Syrisch-deutscher Musiktransfer: Aalglatt läuft es nicht immer

Wenn syrische und deutsche Musiker zusammen spielen, kollidieren verschiedene Tonsprachen und Mentalitäten. Aber das ist ja das Spannende an dem Musiktransfer.

Im Exil: Musiker des Syrian Expat Philharmonic Orchestra Foto: Peter Adamik

HAMBURG taz | Das Tragische ist, dass diese Instrumente eben nicht mit wanderten. Dass die Menschen sie in der brennenden, zerbombten Heimat zurücklassen mussten, weil das Cello, der Kontrabass nicht in den Flucht-Rucksack passten. Das war nicht nur im syrischen Bürgerkrieg so, und die Musiker reagierten immer gleich: Sobald sie in der Fremde einigermaßen Fuß gefasst hatten, gründeten sie ein Orchester, ob in Palästina oder dem niedersächsischen Hitzacker.

Was sollen Musiker sonst tun, um neu Wurzeln zu schlagen? Vielleicht ist das überhaupt das wichtigste Movens: Identität zu stiften und eventuell zu erneuern, und sei das durch die Besinnung auf vernachlässigte Traditionen.

So ist es bei Kinan Azmeh und Dima Orsho gewesen, einem Klarinettisten und einer komponierenden Sängerin: Sie leben seit langem in den USA, fanden aber vor einigen Jahren zur syrischen Musik. Nur wer sich derart mit dem Exil arrangiert hat, kann wohl einen ost-westlichen Musikdialog erfinden, wie es Azmeh und Orsho beim Festival „Salam Syria“ im März 2017 in Hamburgs Elbphilharmonie taten.

Da entspann sich ein Dialog auf Augenhöhe, eine syrisch-europäische Musik-Osmose, die ein vielleicht ja auch politisch wirksames Signal friedlicher Koexistenz sandte. Aber es waren nicht nur einzelne Überflieger, die dem Krieg hier Musik entgegensetzten. Das erwähnte Festival, auch „Syrien trifft Hamburg“ untertitelt, erlebte auch die Verschmelzung ganzer Orchester.

Per Facebook geflüchtete Musiker gesucht

Oder nehmen wir Raed Jazbeh, Kontrabassist aus Aleppo, 2013 zum Konzert des Arab Your Philharmonic Orchestra nach Berlin gereist. Da tobte zuhause längst der Bürgerkrieg, Jazbeh ging nach Bremen – und blieb dort. Inzwischen ist er anerkannter Flüchtling mit subsidiärem Schutzstatus. Und da er nicht musiklos auf das Ende des Krieges warten wollte, suchte Jazbeh per Facebook nach früheren Kommilitonen von der Musikhochschule in Damaskus.

Anderthalb Jahre hat es gedauert, bis er 75 Gleichgesinnte versammelt hatte: die meisten ebenfalls Geflüchtete, die in Deutschland, Schweden, den Niederlanden und Frankreich leben. Einige waren als Musiker arbeitslos gemeldet so wie Jazbeh, andere hatten inzwischen umgeschult.

Wenn Syrer und Deutsche zusammen Musik des Hamburger Juden Felix Mendelssohn- Bartholdy spielen, steht das auch für ein globales Zusammenrücken, ohne dass man ständig aufrechnet, wer sich mehr anpasst

Aber musizieren wollten sie alle, nicht als „Flüchtlingskapelle“, sondern als studierte Profis. Weswegen Jazbeh sein 2015 gegründetes Orchester unmissverständlich „Syrien Expat Philharmonic Orchestra“ nannte, kurz: Sepo. Seit einer kleinen, durch Jazbehs schmale Deutschkenntnisse verursachten Krise, in deren Verlauf dann einige Dirigenten das Orchester als Karriereleiter nutzen wollten, ist der deutsche Bariton Falko Hönisch als Mitorganisator dabei, um die Kommunikation zu regeln.

Sepo-Musiker wollen kein Mitleid

Expatriates, kurz Expats, so bezeichnen sich manchmal auch Ausgebürgerte, aber zumeist Fachleute, die aufgrund ihrer jeweiligen Kompetenz dauerhaft im Ausland arbeiten. In puncto Musik stimmt das: Die Sepo-Musiker sind in westlicher Klassik ausgebildet, kennen Bach, Beethoven, Mozart und passen insofern gut in den hiesigen Betrieb. „Die syrischen Musiker wollen kein Mitleid“, sagt auch Michael Dreyer, der das „Salam Syria“-Festival kuratierte sowie, seit 2005 schon, das Osnabrücker „Morgenland Festival“ künstlerisch verantwortet. „Die Zuhörer sollen nach dem Konzert nicht denken ,Die armen Syrer', sondern ,Das war toll‘.“

Da alle von Dreyer akquirierten Musiker exquisite Qualität liefern, funktioniert das auch. Diese Musiker haben freiwillig europäische Klassik studiert. Da sie in Syrien nur den Bachelor-Abschluss machen konnten, mussten sie für ihren Master zwangsläufig ins Ausland gehen – was viele schon lange vor dem Bürgerkrieg taten.

Wenn also Syrer und Deutsche zusammen Musik des Hamburger Juden Felix Mendelssohn- Bartholdy spielen, steht das auch für ein globales Zusammenrücken, ohne dass man ständig aufrechnet, wer sich mehr anpasst. „Wir wollen ein Gegenbild zur Zerstörung unserer syrischen Heimat zeigen“, sagt Orchestergründer Jazbeh. „Einen kulturellen Gegenentwurf zu den Elends-Bildern.“

Wider die Stereotype

Recht hat er: Die Bilder von Krieg und anonymen Flüchtlingsgruppen sind im Westen längst Stereotype. Da kommt so ein spendenfinanziertes Projektorchester wie das Sepo, das inzwischen auch international tourt, vielleicht gerade recht. Und mag auch manche Einladung ein Feigenblatt sein, bedeutet jedes Konzert auch eine Würdigung der Musiker, die oft noch in engen Unterkünften leben.

Dass der beanspruchte interkulturelle Dialog nicht immer ganz glatt läuft, zeigt sich beim 60-köpfigen syrisch-deutschen Projektchor, eigens gegründet für das Festival „Salam Syria“,. Denn der arabische Gesang kennt keine Mehrstimmigkeit, der europäische wiederum keine Vierteltöne. „Es war komisch, die Melodie in Sopran, Alt, Tenor, Bass zu unterteilen,“ sagt Hana Alkourbah aus Homs. „Außerdem singen bei uns immer alle drauflos. Bei den Hamburger Proben mussten wir uns nach den Noten richten, das klingt für uns manchmal komisch.“

Hörgewohnheiten ändern sich nur langsam

Wobei die Syrer sich meist schneller umstellten als die Deutschen, sagt Festival-Kurator Michael Dreyer. Denn ein Viertelton ist für Europäer schwer zu erkennen und klingt erstmal nur „schief“. Dabei gab es diese feineren Tonabstände in der Alten Musik bis zum Barock auch in Europa. Was heißt, dass ein arabisch-deutscher Chor auch den Europäern die Chance bietet, sich auf eine gemeinsame Tradition zu besinnen. Aber Hörgewohnheiten ändern sich langsam, das geht nicht von jetzt auf gleich.

Umso anrührender klangen die arabischen Lieder des Projektchors damals in der Elbphilharmonie: Bei den Liedern über eine einst intakte Heimat weinten da längst nicht nur die syrischen Zuhörer. Es war eine echte Hommage an die Zugereisten, die diesmal echte Gäste waren, von denen man etwas lernen konnte. Und die ihrerseits Lust hatten, hier zu lernen: Während des einjährigen Gasthörer-Projekts der Hamburger Hochschule für Musik und Theater zum Beispiel. Das hatte Musikprofessor Frank Böhme 2016 ins Leben gerufen.

Maßgabe der finanzierenden Hamburger Wissenschaftsbehörde war, möglichst viele Geflüchtete als Studenten zu gewinnen. Das gelang allerdings nicht, gerade mal zwei der 20 TeilnehmerInnen wurden ans – etwas niedrigschwelligere – Konservatorium vermittelt.

Kein Lehrberuf wie jeder andere

Das lag aus Sicht von Initiator Böhme auch daran, „dass der syrische Bachelor nicht der deutsche ist“. Und sei damit weitergegangen, dass viele syrische Musiker ein anderes Verständnis vom „Studieren“ hatten: „In Syrien ist Studieren dasselbe wie Lernen“, sagt Böhme. Musiker sei für viele ein Lehrberuf wie viele andere, den man auch als 20-Jähriger noch beginnen könne.

Dass das hier anders sei, habe man schwer vermitteln können – so wie überhaupt den Prüfungs- und Wettbewerbsgedanken: „Viele verstanden nicht, warum sie eine Aufnahmeprüfung machen sollen“, erzählt Böhme. „Warum wir ihnen rieten, in Hochschul-Konzerte zu gehen, um ihre Leistung einzuschätzen. Sie dachten: Ich will ein Instrument lernen, wozu soll ich mich mit anderen vergleichen?“

Ein angenehm unkompliziertes Denken, so unkompliziert wie der Wunsch einiger Oud-Virtuosen, die arabische Laute hier weiter studieren zu können. „Dabei gibt es in ganz Deutschland nur einen Oud-Professor“, sagt Böhme – „in Leipzig“. In Hamburg dagegen habe man „nicht mal ein Instrument“. Und ein geflüchteter Ingenieur wollte endlich die arabische Saz-Laute lernen – jetzt, wo der Vater fern war und ihm den Beruf nicht mehr vorschreiben konnte.

Projekt trotz Missverständnissen erfolgreich

Viele Missverständnisse hat es da gegeben, aber gescheitert will Böhme das Projekt nicht nennen. „Unsere Jazzer zum Beispiel waren von den improvisierenden syrischen Kollegen restlos begeistert, in dieser Sparte hat der Transfer hervorragend funktioniert“, sagt er. Außerdem habe man den Geflüchteten den hiesigen Kulturbetrieb gezeigt, sei in Theater, Konzerte, Museen gegangen. Und schließlich – und sei am wichtigsten – habe das gemeinsame Musizieren Freundschaften gestiftet und die Menschen stabilisiert.

Das ist wahr: Zwei Jahre lang residierte die Musikhochschule gerade in der Hamburger City Nord, einem architektonisch in die Jahre gekommenen Bürostadtteil – unmittelbar neben einer Flüchtlings-Unterkunft. Beim Abschlusskonzert war das Programm denn auch verändert, fremde Musiker wurden dazu geladen; die Stimmung: grandios, inklusive Spontan-Session bis in die Nacht.

Einmal allerdings hakte es auch dabei: Ein junger syrischer Klarinettist, der die arabischen Stücke erlesen spielte, verhaspelte sich bei Mozart. „Er hatte eine Blockade im Kopf“, sagt ein Betreuer. „Dachte, er könne diese fremde europäische Musik nicht spielen.“ Ein ganz privater Clash of Cultures, der fast schon wieder tröstlich ist. Die eigenen musikalischen Wurzeln lässt man eben nicht so schnell los.

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