T. C. Boyle über Crispr-Babys: „Das ist jetzt in der Keimbahn“
In China kamen wohl die ersten gentechnisch veränderten Babys auf die Welt. Der Schriftsteller T. C. Boyle findet: Wir sollten besser nicht Gott spielen.
taz am wochenende: Mister Boyle, für Sie war die Nachricht dieser Woche, dass in China wohl die ersten gentechnisch veränderten Babys geboren worden sind , vermutlich keine Überraschung. Oder?
T. C. Boyle: Na ja, mein Erzählband „The Relive Box“ ist noch nicht ins Deutsche übersetzt, aber die dritte Geschichte darin heißt „Are We Not Men?“. Diese Frage habe ich aus einem Roman von H. G. Wells, in dem ein verrückter Forscher versucht, aus Tieren einen Menschen herzustellen. Meine Geschichte untersucht diese Möglichkeiten. Sie prophezeit auch, dass es die Chinesen sind, die uns die ersten genmanipulierten Babys geben. Und … here we are.
Damit scheint eine weitere Ihrer Vorhersagen wahr geworden zu sein. Zwischen Mexiko und den USA wird eine Mauer gebaut, wie Sie in den Neunzigern schrieben. Und in China wurde die DNA der Embryonen offenbar mit der Genschere Crispr/Cas9 verändert. Genau wie in „Are We Not Men?“.
Das kann einem Angst machen, oder? Alles, was ich schreibe, wird wahr. Wahrscheinlich sollte ich über den Weltfrieden und glückliche Romanautoren schreiben.
Aber?
Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, mich mit Crispr zu beschäftigen – als sich die Artikel häuften, während des Crispr-Durchbruchs. Und im Laufe meiner Karriere habe ich mich am meisten für unser Verhältnis zu unserem Planeten interessiert. Für unseren Bezug zur Umwelt, unser Dasein als Tierart unter anderen Tierarten – etwas, das die Religion bestreiten würde, das viele Menschen bestreiten, weil sie denken, wir seien besonders. Aber natürlich sind wir Tiere! Dieser chinesische Wissenschaftler, He Jiankui, behauptet, er hätte diesen Zwillingen ein Gen entfernt, um sie immun gegen das HI-Virus zu machen. Er hat damit allerdings nicht nur eine Veränderung dieser beiden Mädchen bewirkt. Diese Genmutation wird in die Menschheit weitergetragen.
ist US-amerikanischer Schriftsteller. Er hat über 100 Kurzgeschichten und 16 Romane veröffentlicht. Boyle lebt in Kalifornien und wird am Sonntag 70 Jahre alt.
Durch diese Mädchen und ihre Kinder.
Und die Kinder ihrer Kinder und so weiter. Es gibt genügend Artikel, die erklären, dass das Fehlen dieses speziellen Gens sie beispielsweise anfälliger dafür macht, an der Grippe zu sterben. Oder an anderen Krankheiten, die Konsequenzen sind unvorhersehbar. Und selbst wenn sie vorhersehbar wären, selbst wenn allen Kindern dieser Welt nun dieses Gen entnommen werden könnte und wir uns keine Gedanken mehr um Aids machen müssten: Die tragen etwas in sich, das unnatürlich ist. Und jedes Kind, das sie zeugen, wird diese Mutation haben. Für immer. Das ist das Problem: Es betrifft nicht bloß ein Individuum. Das ist jetzt in der menschlichen Keimbahn.
Was befürchten Sie?
Das Ganze könnte, wie in meiner Geschichte, extrem rassistisch sein und bestimmte Zustände verschlimmern: Eine dominante Ethnie hätte die Kontrolle über die Welt, weiße Haut würde gegenüber dunkler bevorzugt. Denn die Leute werden wählen. Werdende Väter und Mütter werden sich alle Möglichkeiten ansehen, ihrem Kind eine bestimmte Größe zu geben. Vielleicht wollen sie blaue Augen und musisches Talent für ihr Kind, einen sehr hohen IQ. Sie werden die bestmögliche Mischung der Gene beider Elternteile erhalten und Designerbabys machen. Es heißt immer so landläufig, die Leute werden so was nicht tun. Aber wir sehen ja: Der Mann in China hat schon damit angefangen.
