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Syrische Flüchtlinge in JordanienDie Zeltschule von Saatari

3.000 syrische Kinder werden in Jordanien unterrichtet. Ihre Eltern warten dort auf das Ende des Krieges in Syrien. Ein Leben in vorläufiger Sicherheit.

Froh um das bisschen Ablenkung: Schulkind in Saatari. Bild: dapd

SAATARI taz | Tamara ist neun Jahre alt. Sie geht in die dritte Klasse. „Ich bin froh, dass ich wieder in die Schule gehen darf“, sagt das kleine Mädchen ein wenig schüchtern. Ihre Schule ist ein Zelt, auf dem in blauer Schrift der Name Unicef prangt. Dieses Zelt steht im größten syrischen Flüchtlingslager auf jordanischem Boden, in Saatari in der Region Mafrak, wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt.

In der letzten Stunde steht Wissenschaft auf dem Stundenplan. Auf der Schulbank liegt die aufgeschlagene Seite eines Buchs mit einem Bild, das ein Glas Wasser, ein Glas Milch und ein Glas Öl mit Erklärungen zeigt. Das Schulbuch teilt sich Tamara mit fünf anderen Mädchen am Tisch. Eigene Stifte oder ein Schreibheft haben die 45 Kinder dieser Klasse noch nicht.

„Wir versuchen so gut wie möglich, einen normalen Unterricht aufrechtzuerhalten, damit die Kinder ihre oft traumatischen Erlebnisse vergessen und verdrängen können“, sagt Malak Taha Harriri. Die 31-jährige Lehrerin ist selbst vor drei Monaten aus Syrien geflohen. Sie stammt aus der Stadt Daraa, wo der Aufstand gegen das Regime vor anderthalb Jahren seinen Anfang nahm.

Insgesamt erteilen rund 80 syrische LehrerInnen im Flüchtlingslager Unterricht, daneben arbeiten noch 100 jordanische LehrerInnen. In 20 Zeltklassen werden derzeit 3.300 Kinder nach jordanischem Curriculum unterrichtet, die Mädchen am Morgen, die Jungen in der Spätschicht am frühen Nachmittag. Nach Ende des Unterrichts stürmen die Mädchen auf die sandige Straße hinaus. Einige werden von ihren Eltern abgeholt. Vor dem eingezäunten Areal der Unicef-Zelte drängen bereits die Jungen aufs Schulgelände. Ein Aufseher versucht die schlimmsten Rabauken mit einem Stock in Schach zu halten.

Feiner Wüstensand

22.000 Menschen leben derzeit in Saatari – die meisten davon sunnitische Muslime aus der angrenzenden Region Daraa. Das Lager wurde Ende Juli 2012 in einem wüstengleichen Steppengebiet aus dem Boden gestampft. Der feine Wüstensand wehte bei Temperaturen von 45 Grad im Schatten in die Zelte, legte sich auf die dünnen Matratzen und auf die Essensrationen.

Flüchtlingslage

Das Lager Saatari wurde von der Flüchtlingsorganisation UNHCR errichtet und wird gemeinsam mit der Jordanisch-Haschemitischen Karitativen Organisation betrieben. Die Regierung in Amman gibt an, dass derzeit rund 220.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien leben, die meisten in Städten und Gemeinden. Knapp die Hälfte von ihnen sind beim UNHCR registriert. All diese Flüchtlinge benötigen Wasser, Nahrung, Unterkunft, medizinische Versorgung und Schulen. Die Überlastung der Gemeinden und Städte durch die hohe Flüchtlingszahl hat den Bau des Lagers Saatari beschleunigt.

In Saatari selbst und in ganz Jordanien arbeiten eine Vielzahl von UN-Organisationen und NGOs Hand in Hand, um den Flüchtlingen zu helfen. Obwohl Jordanien über nur geringe Ressourcen verfügt, hält das Land die Grenzen für die Flüchtlinge weiter offen. Die Beziehungen zu Damaskus sind seit jeher angespannt.

Selbst das Atmen fiel manchmal schwer. Die Flüchtlinge haben gegen diese Bedingungen protestiert und Einrichtungen des World Food Programms angegriffen, das für die Verteilung der Lebensmittelrationen im Lager verantwortlich ist. Seither schützen hohe Zäune und mächtige Stahltore die Einrichtungen des WFP und die Bedingungen haben sich etwas gebessert.

Die Hauptstraße durch das Lager ist asphaltiert. Wo möglich, wurde der Sandboden mit Kies und Steinen abgedeckt. Auch die Temperaturen im November sind deutlich angenehmer. Die neue Herausforderung vor Ort liegt nun für alle Helfer im dramatischen Anstieg der Flüchtlingszahlen.

Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR erwartet, dass bis zum Ende des Jahres mindestens 50.000 Flüchtlinge in Saatari versorgt werden müssen. In jeder Nacht kommen derzeit 300 bis 500 Personen hinzu. Nach einer ersten Notversorgung werden sie registriert und bekommen einen Ausweis für die Nahrungsmittelausgabe. Dann wird ihnen ein Zelt zugewiesen.

Angst vor dem Regime

Vor einer der vielen Küchen, die über das Lager verteilt sind, steht Umm Mohammed. Ihren richtigen Namen will sie nicht sagen. „Wozu denn?“, fragt sie. Die Furcht vor dem Regime hat sie nach Jordanien mitgebracht. Die Mittdreißigerin hat einen Topf mit Reis auf dem Gaskocher. „Wir sind erst vor acht Tagen hier im Lager angekommen“, sagt Umm Mohammed.

Ihr Mann sei im September festgenommen und gefoltert worden. Als er freigelassen wurde, sei die Familie mit fünf Kindern sofort zur Grenze aufgebrochen. Um vier Uhr morgens hätten sie eine Sammelstelle der jordanischen Armee erreicht, die sie dann ins Lager Saatari gebracht hätte.

Die kollektiven Lagerküchen, in der auch Umm Mohammed Reis zubereitet, sind ebenso wie die blau angemalten Sanitäreinrichtungen vom deutschen Technischen Hilfswerk gebaut worden. Peter Kussmaul ist der Chief of Operations des THW in Saatari. Er ist verantwortlich dafür, dass die Flüchtlinge mit genügend Trinkwasser versorgt werden, dass die Duschen und Toiletten funktionieren und das Abwasser aus dem Lager abtransportiert wird. „90 bis 110 Lkw mit Trinkwasser fahren wir jeden Tag ins Lager, 500 Kubikmeter Abwasser müssen wieder aus dem Lager heraus“, sagt Kussmaul, der seit 15 Jahren im Auslandseinsatz tätig ist.

284 Steinküchen hat er bisher im Lager bauen lassen, dazu 90 Toiletten- und Duschanlagen sowie 50 „separate Wasserplätze“. Dabei handelt es sich um riesige Kanister, die auf Zementblocks montiert sind und nach einer Seite einen Wasserhahn haben. Dort können die Menschen jederzeit Wasser holen, wenn sie etwas brauchen. Ein Rohrsystem mit Wasserleitungen gibt es nicht. Strom zapften die Flüchtlinge auch illegal ab, berichtet Kussmaul.

Es gebe inzwischen sogar schon einige Waschmaschinen im Lager. Durch die vielen Neuankömmlinge sei der Zeitdruck für die THW-Mitarbeiter enorm. „Da muss man ruhig bleiben und gut schlafen“, sagt Kussmaul. Mehr als 130 einheimische Mitarbeiter, Jordanier und Syrer, beschäftigt das THW hier in Saatari. Für die hat Kussmaul nur Lob übrig. Sie seien ungemein engagiert. „Schreiben Sie das“, sagt er zum Abschied.

Geschmuggelte Waren

Syrische Familien im Flüchtlingslager Saatari in Jordanien warten auf das Ende des Krieges und ihre Rückker nach Syrien. Bild: dapd

Entlang der asphaltierten Hauptstraße des Flüchtlingslagers bieten Händler in ihren „Geschäftszelten“ Waren des täglichen Bedarfs an wie Mineralwasser, Kekse, ein paar Konserven, Gemüse in Gläsern, Zigaretten oder auch Süßigkeiten. „Wir nehmen jordanische Dinar, aber auch syrische Pfund“, sagt Burhan, der Shopinhaber. Einen Andrang von Käufern kann man allerdings nirgendwo ausmachen. Wie die Waren in dieses von Polizei und Militär streng abgeriegelte Lager gelangen, bleibt ein Rätsel. Gute jordanische Freunde hätten die Sachen mitgebracht, mehr will Burhan nicht verraten.

Der 30-jährige Thaher kommt auch aus Daraa. Er möchte der Welt unbedingt ein Dokument zeigen. Es handelt sich um eine Bestätigung darüber, dass er sechs Monate in Haft war. „Ich wurde in einem Erdbunker festgehalten, ohne Tageslicht“, sagt er. Dann zieht er seine Hosenbeine ein wenig hoch. Zum Vorschein kommen zwei völlig vernarbte Schien- und Wadenbeine.

Thaher wurde mit Zigaretten gefoltert, die auf seinen Beinen ausgedrückt wurden. „Ich war sechs Monate in dem Erdbunker“, sagt er. Polizisten hätten ihn bei einer Demonstration festgenommen. Seit sechs Wochen lebt Thaher nun mit seiner Frau und seiner Tochter im Lager Saatari.

Ein hoher Stacheldrahtzaun riegelt das Lager von außen völlig ab. Panzerwagen der Polizei und des Militärs stehen auf den leichten Anhöhen rund um das Lager. Die Eingangskontrollen durch die jordanische Polizei sind scharf. Ein unbemerktes Verlassen des Lagers ist praktisch unmöglich. Besuche von Verwandten sind erlaubt, dafür stellt die Polizei besondere Papiere aus. An einen Gegenbesuch ist aber nicht zu denken.

2.500 Caravans

Medizinische Grundversorgung und leichtere chirurgische Eingriffe können im marokkanischen und im französischen Krankenhaus ausgeführt werden. Die Regierungen in Marokko und Frankreich haben jeweils die Ausrüstung finanziert. Beide Krankenhäuser bestehen aus schweren grünen Armeezelten.

Marwan, ein 25-jähriger Hüne aus Daraa, beklagt sich darüber, dass seine Frau bei der Geburt des ersten Kindes eine Entzündung davontrug. „Jetzt schieben sich das Krankenhaus in Mafrak und das marokkanische Spital im Lager ständig gegenseitig die Schuld in die Schuhe.“ Dennoch hat er aus Dankbarkeit seinem Erstgeborenen den Namen des jordanischen Königs Abdallah gegeben.

Vor dem anbrechenden Winter, der den Menschen in den undichten Zelten zusetzen wird, haben sogar die Herrscher im Königshaus von Saudi-Arabien Mitgefühl gezeigt und dem Lager 2.500 Caravans spendiert, die Mitte Dezember zur Verfügung stehen sollen. Dann wird es ein Privileg sein, in einer solchen Unterkunft zu wohnen.

Mitte November ziehen auch die Kinder um in neue Klassen mit Klimaanlage und Sanitäreinrichtungen, ordentlichen Tischen, Bänken und einer echten Tafel. Diese Schule stiftet die Regierung in Bahrain. Einige Kinder fragten spontan, ob sie darin auch schlafen dürften, erzählt die jordanische UNHCR-Mitarbeiterin Tala Kattan. Angesichts des bevorstehenden Winters mit Regen, Stürmen und Minustemperaturen ist dieser Wunsch nur allzu verständlich.

Die Reise wurde von der EU-Kommission finanziert und vom Europäischen Zentrum für Journalismus durchgeführt.

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