TV-Diskussion um Orlando-Hintergründe: Verbrechen, Terror, Irrsinn?
Eine britische TV-Runde diskutierte das Massaker. Der Kolumnist Owen Jones wehrte sich gegen Relativierungen – und verließ wütend das Studio.
Ist es offenbar doch. Moderator Mark Longhurst wollte mit der Journalistin Julia Hartley-Brewer und Owen Jones das Blutbad von Orlando einordnen und über die Berichterstattung der Presse diskutieren (das volle Video der Sendung bis zum Abgang von Owen Jones). Doch genau bei der Interpretation des Angriffs gab es Meinungsunterschiede: Ein Hassverbrechen? Ein Terrorakt? Der Amoklauf eines Irren?
Hitzig wurde die Diskussion, als Longhurst seine Gesprächspartner um eine Einschätzung bat: „Die Frage ist, ob es ein Hassverbrechen war oder im Namen einer Religion begangen wurde.“ – „Beides!“, fuhr Jones dazwischen. „Wir sollten versuchen, zwischen den beiden zu unterscheiden“, sagte Longhurst weiter, und Jones entgegnete erregt: „Wenn er in eine Synagoge gegangen wäre und unschuldige jüdische Menschen umgebracht hätte, hätten wir ihn als widerlichen antisemitischen Terrorist bezeichnet. Dies war genauso ein homophobes Hassverbrechen wie Terrorismus!“
Auch Julia Hartley-Brewer verwendete bei der Beschreibung des Attentäters immer wieder das Wort „lunatic“ („Irrer“), dies habe auch dessen frühere Lebensgefährtin bestätigt. Hartley-Brewer räsonierte: „Wenn du 50 Leute tötest, bist Du ein Irrer!“ Und Jones entgegnete: “Hör auf, das Wort „Irrer“ zu benutzen! Das war eine homophobe terroristische Attacke!“
Die besondere Bedeutung von LGBT-Clubs
Vorher hatte Jones versucht, den beiden offen heterosexuellen Kolleg_innen zu erklären, was diese Attacke für LGBT-Menschen bedeutet: „Die Leute gehen in solche Clubs, um Spaß zu haben, zu trinken, Party und so weiter. Aber es sind auch Orte der Solidarität, der Freundschaft und der Liebe.“ Richard Kim hat das für The Nation gut aufgeschrieben.
Doch die besondere Bedeutung von LGBT-Clubs für eine Minderheiten-Community ging an den beiden Talk-Partnern vorbei, obwohl Owen Jones sie geradezu beschwor: „Wir müssen das als das bezeichnen, was es ist: eine absichtliche Attacke auf LGBT-Leute an einem LGBT-Ort!“ – „Auf die Freiheit aller Leute!“, versuchte Longhurst zu verallgemeinern, doch Jones blieb bei seinem Fokus: „Sie verstehen das nicht, Sie sind nicht schwul!“ – „Es spielt keine Rolle, ob ich schwul bin!“
Jones verwies mehrfach darauf, dass es in den Medien zu wenige Stimmen von LGBT-Leuten gebe. Als in der Presseschau dann doch ein Vertreter der Organisation „Stonewall“ zitiert wurde, quasi als Feigenblatt des Ganzen, warf Owen Jones hin und verließ die Runde.
Hinterher gab es in den sozialen Netzwerken einige Anfeindungen für die Beteiligten, Julia Hartley-Brewer wurde Homophobie vorgeworfen. Sie wehrte sich via Twitter: „Ich habe nichts gesagt, wofür ich mich entschuldigen müsste.“ Und: „50 Leute wurden ermordet, einfach weil sie schwul waren. Ich glaube, darüber sollten wir wütend sein, nicht über eine vermeintliche Beleidigung in einer TV-Show.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung