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TV-Diskussion um Orlando-HintergründeVerbrechen, Terror, Irrsinn?

Eine britische TV-Runde diskutierte das Massaker. Der Kolumnist Owen Jones wehrte sich gegen Relativierungen – und verließ wütend das Studio.

Fassungslos: der britische Kolumnist Owen Jones (Archivbild) Foto: imago/Images

Berlin taz | „Ich habe genug!“, ruft Owen Jones wutschnaubend, reißt sich das Mikrophon vom Revers und stapft davon. Die Frage, wie das Massaker von Orlando zu interpretieren sei, sorgte im britischen Fernsehen gestern Abend für einen Eklat. Jones fasste später in einem Tweet zusammen: „Orlando war sowohl eine terroristische Attacke als auch eine homophobe Atttacke auf LGBT-Leute – das ist wirklich nicht schwer zu verstehen.“

Ist es offenbar doch. Moderator Mark Longhurst wollte mit der Journalistin Julia Hartley-Brewer und Owen Jones das Blutbad von Orlando einordnen und über die Berichterstattung der Presse diskutieren (das volle Video der Sendung bis zum Abgang von Owen Jones). Doch genau bei der Interpretation des Angriffs gab es Meinungsunterschiede: Ein Hassverbrechen? Ein Terrorakt? Der Amoklauf eines Irren?

Hitzig wurde die Diskussion, als Longhurst seine Gesprächspartner um eine Einschätzung bat: „Die Frage ist, ob es ein Hassverbrechen war oder im Namen einer Religion begangen wurde.“ – „Beides!“, fuhr Jones dazwischen. „Wir sollten versuchen, zwischen den beiden zu unterscheiden“, sagte Longhurst weiter, und Jones entgegnete erregt: „Wenn er in eine Synagoge gegangen wäre und unschuldige jüdische Menschen umgebracht hätte, hätten wir ihn als widerlichen antisemitischen Terrorist bezeichnet. Dies war genauso ein homophobes Hassverbrechen wie Terrorismus!“

Auch Julia Hartley-Brewer verwendete bei der Beschreibung des Attentäters immer wieder das Wort „lunatic“ („Irrer“), dies habe auch dessen frühere Lebensgefährtin bestätigt. Hartley-Brewer räsonierte: „Wenn du 50 Leute tötest, bist Du ein Irrer!“ Und Jones entgegnete: “Hör auf, das Wort „Irrer“ zu benutzen! Das war eine homophobe terroristische Attacke!“

Die besondere Bedeutung von LGBT-Clubs

Vorher hatte Jones versucht, den beiden offen heterosexuellen Kolleg_innen zu erklären, was diese Attacke für LGBT-Menschen bedeutet: „Die Leute gehen in solche Clubs, um Spaß zu haben, zu trinken, Party und so weiter. Aber es sind auch Orte der Solidarität, der Freundschaft und der Liebe.“ Richard Kim hat das für The Nation gut aufgeschrieben.

Doch die besondere Bedeutung von LGBT-Clubs für eine Minderheiten-Community ging an den beiden Talk-Partnern vorbei, obwohl Owen Jones sie geradezu beschwor: „Wir müssen das als das bezeichnen, was es ist: eine absichtliche Attacke auf LGBT-Leute an einem LGBT-Ort!“ – „Auf die Freiheit aller Leute!“, versuchte Longhurst zu verallgemeinern, doch Jones blieb bei seinem Fokus: „Sie verstehen das nicht, Sie sind nicht schwul!“ – „Es spielt keine Rolle, ob ich schwul bin!“

Jones verwies mehrfach darauf, dass es in den Medien zu wenige Stimmen von LGBT-Leuten gebe. Als in der Presseschau dann doch ein Vertreter der Organisation „Stonewall“ zitiert wurde, quasi als Feigenblatt des Ganzen, warf Owen Jones hin und verließ die Runde.

Hinterher gab es in den sozialen Netzwerken einige Anfeindungen für die Beteiligten, Julia Hartley-Brewer wurde Homophobie vorgeworfen. Sie wehrte sich via Twitter: „Ich habe nichts gesagt, wofür ich mich entschuldigen müsste.“ Und: „50 Leute wurden ermordet, einfach weil sie schwul waren. Ich glaube, darüber sollten wir wütend sein, nicht über eine vermeintliche Beleidigung in einer TV-Show.“

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6 Kommentare

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  • Artikel: "„Beides!“, fuhr Jones dazwischen."

     

    Und zu Recht. Denn die vorangehende Frage sollte offenbar die Unvereinbarkeit von Religion und Hass implizieren. Die Religion als Quelle von Hass sollte ausgeschlossen werden.

