TV-Berichterstattung zum Terror in Paris: Durch die Nacht mit dem Wolf

Es gibt viel Kritik an der TV-Berichterstattung von ARD und ZDF zum Terror von Paris. Doch die vielgerühmte Alternative CNN ist nicht besser.

Journalisten in Paris

Viel gesehen, wenig verstanden? Journalisten nahe der Konzerthalle Bataclan in Paris. Foto: Reuters

BERLIN taz | Um halb eins am Samstagmorgen hatte Dieter Weirich genug gesehen für ein abschließendes Urteil: „Erbärmliche Berichterstattung von ARD und ZDF zu den grauenvollen Attentaten in Paris“, schrieb er da auf Facebook.

Die ersten vagen Meldungen von Anschlägen in Paris waren da drei Stunden alt. „Wer aktuelle Bilder und intelligente Fragen gestellt sehen will, muss auf BBC, CNN oder TV 5 gehen.“ Was ARD und ZDF trieben sei „peinlich für das angeblich beste Fernsehen der Welt“.

Man mag kaum glauben, dass Weirich – 70 Jahre alt, einst CDU-Bundestagsabgeordneter und anschließend von 1989 bis 2001 Intendant der Deutschen Welle – in dieser Nacht tatsächlich CNN geschaut hat.

Ja, der Sender war früh live auf Sendung. Als die ARD noch Matthias Opdenhövel aus dem Stade de France weitere Zusammenfassungen von Länderspielen anmoderieren ließ, hatte der US-Nachrichtensender bereits groß aufgefahren: ModertorInnen saßen in New York und London, Experten waren dauerhaft zugeschaltet. Der altehrwürdige Anchorman Wolf Blitzer hielt die Fäden in der Hand und führte durch die Nacht.

Kausalkette Zuwanderung führt zu Terrorismus

Doch die intelligenten Fragen, die Weirich bei ARD und ZDF so sehr vermisste, drehten sich um nichts anderes als islamistischen Terror, die vermeintliche Gefahr durch Zuwanderung in Europa und was Polizei und Geheimdienste nun dringend machen müssten. Klar, was soll man auch sonst besprechen mit einem permanent dazugeschalteten Experten, der einst beim FBI und bei der CIA gearbeitet hat.

Die Kausalkette war wenige Stunden nach den Anschlägen, als die Geiseln noch im Konzerthaus Bataclan festgehalten wurden, eng geknüpft: Zuwanderung führt zu Terrorismus. Vielleicht findet Weirich das sehr tiefgründig.

In einer Folge der Fernsehserie „Die Simpsons“ fragt der Nachrichtensprecher Kent Brockman einen Experten: „Würden Sie empfehlen, dass alle in Panik geraten?“

In einer Folge der Fernsehserie „Die Simpsons“ fragt der Nachrichtensprecher Kent Brockman einen Experten: „Würden Sie empfehlen, dass alle in Panik geraten?“ Man hielt diese Frage aus dem Mund Blitzers an diesem Abend nicht für ausgeschlossen. Der Experte bei den Simpsons antwortet übrigens: „Allerdings, Kent.“ Man hielt diese Antwort aus dem Mund des CNN-FBI-CIA-Experten für ebenso wenig ausgeschlossen.

Stochern im Terrornebel

Dabei gilt CNN in den USA als der Sender der Mitte. Relativ seriös, noch am wenigsten alarmistisch, besonders im Vergleich zu den erzkonservativen Fox News. Doch gerade das lässt einen mit einem mulmigen Gefühl zurück: Was ist in einer Gesellschaft passiert, wenn der Sender der Mitte solche Fragen stellt, solche Ängste schürt, so aggressiv und aufgeschreckt berichtet?

Es war ein Stochern im Terrornebel, das einen böse an die Attentate von Anders Breivik in Oslo und auf Utoya erinnerte, als sich vermeintliche Terrorismusexperten rund um den Globus schnell einig waren, dass es sich um einen Angriff al-Qaidas handeln musste. Ohne Zweifel.

Damals, 2011, bezogen die Öffentlich-Rechtlichen zu Recht Prügel, weil sie dieses Spiel mitgespielt hatten. Weil sie ebenfalls vorschnelle Schlüsse zogen und Talksendungen ins Programm hoben, die sich nur um den islamistischen Terrorismus drehten, der zurück sei in Europa. Ohne Zweifel.

Die Aufregung auf Twitter

Diesmal waren sie vorsichtiger. Und auch dafür gab es Prügel. Schnell wurde gefordert, doch die Berichterstattung vom Länderspiel abzubrechen, ins Nachrichtenstudio zu wechseln und dort in den Livemodus zu schalten. Doch was hätten die KollegInnen dort zu dem Zeitpunkt berichten können?

Sie hätten es machen können wie CNN: Die immer gleichen Bilder von Polizisten auf Motorrädern, die immer gleichen Fragen nach Terror und Sicherheit. Am Ende hätten sie sich wieder in die Falle gelabert, wie damals nach Oslo. Trotzdem: Die Aufregung – vor allem im Online-Netwerk Twitter – war nicht zu ignorieren. Tenor: Bescheuerte ARD! Macht endliche Euren Job!

Vielleicht sollten aber auch wir Nutzer endlich lernen, unseren Job ordentlich zu machen. Denn gesicherte Informationen brauchen ein bisschen Zeit. Seriöse Berichterstattung braucht ein bisschen Zeit. Für alles andere gibt es genau den Kanal, auf dem sich die Leute gerade tummelten und darüber beschwerten, dass ihnen die ARD im Fernsehen jetzt nicht all die mal mehr, mal weniger bestätigen Informationen präsentiert, die sie gerade selbst lesen. Der Kanal heißt Twitter.

Ach so, eine Sache, die CNN leicht auch unter großem Zeitdruck hätte herausfinden können, war der Name der Band, die im Bataclan spielte. Doch die nannte der Moderator einmal „Eagles of Dream Metal“ und im Laufband stand über Stunden „Eagles of Death“. Die Band kommt aus den USA – sie heißt Eagles of Death Metal.

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