TV-Debatte der EU-Spitzenkandidat*innen: „But Margrethe!“
Sechs Politiker, EU-Themen und sogar unterhaltsam: Die Diskussionsrunde macht Lust auf die Wahl. Zumindest im Klartextreden gab es einen klaren Sieger.
Das ist schade, denn überraschenderweise bot die Diskussionsshow in Brüssel im Vergleich zu einschlägigen nationalen Kanzlerduellen aufgelockertes Infotainment. Vor allem die amtierenden Kommissionsmitglieder, Sozialdemokrat Frans Timmermans (SPE) und die liberale Margrethe Vestager (ALDE) präsentierten sich als energische Solidarpolitiker*innen, auch Ska Keller (Grüne) machte glaubhaft, wie sehr sie an Europa glaubte. Und der Anführer der konservativen EVP Manfred Weber? Naja.
Schon in den Eingangsstatements des von ARD-Korrespondent Markus Preiss und Emilie Tran Nguyen (France Télévisions) moderierten Podiums zeichnete sich ab, wer im Live-Format punkten kann. Hier Manfred Weber aus Niederhatzkofen, wurschtelt in bayerischem Englisch daher, dass Juncker ja tolle Arbeit geleistet habe, jetzt soll es im Prinzip so weitergehen, aber mit’m „fresh start“.
Daneben wirkt der ehemalige niederländische Außenminister und jetzige Kommissions-Vize Timmermans wie das Versprechen, das Martin Schulz nie einlösen konnte: Ein polternder Soze mit Glatze, angriffslustig, pointenreich. „It’s time“ wiederholt er: für Unternehmenssteuern, Nachhaltigkeit, Mindestlohn, jedesmal untermalt mit zwei geballten Fäusten, die nach unten sausen: Es sieht aus, als würde er eine subventionierte Kuh melken.
Die Diskussionsteilnehmer*innen bleiben greifbar
Weber und Timmermans sind die aussichtsreichsten Kandidaten für den Kommissionsvorsitz (auch, wenn sie beim TV-Duell nicht in der selben Gewichtsklasse boxen), neben ihnen sind Margrethe Vestager, Ska Keller, der Linke Nico Cué und Jan Zahradil von den Konservativen (ACRE) aber gleichberechtige Gesprächspartner*innen: alle haben eine Minute pro Statement und zwei Mal die Möglichkeit, eine Frage an die anderen zu richten („Challenge“).
Es geht um die großen Klopper: Klimakrise, Migration, Steuerhinterziehung, Trump. Sechs Themen in neunzig Minuten, eine stramme, aber ausgewogene Agenda. Ort der Debatte ist der Plenarsaal in Brüssel, sattblau ausgeleuchtet und mit jeder Menge EU-Sterne dekoriert, es sieht ein bisschen aus wie ein Raumschiff, in dem die Besatzung hinter blauen Stehpulten über den Kurs berät.
Die EU, ein abgespactes Projekt? Zumindest an diesem Abend schaffen es die Diskussionsteilnehmer*innen, greifbar zu bleiben. Nico Cué, vor dem Franco-Regime nach Belgien geflohen, zu Geflüchteten: „Ich bin selbst Kind von Einwanderern, Migration ist eine Chance.“ Margrethe Vestager zu Klimaschutz: „Wir brauchen ein besseres Streckennetz für Schnellzüge. Out of the planes, down to the rails!“
Die Konservativen bleiben blass
Klarer Sieger im Klartextreden aber Frans Timmermanns: „Lasst uns immer wieder fragen: Alexa, wann wird Amazon endlich Steuern zahlen?“ Alles, was er sagt, scheint in Großbuchstaben geschrieben zu sein, er brüllt fast. Großbritannien sehe nun aus wie „Game of Thrones auf Steroiden“, so der Niederländer über den Schaden von EU-Feindlichkeit.
Blass bleiben dagegen die Konservativen Zahradil (so wenig EU wie möglich) und Weber (viel EU, aber so, dass es niemandem wehtut). Besonders beim Thema Klimaschutz klaffen die Unterschiede. Weber: Man wolle ja auch CO2-neutral werden, aber nicht zum Schaden der Arbeiter in der Autoindustrie. Timmermans (Capslock): „Wissen Sie, was wirklich den Armen schadet? Wenn wir nix tun!“
Blöd, dass Macron Recht hat
Vestager erinnert Weber daran, dass der Klimawandel Zusammenarbeit erfordere, kein Parteikleinklein. Weber: „But Margrethe…“ Ein Hauch der Verzweiflung schimmert durch. Dabei hat Weber ja auch Argumente und Ideen, so ist es ja nicht: Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit bei außenpolitischen Fragen etwa, in Sachen Venezuela hätte man so schneller reagieren können.
Die Debatte, wenngleich sie formatbedingt oberflächlich bleiben muss, hilft bei der Entscheidungsfindung. Blöd nur – und da hat Macron Recht – solange es keine transnationalen Listen gibt, sind die Bewerber*inne zwar EU-Spitzenkandidaten. Wählbar sind sie aber nur in ihren eigenen Ländern.
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