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Suttgart 21Gewagter Schritt zum Volksentscheid

Die Regierung in Stuttgart plant ein "Kündigungsgesetz", das im Parlament im Herbst absichtlich scheitern soll. Es soll die Voraussetzung für einen Volksentscheid sein.

Die rot-grüne Landesregierung will einen Volksentscheid zu Stuttgart 21. Bild: dpa

STUTTGART afp | Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat die ersten formalen Voraussetzungen für einen Volksentscheid über das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 geschaffen. Das Kabinett beschloss mehrheitlich einen Gesetzentwurf, mit dem das Land den Finanzierungsvertrag für das Milliardenprojekt kündigen kann. Die Koalitionäre wollen das Gesetz dann im Landtag gezielt scheitern lassen, damit die Bürger in einem Volksentscheid über die Zukunft des Projekts befinden können. Dieser Weg soll auch der Befriedung innerhalb der Koalition dienen: Die SPD ist für Stuttgart 21, die Grünen sind dagegen.

Die meisten SPD-Mitglieder des Kabinetts sprachen sich gegen eine Kündigung der bestehenden Verträge aus und lehnten den Gesetzentwurf im Kabinett ab. Sollte das Gesetz nach der Sommerpause bei der Lesung im Parlament an den SPD-Abgeordneten scheitern, will die Regierung das Gesetz dem Volk zur Entscheidung vorlegen.

Die Grünen begründeten den Schritt mit immer neuen Kostenrisiken. "Vor diesen Kostensteigerungen wollen wir den Steuerzahler bewahren", erklärte Verkehrsminister Winfried Hermann. Der unterirdische Durchgangsbahnhof soll 4,1 Milliarden Euro, die Risikoreserve 400 Millionen Euro kosten. Bei Planungsbeginn 1995 waren rund 2,55 Milliarden Euro veranschlagt worden.

Justizminister Rainer Stickelberger, der als einziges SPD-Mitglied des Kabinetts in der Sitzung mit den Grünen stimmte, erklärte, mit dem sogenannten S-21-Kündigungsgesetz werde "verfassungsrechtliches Neuland" betreten. Unter Juristen ist umstritten, ob der Ausstieg aus der Finanzierungszusage des Landes tatsächlich über einen Volksentscheid entschieden werden kann. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hält solch einen Weg für möglich.

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11 Kommentare

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  • L
    Lenny

    Na endlich kommt der Volksentscheid!!

     

    Und wenn sich nicht einmal 30% der Wahlberechtigten für das im Entscheid vorgelegte Gesetz aussprechen, zeigt das halt, dass das Volk dieses Gesetz nicht will.

    Ferig.

     

    Warum sollten die Gegner von S21 das dann nicht akzeptieren?

  • S
    Schroedingers

    @Lena

     

    Das wird ein VERDAMMT teurer Kinderspielplatz!

  • B
    Bürgerle

    Die Auflagen und Abokündigungen der Stuttgarter Zeitung sprechen wohl eine andere Sprache. ;-)

     

    Toll das die TAZ die Kontextzeitung bringt.

     

    Der Artikel zum Thema IG Bürger ist auch bezeichnend. Nichts ist so gut, wie das aufzeigen von PR-Tricks. Davon verstehen die Bahn und ihre Bündnispartner sicher einiges. Nur mit Mehrheiten hat das nichts zu tun, auch wenn die eigens angefertigten Umfragen das angeblich belegen.

     

    Die Bahn zittert vor dem Volksentscheid.

  • DB
    Detlef Bosau

    Die Grünen haben im Kabinett für das Kündigungsgesetz gestimmt, die Roten dagegen. Symptomatisch für eine Koalition, die vom ersten Tag an nicht arbeitsfähig war.

     

    Das Ergebnis des Volksentscheids ist dabei völlig irrelevant. Selbst _wenn_ es zum benötigten Quorum (ein Drittel der Wahlberechtigten muß zustimmen, BaWü Landesverfassung, Artikel 60, damit rechnet kein Mensch!) kommt, ist ein Ausstieg des Landes Baden-Württemberg aus meiner Sicht so nicht erreichbar. Wir haben in Deutschland den Rechtsgrundsatz der Vertragstreue. Und auf die wird sich die Bahn berufen.

     

    Ich bin gegen Stuttgart 21. Aber ich bin vernünftig genug, um ein sinnfreies Kasperltheater als solches zu erkennen. Und bei dieser Volksbefragung wird viel Geld hinausgeworfen, ohne daß das Ergebnis irgendwen interessiert. Konsequenterweise sollten wir den Volksentscheid schlicht bleiben lassen.

  • A
    Antifaschist

    Ein hoch auf den Internationalen Patriotismus oder wie?

     

    Ich könnte kotzen bei solchen Komentaren wie den von "Marco" und dem Rechtspopulist insbesondere mit Blick auf die Ereignisse der letzten Tage!

     

    (@TAZ: Warum lese ich in letzter Zeit eigenlich so viel Rechten Müll in den TAZ Komentaren???)

  • W
    wolfgang

    Was soll ein Volksentscheid, dessen Ergebnis schon jetzt feststeht angesichts des Quorums von 30 Prozent aller Wahlberechtigten? Die Gegner von S21 werden diese Abstimmung ebenso wenig akzeptieren wie die sogenannte Schlichtung unter Geißler, deren Ergebnis ebenso von Anfang an feststand ("Der Bahnhof wird sowie gebaut", Dr. G.). Die Regierungsparteien hoffen, auf diese Weise ein Streitthema vom Koalitionstisch zu bekommen, indem sie das Volk befragen. Den Streit um S21 kann ein Volksentscheid auf dieser Basis nicht beenden, weil die Legitimation der Voraussetzungen angezweifelt wird - ebenso wie beim Streitthema selbst: die Legitimität des gesamten Entscheidungsprozesses während der vergangenen 17 Jahre. Eines wird ein Volksentscheid auf jeden Fall tun: Er wird dem Tiefbahnhof ein weiteres demokratisches Mäntelchen umlegen, und am Ende wird es wohl so aussehen, dass der Bahnhof gebaut wird und die Gegner Recht behalten werden (als Zyniker könnte man das sogar in gewisser Weise salomonisch nennen). Recht bekommen - und darauf kommt es an - haben die Befürworter. Vielleicht trägt dieser "Volksentscheid" ja aber auch dazu bei, dass man auch in Baden-Württemberg über eine echte Bürgerbeteiligung nachdenkt - einem "Musterländle" würde das ja nicht schlecht zu Gesicht stehen. Zu befürchten ist aber, dass das momentane Interesse an unserer Demokratie wieder einschlummert, sobald das Interesse am Thema Stuttgart 21 nachlässt, und dass mit einem ungewollten Bahnhof auch die Regeln seines Entstehens akzeptiert werden. Das wäre fast noch schlimmer als ein skandalöses Verkehrs- und Immobilienprojekt.

  • M
    Martin

    Spielplätze statt Schotterwüste!

  • V
    vic

    Der Volksentscheid ist natürlich angesagt.

    Wer so lange gegackert hat, muss das Ei irgendwann auch legen.

    Aber ach, die Stuttgarter sind mehrheitlich für S21, glaubt man den Umfragen der Stuttgarter Zeitung.

    Spiel, Satz, Sieg: Grube, Mappus, Schuster, Business.

  • L
    Lena

    Tolles Foto. Dort könnte der neue Schlosspark oder ein Kinderspielplatz sein. Aber die Gegner wollen, daß das so bleibt. Brrrr

  • M
    Marcos

    So sieht's aus. Es wird mein Steuergeld benutzt, also will ich auch gefragt werde.

     

    (Würde natürlich für S21 stimmen, da ist das Geld besser aufgehoben als für notleidene Staaten oder für die Islamisten in Somalia)

  • B
    broxx (Rechtspopulist)

    Volksentscheid wäre klasse. Dann aber die ganze Republik entscheiden lassen!