  • Gut das er aufgestanden ist, unglaublich die Nummer!

  • Ganz offensichtlich doch. Julia Hartley-Brewer scheint zu den Leuten zu gehören, für die es einen riesigen Unterschied macht, ob sie persönlich involviert sind.

     

    Wäre es anders, hätte die "offen heterosexuell[e]" Journalistin Julia Hartley-Brewer womöglich gerafft, dass ihr Kollege Owen Jones angesichts dieser Attacke auf Solidarität gehofft hat, auf ein Bekenntnis. Hartley-Brewer hat ihm genau diese Solidarität, dieses Bekenntnis öffentlich verweigert. Auch, wenn sie nur um journalistische Objektivität bemüht gewesen sein sollte – in seiner Erregung musste Owen Jones einen negativen Subtext mithören.

     

    Diese Weigerung war ein Affront. Nicht gegen jeden, aber doch gegen jemanden wie Owen Jones. So viel zur angeborenen Empathie-Fähigkeit von Frauen – und Schwulen. Im Affekt geht offensichtlich jede Fähigkeit verloren, seinem Gegenüber etwas anderes zu unterstellen als Aggression und Feindseligkeit. Wer sich angegriffen fühlt, schaltet automatisch in einen blinden Verteidigungsmodus um, und zwar unterschiedslos gegen jeden. Auch das macht Terror so extrem gefährlich: Teile und herrsche.

     

    Nein, Hartley-Brewer muss nicht homophob sein. Sie kann auch blind (gewesen) sein vor lauter professioneller Beflissenheit. 50 Leute wurden ermordet, weil sie schwul, lesbisch oder mit Schwulen bzw. Lesben befreundet waren. Darüber wütend zu sein, hilft weder denen, die noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen sind, noch den Opfern. Das ist ja gerade das "Irre" an homophoben terroristischen Attacken: Sie sind vernünftig nicht erklärbar.

     

    Ein Hassverbrechen? Ein Terrorakt? Ein Massenmord im Namen einer Religion? Der Amoklauf eines Irren? Diese Tat war vermutlich von all dem etwas. Mehr noch: Sie war auch ein Symptom. Dafür, dass in dieser Gesellschaft vieles nicht gut funktioniert. Wo es so sehr ums Rechthaben und Rechtbehalten geht, ist Kommunikation halt reine Glück- oder wie in diesem Fall halt: Pechsache.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      In Gesellschaften, die den Inbegriff von Freiheit nicht positiv, sondern bloß negativ besetzen als Abwesenheit von Grenzen für den Willen des Einzelnen, ist solch eine Tat als extreme Ausformulierung dieser "Freiheit" "folge-richtig".

       

      Vernünftig ist sie natürlich in keiner Weise, denn Vernunft würde es trotz äußersten Unbehagens vermögen, auf den positiven Begriff von Freiheit zu rekurrieren und eine solche Tat nicht in die Vorstellung einlassen, geschweige denn durchführen.

       

      Angeblich, so heißt es ja oft, könne man nicht nicht kommunizieren. Offenbar ist das eine zu formale Sicht der Dinge.

      • @849 (Profil gelöscht):

        Schon möglich, dass man nicht nicht kommunizieren kann - außer, man ist völlig allein mit sich. Und selbst dann ist es schwer. Der Mensch hat einen Hang zum Selbstgespräch, wenn er zu lang alleine ist.

         

        In Sachen Freiheit ist das ein Problem. Schlimmer, als diese Idee gar nicht zu kommunizieren, ist es nämlich, sie einseitig (halb) zu propagieren. Sie haben völlig recht: Gewalt ist dann nur "folge-richtig".

         

        Die Frage ist, was jetzt noch getan werden kann. Die aktuellen Zustände sind schließlich nur ein Ergebnis langjähriger Fehlentwicklungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Irgendwelche Vorschläge?

        • 8G
          849 (Profil gelöscht)
          @mowgli:

          Leider nicht. Denn das würde einer gemeinsamen Anstrengung aller bedürfen, sich von den ideologischen Scheuklappen zu befreien, die kaum jemand bei sich, sondern beim anderen verortet. Nur Reaktion scheint mehr möglich: aber mit Gewalt auf Gewalt zu reagieren wird zu nichts führen, als zu noch mehr Gewalt.

           

          Wir wollen nicht reden über die Dialektik bzw. das "Gespenst der Freiheit". Wir tun so, als gälte nichts mehr zu kommunzieren, sondern nur noch Wahrheit(en) zu verkünden, jeder von oben herab - nach unten. Wir halten uns für total aufgeklärt. "Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils" (Dialektik der Aufklärung). Die Täter halten uns den Spiegel vor, in den wir nicht blicken dürfen...