Sven-Åke Johansson im Interview: „Eine Schallplatte aus Gummi“
Auf dem JazzFest Berlin ist Sven-Åke Johansson Ehrengast. Der Komponist und Performer spricht über Salatgurken und Feuerlöscher in der Musik.
Es ist ein leuchtender Herbsttag, als Sven-Åke Johansson in der offenen Wohnküche seines Studios in Berlin-Kreuzberg zum Interview empfängt. Auf der Garderobenablage sein Hut, den er auch bei Konzerten trägt, an den Wänden Zeichnungen von Bernd Koberling, Albert Oehlen und Martin Kippenberger – am Fenster ein Ölbild einer schwedischen Winterlandschaft, gemalt von seiner Tante: eine verschneite Baumallee neben brach liegenden Feldern.
taz: Sven-Åke Johansson, Sie leben seit 1968 in Westberlin. Ihr bisher einziger Auftritt beim Berliner JazzFest, damals noch Jazztage genannt, war 1972 mit Gunter Hampel. Heute, 50 Jahre später, widmet Ihnen das Festival einen Schwerpunkt mit drei Konzerten, einem Film und mit einem Künstlergespräch. Waren Sie von der Einladung überrascht?
Sven-Åke Johansson: Nun, ich habe mich natürlich gefreut. Meine Tätigkeit ist ja im Grunde nicht der Jazz, sondern die Erforschung von Klängen. Insofern entzieht sich meine Musik manchen Kategorisierungen. Jazz ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich tue.
Sie zählen dennoch zur ersten Generation des Europäischen Free Jazz.
Sven-Åke Johansson geboren 1943 in Schweden, begann mit 19 Jahren seine Bühnentätigkeit. Zuerst als Studiomusiker für Unterhaltungsmusik, dann als Free-Jazz-Schlagzeuger, Akkordeonist und Sänger, bevor er 1968 begann, im Berliner Zodiak Free Arts Lab mit Elektronik, Materialien und anderen Klängen zu experimentieren. Heute zählt er zu den Pionieren im Bereich freier Improvisation und elektronischer sowie akustischer, oft dadaistischer Performance.
Ja, aber im Verhältnis zu den späteren Jahren meiner künstlerischen Praxis war das nur eine kurze Zeit.
Ihre Auftritte sind immer auch Performances, bei denen Sie stets Anzug tragen, oft auch im Hut trommeln.
Das gehört zu meiner Bühnenfigur. Aber auch, weil ich mich wohl darin fühle, und zu einem Gentleman – und ich meine, einer zu sein – gehört ein Anzug.
Peter Brötzmann, auf dessen Signatur-Album „Machine Gun“ Sie zu hören sind, wurde 1967 von den Jazztagen ausgeladen, weil er sich geweigert hatte, einen Anzug zu tragen …
Ach diese alten Geschichten. Inzwischen trägt auch er topschicke Tweed-Jacketts.
Von Ihren vielfältigen Projekten wird es beim JazzFest einen Auftritt Ihres Trios Neuköllner Modelle geben sowie Aufführungen Ihrer Kompositionen „Stumps“ und „MM schäumend – Ouvertüre für 15 Handfeuerlöscher“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Komposition für 15 Feuerlöscher ist ein älteres Werk, wird aber zum ersten Mal auf der Hauptbühne des Berliner Festspielhauses zu sehen sein. Es ist ein kurzes Stück, das liegt an dem Inhalt der Geräte, der Laufzeit des Materials. MM steht natürlich für die Feuerlöscher-Firma Mini-Max, also mit kleinster Form maximale Wirkung erzielen.
Und „Stumps“?
Das sind Stümpfe, kurzgehauene Stücke, die ich für dieses Quintett in signalhaften kurzen Figurationen zusammengestellt habe.
Sie haben schon für Windräder komponiert, für Kartonagen und Traktoren. Eine Ihrer Kompositionen von 2020 trägt den Titel „Komposition für 10 + 1 Eierschneider“. Dazu die präzise Spielanweisung, diese zu zupfen oder mit einem Plektron zu spielen, während sie auf einem vorne geöffneten Holzkasten zu platzieren seien. Wurde diese Komposition schon einmal aufgeführt?
Nein, sie wird aber wahrscheinlich im April 2023 im Museum Hamburger Bahnhof aufgeführt. Von welchem Ensemble weiß ich noch nicht. Es müssen dann elf Spieler*innen sein.
Sie haben über sich gesagt, Sie stellen „nicht-hehre Klänge durch nicht-musikalische Gerätschaften zusammen“. Welche sind das?
Manchmal verwende ich anstelle von Drumsticks Salatgurken oder als Substitut für die klingenden Becken Schaumstoff, was das Gegenteil eines klingenden Beckens ist. Aber das Visuelle bringt den Ton zum Klingen und damit hinterfrage ich auch meine Tätigkeit als Batterist. Ich habe lange Jahre das Schlagzeug als Instrument auseinandergenommen, verstellt und umgedreht. Heute verwende ich wieder das Set im Originalzustand. Aber mit einer Spielweise, die nicht mit der herkömmlichen zu vergleichen ist.
Wann haben Sie als Musiker begonnen?
Ich war ja seit den 1960ern Funktionsmusiker, habe in Tanzbands gearbeitet und sogar bei Schlagern Schlagzeug gespielt. Daraus wurde dann mit der Zeit eine konzertante Form. Es war die Zeit des Pop, der vereinfachten Form von Harmonik und Rhythmik. Free Jazz war eine weitere, neue Form. Das änderte sich jedoch für mich, als ich nach Berlin kam und viele Einflüsse aus der bildenden Kunst bekam. Ich gründete dann meine Gruppe Moderne Norddeutsche Dorfmusik mit den verstorbenen Kollegen Eisbrenner und Götz, die aus der Kunst kamen.
Welche Rolle spielte das „Zodiak“?
Das Zodiak Free Arts Lab war ein Ort in Westberlin, wo sich viele Leute trafen, die mit Kunst zu tun hatten und aus verschiedenen Musikrichtungen kamen, etwa auch die erste Generation der Elektronik-Performance. Dort entstanden neue Aspekte, eine neue Einfachheit und eine Form des Erlaubens von Geräuschmitteln mit der Idee, neue Musik zu machen, die nicht unbedingt mit Notenschrift verbunden war.
Nach dem Ende des „Zodiak“ haben Sie längere Zeit in einer kommunalen Künstler*innengruppe in einem Kloster in Mariental gelebt, dem „Mariental – Kollektiv für künstlerische und ästhetische Forschung“. Wie war das?
Das war ein ehemaliges Zisterzienserkloster, das uns über die Kunsthochschule in Braunschweig zur Verfügung gestellt worden war. Da haben wir viele musikalische Experimente gemacht, man hört diese Bänder noch heute mit Genuss. Für unseren Lebensunterhalt haben wir Kindern in einem Kindergarten in Wolfsburg modernen Unterricht gegeben, wie man mit Rasseln und alten Blecheimern Lärm macht. Es gab den Verdacht, im Kloster hätten sich Mitglieder der RAF versteckt. Die Polizei stand immer wieder nachts auf dem Hof. Das war die heiße Zeit im Deutschen Herbst, 1977 und 1978.
Das Berliner JazzFest 2022 widmet dem schwedischen Klangforscher, Komponisten, Künstler und Dichter einen Schwerpunkt.
„MM“, u. a. mit Hamid Drake und Peter Brötzmann, 4. November, Haus der Berliner Festspiele
„Blue for a Moment“, ein Dokfilm über Johannson von Antoine Prum, 5. November, Haus der Berliner Festspiele
„Stumps“, 6. November, Haus der Berliner Festspiele
Wie lernten Sie die bildenden Künstler Albert Oehlen und Martin Kippenberger kennen, mit denen Sie viel gearbeitet haben?
Ich lernte die Brüder Oehlen bei einem Konzert in Hamburg kennen und dann in Berlin Martin Kippenberger, der an dieser Art des Musikmachens interessiert war, weil er selbst eine Bühnengestalt war und in verschiedenen Chimären agierte.
Sie haben auch mit Sonic Youth und Kim Gordon gespielt.
Das war für ein Konzert im Jahr 2000 in der schwedischen Kleinstadt Ystad im Stadttheater. Da gab es verschiedene Workshops in den ganzen Räumen und abends Konzerte mit verschiedenen Gästen. Da habe ich auch mit Sonic Youth gespielt. Leider sind die Bänder eingefroren, in irgendeinem Keller, bis jetzt wurden sie leider nicht zugänglich gemacht.
Wie sehen Sie die Szene um Jazz und Freie Musik im Moment?
Ich finde sie sehr lebendig. Allerdings gehe ich in meinem Alter nicht mehr so viel aus, um mir etwas anzuhören. Das ist mir zu anstrengend. Ich finde es aber außerordentlich interessant, heute noch mit Berlin verbunden zu sein, diese vernarbte Stadt tagtäglich zu erleben. Ich habe hier meine Ideen bekommen und weiterentwickelt, neue Wege und Sichten der Musik.
Ihre Vinyl-Editionen erscheinen in kleinen, teilweise nummerierten und signierten Auflagen. Auch für das JazzFest haben Sie eine besondere Auflage geplant.
Eine Edition von „Stumps“. Es wird mit einem von mir gezeichneten Cover eine Schallplatte aus Gummi sein, ohne Rillen. Man kann sie zwar als Kunstobjekt auf dem Plattenspieler rotieren lassen, aber die Musik dazu kommt über einen aufgestanzten QR-Code. Es ist doch so, dass die neuen Schallplatten zusätzlich mit einem Code kommen. Das ist dann doppelt gemoppelt. Und hier ist es eben einfach gemoppelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann