Täglicher Verbrauch auf Rekordhoch: Ungebrochener Öldurst
Der weltweite Verbrauch hat die Marke von 100 Millionen Barrel täglich überschritten. Die Zahl der neuen Ölfunde nimmt drastisch ab.
In ihrem letzten „Oil market report“ hat die Internationale Energie-Agentur (IEA) die magisch anmutende Zahl bestätigt. Im vierten Quartal 2018 wird die Ölnachfrage von der in Paris sitzenden Agentur auf „100,1 Mio. barrel per day“ beziffert. Im täglichen Nachrichtengewitter ist die Zahl bisher untergegangen. So hat die Menschheit vollkommen geräuschlos genullt und damit eine Marke erreicht, die gleichermaßen eindrucksvoll wie beängstigend ist. Wie kann diese gigantische und weiter steigende Ölnachfrage auf Dauer befriedigt werden?
Die IEA hat angesichts des weiter steigenden Verbrauchs die Endlichkeit des Öls unmissverständlich thematisiert. In einem zum Jahresende veröffentlichten fünfseitigen Kommentar zur künftigen Ölversorgung werden in ungewohnter Schärfe künftige Versorgungslücken beschworen. Schon die Überschrift ist ziemlich drastisch: „Wenn wir auf die Zahlen blicken – steht uns ein Ölversorgungsschock bevor?“
Die beiden Autoren, Tim Gould und Christophe McGlade, sind in der IEA für Zukunftsszenarien der Ölversorgung verantwortlich. Sie sagen einen weiteren Anstieg des Ölverbrauchs von täglich 7,5 Millionen Barrel bis 2025 voraus. Doch im selben Zeitraum – so ihre Befürchtung – könnte die Versorgung dramatisch einbrechen, wenn nicht in neue Felder und in die Ausbeutung existierender Felder massiv investiert werde. Bei einer Fortschreibung des gegenwärtig niedrigen Investitionsniveaus werde sich eine Versorgungslücke von 35 Millionen Barrel auftun.
Neufunde an Ölfeldern auf historischem Tief
Was die Autoren nicht sagen: Der dringend notwendige, zusätzliche Investitionsschub erscheint illusorisch, zumal in den vergangenen Jahren die Neufunde an Ölfeldern ein historisches Tief erreicht haben. 2018 wurde so wenig neues Öl entdeckt wie nie zuvor seit 1947. Schon seit den 1960er Jahren nimmt die Rate der Ölfunde ab. Seit den 1980er Jahren sind die Neufunde deutlich geringer als der steigende Ölverbrauch. Der wird immer noch zu großen Teilen aus der Ausbeutung alter Felder gespeist, die teilweise vor mehr als 50 Jahren entdeckt worden sind (siehe Grafik).
Selbst bei einer künftig optimalen Entwicklung des Sektors mit kräftigen Zuwächsen beim Abbau von Ölsanden, selbst bei einer Inbetriebnahme zahlreicher neuer Ölfelder und zusätzlicher Fracking-Projekte außerhalb der USA bliebe, so rechnen die Autoren vor, immer noch eine Versorgungslücke von 11 Millionen Barrel täglich.
Einziger Hoffnungsträger für die IEA-Experten ist das Fracking der USA. Mit einem steilen Anstieg der US-Produktion könnte die Versorgungslücke theoretisch geschlossen werden. Dazu müsste sich die gegenwärtige Förderung aus dem Schiefergestein in Texas, New Mexico, North Dakota und Pennsylvania aber mehr als verdoppeln.
Die Autoren beziffern die aktuelle US-Förderung durch Fracking auf 9,5 Millionen Barrel täglich. Sie müsste bis 2025 auf 20 Millionen ansteigen. Dies würde bedeuten, so der IEA-Kommentar, dass die US-Förderung noch um die Menge der derzeitigen Ölförderung ganz Russlands steigt, sich also faktisch mehr als verdoppelt.
Dazu sei „ein Ausmaß an Investitionen und eine Zahl an Bohrungen nötig, die alle bisherigen Höchststände weit übertreffen müsste“, heißt es in dem IEA-Papier weiter. Die beiden Wissenschaftler lassen keinen Zweifel daran, dass dieses Szenario ziemlich fantastisch erscheint.
Es sei auffällig, dass dieser Kommentar nach der üblichen Jahrespräsentation des Welt-Energie-Outlooks der IEA im November noch nachgeschoben wurde, sagt der Münchner Energie-Wissenschaftler Jörg Schindler, Autor zahlreicher Fachbücher zum Öl. „Das zeigt die Dringlichkeit der Botschaft.“ Schindler erinnert gleichzeitig an den Schuldenberg von 300 Milliarden Dollar, den die US-amerikanischen Fracking-Firmen angehäuft hätten. Deshalb sei in den USA eine neue gewaltige Investitionswelle, um künftige Versorgungslücken zu schließen, illusorisch.
Der IEA-Kommentar, so Schindler, „sagt in aller Klarheit, dass Peak-Oil vor der Tür steht; wir müssen künftig mit sehr viel weniger Öl auskommen, und wir sind nicht darauf vorbereitet.“Tatsächlich ist Erdöl nach zwei Jahrzehnten Energiewende auch in Deutschland immer noch der wichtigste Energieträger. Der Verkehr ist fast vollständig vom fossilen Öl abhängig – auf den Straßen, zu Wasser und in der Luft.
Auch Förderung des Nordsee-Öls geht zurück
Die in den 1990er Jahren von Geologen mit wachsender Sorge geäußerten Warnungen vor einem bevorstehenden Maximum der globalen Ölförderung und anschließendem Rückgang war durch den unvorhergesehenen Fracking-Boom der USA ab 2005 kaschiert und konterkariert worden.
Die Zahl 100 Millionen Barrel täglich ist streng genommen nicht ganz korrekt. Denn in der Menge befinden sich auch Flüssigkeiten, die eher Pseudo-Öl sind. So werden unter die Zahl auch Biodiesel und Ethanol subsumiert oder die bei der Erdgasförderung gewonnenen flüssigen Kondensate namens Natural Gas Liquids, deren Energiegehalt nur 70 Prozent des richtigen Rohöls ausmacht. Auch die als Nebenprodukt bei der Verarbeitung von Öl anfallenden Zugewinne aus Raffinerieprozessen werden mitgerechnet. Damit wird ein zusätzliches Energieangebot suggeriert, weil zur Herstellung dieses Nebenprodukts mehr Energie verbraucht als gewonnen wird.
Die großen Fracking-Erfolge hatten verdeckt, dass die konventionelle Ölförderung aus einfacher zugänglichen Feldern schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts weltweit den Höhepunkt erreicht und in diesem Jahrzehnt tatsächlich überschritten hat. Ein gutes Beispiel dafür ist das Nordsee-Öl, dessen Förderung seit der Jahrhundertwende trotz höchster Anstrengungen zurückgeht.
„Es wird offensichtlich, dass die Fracking-Produktion der USA den weltweiten Rückgang der konventionellen Ölförderung auf Dauer nicht ausgleichen kann“, sagt der Fracking-Wissenschaftler Werner Zittel. „Das mit Fracking gewonnene Öl aus dichtem Gestein war der verzweifelte Versuch der Branche, den Niedergang des Ölzeitalters um jeden Preis noch ein paar Jahre hinauszuschieben, nachdem in fast allen Regionen mit konventioneller Ölförderung die Förderraten zurückgehen“, so Zittel zur taz.
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