Lulu und Nana In China sind mutmaßlich erstmals zwei Mädchen geboren worden, deren Erbgut nach der Befruchtung mittels der Genschere Crispr/Cas9 manipuliert wurde. Der Genforscher He Jiankui behauptet, er habe in einem frühen Embryonalstadium einen HIV-Rezeptor deaktiviert. So könne sich das Aidsvirus später nicht mehr im Körper vermehren.
Die Kritik Die Meldung löste weltweit Empörung aus. Von „unverantwortlichen Menschenexperimenten“ war die Rede. Es gibt keine Erkenntnisse über die Folgen des Eingriffs. Zudem werden Genmanipulationen an frühen Embryonen über die Keimbahn an alle Nachkommen weitergegeben. Außerdem ist unklar, ob He die Wahrheit sagt. Er verkündete die Geburt der Kinder in einem Video, eine geprüfte Publikation gibt es nicht. Inzwischen hat die chinesische Regierung He befohlen, seine Forschungen zu stoppen.
Die Technik Mit Crispr/Cas9 lassen sich einfach und billig gezielte Veränderungen im Genom von Pflanzen, Tieren und Menschen vornehmen. Forscher hoffen, damit bisher unbehandelbare Krankheiten wie etwa Alzheimer oder Parkinson zu heilen. (wlf)
In „Are We Not Men?“ ist exakt das Realität: Paare suchen sich Merkmale für ihr Kind im Genlabor aus, als würden sie nach der richtigen Vorspeise auf der Speisekarte suchen. Größe, Augenfarbe, Intellekt.
Ist die Hundekatze einmal aus dem Sack – für die Geschichte habe ich die „Hundekatze“ erfunden –, ist eine solche Technologie also einmal verfügbar wie jetzt, dann wird sie genutzt. Allein die Anstrengungen, die Eltern heute auf sich nehmen, um ihre Kinder auf eine besondere Schule zu schicken! Sie wären klar im Nachteil, wenn ihr Kind in eine Klasse ginge, in der alle anderen Kinder genmanipuliert wurden – um schlauer zu sein oder besser in Mathe. Natürlich: Am Anfang wird das eine Menge Geld kosten. Es werden sich nur die Wohlhabenden leisten können, die bereits privilegiert sind. Sie werden einen Supervorteil gegenüber den Armen haben.
Wie sähe die Welt mit einer genetisch modifizierten Elite aus?
Ich sehe das nicht sehr hoffnungsvoll. Die Diskriminierung in hundert Jahren kann man sich ja jetzt schon vorstellen – die der genetisch Modifizierten, „Überlegenen“, gegenüber den „Normalen“. Man wird die normalen Menschen als animalischer und verzichtbarer betrachten. Denken Sie dran, wie wir unsere Tiere behandeln, die Schimpansen – weil sie nicht menschlich sind. Es wird der Punkt kommen, an dem Menschen als weniger wert gelten. Als weniger Mensch. Wegwerfbar. Lesen Sie Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“! Es ist prophezeit.
Und trotzdem verspricht die Methode viel. Man will mit Crispr das Gen eliminieren, das bei Frauen Brustkrebs verursacht. Oder damit Mücken resistent gegen den Malaria-Erreger machen.
Stimmt, das ist die Verwendung, die wir jetzt für Crispr haben. Aber wie verhindert man, dass es leichtsinnig verwendet wird? Ich war gestern in der Zoohandlung und habe dort in der Tropenfischabteilung zum ersten Mal genetisch modifizierte Fische gesehen, die Gene von Quallen in sich tragen, damit sie superhell leuchten. Das sind Freaks der Natur – sie sind längst da. Es ist schon unter uns.
Denken Sie, wir können lernen, Crispr sorgsam – richtig – zu verwenden?
Das hier ist der erste Missbrauch von Crispr. Wir haben Krebstherapien, wir stellen monoklonale Antikörper her, aber okay, wenn eine Genmanipulation immun gegen Krankheiten macht? Wundervoll. Bloß: Wer wird das regulieren und sagen, es reicht? Warum keine Menschen mit vier Händen machen, wenn es ihnen zu helfen scheint, warum nicht jedes Wesen kreieren, das du willst? Um die „Hundekatze“ noch mal zu erwähnen: Es ist theoretisch möglich, Gene jeder Tierart in einen Menschen zu implantieren. Wir sind also nicht so weit entfernt von H. G. Wells und der Frage „Are We Not Men?“. Sind wir keine Menschen? Die Antwort ist: Nein, sind wir nicht. Nicht mehr.
Wovor haben wir am meisten Angst? Das Experiment in China ist bislang nicht mal bewiesen – und die Empörung riesig.
Wir sind Produkte der Natur. Wir leben auf einem mysteriösen Planeten und kennen die wesentlichen Antworten auf unsere Existenzfragen nicht: Warum? Was ist passiert? Wo kommt es her, was bedeutet es? Die gesamte Menschheitsgeschichte und Evolution wird durch etwas wie die Crispr-Technologie negiert. Menschliche Designerbabys: Damit beginnen wir eine neue evolutionäre Zeit.
Zwei linksextreme Gefährder gibt es in Deutschland. Einen von ihnen haben wir getroffen. Wie er sich gegen die Einstufung der Polizei wehrt, lesen Sie in der taz am wochenende vom 1./2. Dezember 2018. Außerdem: Wie der Springerkonzern Friedrich Merz großmachte. Und: Ein Interview mit dem Schriftsteller T.C. Boyle über angeblich gentechnisch veränderte Babys in China. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und bei Facebook und Twitter.
Mit ziemlich neuen ethischen Fragen.
Klar. Wenn diese Zwillingsmädchen in China aufwachsen, unter dem Radar der Gesellschaft: Wird man ihnen dann später erlauben, Kinder zu kriegen? Wird man sie einsperren und daran hindern – damit sie dieses Gen nicht verbreiten? Von solchen Fragen mal abgesehen: Wer will schon, dass die Menschen länger leben? Bei 7,5 Milliarden Bewohnern auf der Erde und nicht ausreichenden Ressourcen. Bei einem Klimawandel, der die Möglichkeiten, uns zu ernähren, zerstört.
Sie werden am Sonntag siebzig. Würden Sie gerne noch viel länger leben?
Das Leben verlängern? Ich denke, das würde jeder tun. Vielleicht wird Crispr das auch möglich machen, dann hätten wir noch 20, 30 weitere Jahre. Und das womöglich bei solider Gesundheit. Toll für mich! Aber wer kümmert sich um die ganzen alten Leute? Die Wirtschaft? In mancher Hinsicht ist der Tod eine gute Sache.
Warum spielen die Menschen trotzdem so gerne Gott?
Wegen ihrer Gehirne und ihrer Egos! Wie kann nur jeder Einzelne von uns, mit all seiner Brillanz und Schönheit und Gier, ernsthaft sterben müssen? Zu John Updike wurde mal in einem Interview gesagt – er war 77, als er an Krebs starb –: „Sie sind sicher recht zufrieden, Sie haben Kinder und Enkel.“ Und Updike sagte: „Ja. Aber die sind nicht ich.“
Und niemand außer Ihnen ist Sie, Mr. Boyle.
Oder Sie! So ist es halt, wir müssen gegen die Verzweiflung über unsere eigene Sterblichkeit ankämpfen. Und ich denke, He Jiankui hat versucht, das zu umgehen. Für immer zu leben. Gott zu sein.
Er sagt, er sei stolz.
Na ja, er wollte der Erste sein. Und wir reden über ihn, richtig? Er hat Crispr nicht erfunden, aber wir reden über ihn. Er hat das Verbot gebrochen. Jetzt ist er berühmt. Aber wollen Sie die gute Nachricht hören?
Bitte.
In 3,5 Milliarden Jahren – so ungefähr – wird die Sonne aufflammen und die Erde verbrennen, bis sie nicht viel mehr ist als ein verkohltes Stück Brikett.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren