Er hatte ein riesiges Herz!

Härtel: Es hatte natürlich auch eine ganz weiche, zärtliche Seite, gerade mit seinen Kindern.

Wie hat das Bremer Publikum damals auf ihn reagiert?

Härtel: Es gab viel Buh-Rufe, und Leute, die das ganz schrecklich fanden. Wenn es ihm mal nicht genügend Buh-Rufe waren, wollte Kresnik nach der Premiere zum Applaus manchmal gar nicht noch mal auf die Bühne kommen.

Wie reagierten die TheaterkritikerInnen?

Härtel: Extrem unterschiedlich und sehr polarisierend. Eine Zeit lang waren wir stolz, wenn wir in ihren Umfragen als „das schlimmste Tanzereignis des Jahres“ geehrt wurden. Die Medienresonanz war groß.

Kresnik war der Auffassung: Wenn sich niemand aufregt, hat er was verkehrt gemacht. Wenn das der Maßstab ist, ist heute vieles langweilig.

Härtel: Danke! Das muss ich leider bestätigen. Natürlich kann man den heutigen Perfektionismus in der Tanztechnik-Entwicklung sehr genießen! Aber für mich ist es ein Problem, dass es keine Kontinuität in der inhaltlichen Arbeit gibt, wie er sie gemacht hat. Heute ist im Tanztheater vieles verblasst und orientiert sich meines Erachtens zu stark an der bildenden und der Performance-Kunst. Damit verliert der Tanz zu oft die Möglichkeit, den Körper in den Kampf zu werfen.

Waren Gewalt, Sex und Obszönitäten in den Stücken je ein Problem für Sie?

Härtel: Er hat auch akzeptiert, wenn man Nein gesagt hat. Wir haben zum Beispiel anfangs gesagt: Wir ziehen uns nicht aus auf der Bühne.

Davenport: Ich fühlte mich dabei nie benutzt. Es diente ja der Aussage des Stückes.

Heute gilt Pina Bausch vielen als Säulenheilige des modernen Tanztheaters, 1973 wurde sie Leiterin der Ballettsparte an den Wuppertaler Bühnen. Wie war das Verhältnis der beiden?

Davenport: Sie haben sich gegenseitig respektiert.

Härtel: Während Kresnik sich um Themen gekümmert hat, die in Deutschland aktuell waren, waren ihre Arbeiten unpolitischer, dafür anderswo in der Welt besser zu vermitteln.

Hat es für das Tanztheater in Bremen noch eine Bedeutung, an diesem Ort zu sein, an dem einst alles begann?

Härtel: Es könnte eine haben! Am städtischen Theater machen sie im Tanz zwar künstlerisch sicher wertvolle Dinge, aber es hat kaum noch überregionale Bedeutung für die Sparte. Auch die Kulturpolitik ist sehr zögerlich etwa bei der finanziellen Unterstützung der stark entwickelten freien Tanzszene. Man muss fast betteln, damit alle drei Jahre ein Tanz-Festival stattfindet, das es in Städten vergleichbarer Größe jedes Jahr gibt. Im Ausland wusste man früher viel besser, was hier passierte.

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