Flüchtlingslager Saatari in Jordanien: Die neuntgrößte Stadt im Land
Im jordanischen Flüchtlingslager Saatari leben 81.000 Menschen. Nun bekommt es Wassernetz und Kraftwerk – aber die Menschen haben kaum Perspektiven.
Hinter den Plänen steht die bittere Erkenntnis, dass in dem Anfang 2011 ausgebrochenen Konflikt in Syrien kein Ende abzusehen ist. Manche Bewohner versuchen, das Beste aus dem Leben im Exil zu machen. Nur wenige kehren in ihre Heimat zurück. Einige Dutzend riskieren jede Woche lieber ihr Leben, als in dem Lager zu vegetieren, in dem es kaum Arbeit gibt, ein Drittel der Kinder nicht zur Schule geht und Tausende junger Erwachsene keine Möglichkeit haben, einen Beruf zu erlernen.
Saatari, am 28. Juli 2012 aus blanker Not errichtet, ist inzwischen die neuntgrößte Stadt in Jordanien. Von den mehr als vier Millionen syrischen Flüchtlingen in der Region hat das kleine Königreich rund 629.000 aufgenommen, mehr als 100.000 leben in Lagern. Der Rest schlägt sich mit Hilfe von Geld und Nahrungsmitteln der UN in Städten durch. Internationale Hilfsorganisationen mussten ihre Unterstützung bereits wegen Geldmangels kürzen, weitere Einschnitte wurden am Freitag angekündigt.
Der Wandel des Lagers Saatari von der Zeltstadt zur Kleinstadt symbolisiert das Versagen der Weltgemeinschaft, ein Ende des Kriegs in Syrien zu vermitteln. Einige glauben, dass die Umstellung von Nothilfe auf langfristige Lösungen – wie ein Wasserleitungsnetz statt teurer Belieferung durch Tankfahrzeuge – viel früher hätte kommen müssen. „Wir haben einfach zu viel Geld verschwendet, weil wir nicht langfristig gedacht haben“, sagt der frühere Lagerleiter Kilian Kleinschmidt.
Wer bleibt, richtet sich ein
Zur sparsameren Versorgung von Saatari soll auch das Solarkraftwerk beitragen, das aber erst Ende 2016 fertig sein wird. Bis zum vergangenen Jahr zahlten die UN dort monatlich eine Million Dollar für Strom. Die Bewohner zapfen von ihren Fertigunterkünften und Geschäften über Kabel Strom aus einem Elektrizitätsnetz, das eigentlich nur für die Straßenbeleuchtung gedacht ist. Der gegenwärtige Lagerleiter Hovig Etyemezian hat die Kosten reduziert, indem er den Strom bei Tageslicht abschalten lässt. Dies führte zu viel Unmut unter den Bewohnern.
Täglich kehren etwa 30 Flüchtlinge nach Syrien zurück. Vor Ausbruch heftiger Kämpfe in der Provinz Deraa, aus der viele der Lagerbewohner kommen, waren es noch vier Mal so viele. Wer einmal gegangen ist, dem wird eine Rückkehr ins Lager nur selten gestattet. In der vergangenen Woche nahmen Emad Issaui, seine Frau Nihad und ihre drei kleinen Kinder den Bus zurück zur syrischen Grenze. Die 23-jährige Nihad sagt, sie habe sich nur zögerlich dem Wunsch ihres Mannes gefügt. „Ich habe Angst“, erklärt sie.
Wer bleibt, richtet sich in Saatari ein. Dschumma al-Scheik pflanzte vor seine Unterkunft Mais, Tomaten und bunte Blumen. Das Gärtchen ist unter seinen Verwandten ein beliebter Treffpunkt geworden. Al-Scheik und seine Familie flohen vor zwei Jahren nach Angriffen der syrischen Regierungstruppen mit Chemiewaffen aus einem Vorort von Damaskus. Die Kämpfe zerstörten ihre Häuser. Zu Hause war Al-Scheik Gemüsebauer. Der Garten im Lager „macht alles ein bisschen besser“, sagt er.
Andere bauen ihr Leben systematisch neu auf. Abdel Mutalleb Hariri schickte seine sechs Kinder sofort nach ihrer Ankunft im Januar 2013 in Lagerschulen. Er selbst kann derzeit in seinem Beruf als Tierarzt nicht arbeiten, statt dessen verkauft er Kleidung. Seine Frau Fatmeh unterrichtet Englisch in einer Grundschule.
Kinderheiraten nehmen zu
Ihre Älteste, die 19-jährige Alaa, erhielt ein Stipendium und hat ihr erstes Jahr an der nahen Al-al-Bait-Universität hinter sich. „Bildung ist der richtige Weg, besonders, wenn man in einem Lager lebt“, sagt Alaa, eine von wenigen in ihrer Altersgruppe, die die Oberschule abgeschlossen hat. Die meisten brechen die Schule ab, einige, weil sie sich den Universitätsbesuch nicht leisten können.
Für manche hat das Lager neue Möglichkeiten eröffnet. Hunderte Mädchen haben in Saatari Gelegenheit, Fußball zu spielen. Kürzlich trainierten etwa zwei Dutzend Mädchen in Kopftüchern unter den Augen von Trainerin Nur al-Dhaher auf einem eingezäunten staubigen Platz. Al-Dhaher, eine Mutter von drei Kindern und erneut schwanger, nahm ursprünglich an einem Übungsleiterkurs teil, um ihre Familie zu unterstützen. Heute freut sich die Frau mit schwarzem Gesichtsschleier daran zu sehen, wie ihre einst schüchternen Spielerinnen immer selbstbewusster werden.
Für andere schließen sich dagegen Türen. Die Zahl von Kinderheiraten habe zugenommen, sagen Bewohner und Lagermitarbeiter. Einige Familien verheiraten ihre halbwüchsigen Töchter, häufig, um sich finanziell zu entlasten. „Hier muss man früh heiraten, weil die Lage schwierig ist“, sagt Sabrine al-Massaad, die ein Brautmodengeschäft führt. Eine ihrer Kundinnen war gerade einmal 14 Jahre alt.
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