TV-Debatte Pence gegen Harris: „Herr Vizepräsident, ich spreche!“
Von Substanz kann nicht die Rede sein. Doch das Duell der US-Vizekandidaten lief zumindest zivilisiert ab. Star des Abends war am Ende: eine Fliege.
Im Gegensatz zur ersten TV-Debatte zwischen Präsident Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden in der vergangenen Woche schafften es Pence und Harris, die Bühne nicht in einen Zirkus mit unzähligen Zwischenrufen und persönlichen Attacken zu verwandeln.
Von einer Diskussion mit viel Substanz kann trotzdem nicht die Rede sein. Beide Kandidaten nutzten die 90 Minuten, um ihre Agendapunkte gekonnt ins Spiel zu bringen. Moderatorin Susan Page, die als Journalistin für die nationale Tageszeitung USA Today tätig ist, musste sowohl Pence als auch Harris immer wieder ermahnen, da beide es mit der Einhaltung der Zeitregeln nicht so genau nahmen.
Die TV-Debatten zwischen den Kandidaten für das Vizepräsidentenamt spielen im Wahlkampf der Vereinigten Staaten normalerweise eine zu vernachlässigende Rolle. Doch das gehobene Alter der beiden Spitzenkandidaten – Präsident Donald Trump ist 74, sein demokratischer Herausforderer Joe Biden ist 77 – sowie die Corona-Infektion des Präsidenten haben dem Duell in diesem Jahr eine besondere Bedeutung verliehen.
Harris attackiert Trumps Coronapolitik
Harris, die zusammen mit Biden in diesem Jahr das Präsidentschaftsticket der Demokraten bildet, fuhr gleich zu Beginn der Debatte schwere Geschütze auf. Sie bezeichnete das Vorgehen der Trump-Regierung im Kampf gegen die Coronakrise als das “größte Versagen eines Präsidenten und seiner Regierung in der Geschichte unseres Landes“.
Sie verwies dabei auf die mehr als 210.000 Todesopfer im Land sowie auf die steigenden Infektionszahlen in mehreren US-Bundesstaaten. Als amtierender Vizepräsident konnte Pence diese Kritik natürlich nicht auf sich sitzen lassen.
Als Harris dann auch noch das Enthüllungsbuch des amerikanischen Journalisten Bob Woodward ansprach, wodurch bekannt wurde, dass Trump bereits im Frühjahr über die Gefahr des Virus wusste, diese aber herunterspielte, um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden, versuchte Pence, seiner Kontrahentin ins Wort zu fallen: „Herr Vizepräsident, ich spreche – ich spreche“, erwiderte Harris deutlich.
Empfohlener externer Inhalt
Sein anschließendes Argument, dass es ohne ein rasches Eingreifen der Regierung mehr als zwei Millionen Todesopfer hätten sein können, wirkte auch nur wenig überzeugend. Harris kritisiert die Trump-Regierung auch für deren Haltung zum Thema Klimawandel. Laut der Senatorin glaube diese nicht an “wissenschaftliche Erkenntnisse.“ Pence widersprach Harris. Er gab zu, dass sich das Klima verändere, doch ob menschliche Einflüsse dafür verantwortlich seien, wollte er nicht beantworten.
Der ehemalige Gouverneur des US-Bundesstaates Indiana wich zudem der Frage nach der Vorbildfunktion der Regierung aus. Moderatorin Page wollte von Pence wissen, wie die amerikanische Bevölkerung Vertrauen in die Vorgaben und Empfehlungen von Experten haben soll, wenn sich nicht einmal die eigene Regierung daran halten würde.
Als Beispiel nannte sie eine Veranstaltung im Weißen Haus vor mehr als zehn Tagen. Dort gab es keine Maskenpflicht, Abstandsregelungen wurden nicht eingehalten und wie sich später herausstellte, sollen sich etliche der Anwesenden bei dieser Veranstaltung mit dem Virus infiziert haben.
Rassismus kaum Thema
Die Persönlichkeiten von Harris und Pence kamen in der Debatte nicht voll zur Geltung. Beide zeigten sich autoritär, redegewandt und auch hier und da höflich. Pence gratulierte seiner Rivalin sogar zur historischen Nominierung als Vizepräsidentschaftskandidatin. Die 55-jährige Harris ist nicht nur die erste Schwarze, sondern auch die erste Frau südostasiatischer Abstammung, die von einer der beiden großen US-Parteien für das Vizepräsidentenamt nominiert worden war.
Trotz der anhaltenden Proteste in den USA fand das Thema Rassismus nur kurz Erwähnung. Beide Kandidaten wiederholten ihr Entsetzen über den Tod von George Floyd und Breonna Taylor. Pence glaubt jedoch nicht an einen systematischen Rassismus unter Polizeikräften und vertraut auf das Justizsystem. Harris erklärte, dass Biden und sie bei einem Wahlsieg sofortige Maßnahmen in Bezug auf Polizei- und Gefängnisreform durchführen würden.
Pence hatte seine stärksten Momente, als er versuchte, Harris in Widersprüche zu verwickeln. So sagte er, dass Biden und Harris bei einem Wahlsieg ein Frackingverbot erlassen würden. Als Präsidentschaftskandidatin hatte sich Harris noch für solch ein Verbot starkgemacht. Am Dienstagabend sprach sie sich klar dagegen aus.
Star des Abends? Eine Fliege
Auch mit dem sogenannten Green New Deal, einem Gesetzespaket, das sich für eine Transformation des Landes – weg von fossilen Brennstoffen und hin zu erneuerbaren Energien – ausspricht, konnte Pence punkten. Harris war eine der ersten Senatorinnen, die den Gesetzentwurf unterstützte. Doch für viele US-Amerikaner geht der Green New Deal in seinem Vorhaben zu weit und ist darum politisch ein Problem für die Demokraten.
Zu anderen wichtigen Themen wie der Zukunft der Krankenversicherung und Steuern blieben beide äußerst vage. Für einen der größten Aufreger in den sozialen Netzwerken sorgte eine Fliege, die es sich während der Debatte auf dem Kopf des Vizepräsidenten gemütlich machte. Nur kurz nach der Debatte konnte man auf Bidens Homepage bereits Fliegenklatschen mit der Aufschrift “Wahrheit vor Fliegen“ für 10 US-Dollar pro Stück bestellen.
Dass am Ende eine Fliege der Star des Abends ist, unterstreicht noch einmal, dass es der Debatte an Substanz mangelte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht