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Symbolik beim SchwergewichtsboxenGottes Zeh aus der Ukraine

Oleksandr Usyk bleibt Box-Weltmeister. Das ist auch politisch bedeutend – aber als Held im Krieg gegen Russland taugt Usyk nur bedingt.

Oleksandr Usyk (li.) lässt Anthony Joshua keine Chance Foto: dpa/Ammar

D ie Meldung ist eigentlich eine kurze: Der Profiboxer Oleksandr Usyk hat seinen WM-Titel im Schwergewicht gegen Anthony Joshua erfolgreich verteidigt. Nun ist Usyk unumstritten Weltmeister von vier Verbänden.

Zu dieser Meldung kommen aber noch ein paar In­gre­di­en­zien:­ Ge­kämpft wurde nicht, wie ursprünglich vereinbart, in Kiew, sondern im Superdome von Dschidda in Saudi-Arabien. Den Aspekt des „Sportswashing“ sollte man also nicht außer Acht lassen.

Zudem ist Usyk Ukrainer. Eine Weile hatte er sich sogar zur Armee gemeldet. An der Front, wie es mitunter vermeldet wurde, war Usyk nicht, aber genau diese Behauptung passt doch so gut in die vermeintliche Symbolik. Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj hat Usyks Sieg sogleich symbolisch eingeordnet: „Schwieriger, aber so wichtiger und notwendiger Sieg!“, schrieb er auf Twitter, es zeige, dass man nicht aufgeben solle und auf jeden Fall gewinnen werde.

Die Klitschkos und die Ukraine

Zur Symbolik mag noch gehören, dass etwa die Erfolge der Klitschko-Brüder die Ukraine auf die „politischen Landkarte“ hievten. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ist hochpopulär und bestens vernetzt in EU und USA, und genau damit verkörpert er die Westöffnung des Landes nahezu idealtypisch.

Dennoch verbietet sich eine symbolische Deutung des aktuellen WM-Kampfes als Parabel auf den aktuellen Krieg. Zum einen, weil Usyk nicht gegen einen Russen boxte, sondern gegen den Briten Anthony Jo­shua.

Zudem ist Usyk gar nicht der strahlende ukrainische Held, als der er derzeit präsentiert wird: Noch vor einem Jahr war er in Russland weit beliebter. Der Hinkampf gegen Joshua wurde im russischen Fernsehen gezeigt, nicht im ukrainischen. Noch nach der Okkupation nannte er Russen und Ukrainer „ein Volk“, und seinen WM-Gürtel wolle er auf die Krim zurückbringen, hatte er erklärt. Die Symbolik, die Selenskyj meint, dürfte anders aussehen.

Tatsächlich hat Oleksandr Usyk eine sportpolitische Bedeutung, aber wie so oft ist es nicht die, die instrumentalisierungswütige Beobachter ausgeguckt haben. Das Profischwergewichtsboxen der Männer, dessen Titelträger doch, einem Wort Norman Mailers gemäß, jeweils der „große Zeh Gottes“ seien, wird seit beinah dreißig Jahren von Boxern dominiert, die entweder aus Großbritannien kommen oder aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Usyk steht eher in einer Reihe derer, die osteuropäische Ansprüche verkörpern.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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