Supermarkt Initiative: Utopie für Anfänger
Unsere Autorin ist Mitglied eines genossenschaftlichen Supermarkts, lässt beim Engagement aber andere vor. Ein Plädoyer fürs Trittbrettfahren.
Manchmal sitze ich an der Kasse, ziehe Artikel für Artikel über den Scanner und lebe eine besonders unscheinbare Utopie. Gelegentlich muss ich kurz bei meinem Gegenüber nachfragen: Ist das hier eine Pastinake oder eine Petersilienwurzel? Weißt du noch, welche Sorte Äpfel du genommen hast? Warte, ich halt die kleinen Tomaten kurz in der Hand, während du das Pesto in der Tasche verstaust, dann werden die da drunter nicht zerquetscht.
Wir haben Zeit. Zumindest ein bisschen. Schon das ist eigentlich utopisch für eine deutsche Supermarktkasse. Und dann gehört uns der Laden auch noch.
Die SuperCoop in Berlin ist ein genossenschaftlicher Supermarkt, den es seit fast zwei Jahren gibt. Wer hier einkaufen will, muss Mitglied werden. Das kostet einmalig 100 Euro für einen Anteil, plus eine kleine Verwaltungsgebühr. Und dann drei Stunden Arbeit im Monat. Die kann man kassierend verbringen oder mit Regaleinräumen, man kann im Mitgliederbüro bei der Verwaltung helfen, frischen Käse schneiden und abpacken, Videos für Social Media drehen, putzen oder Neulinge mit allen nötigen Infos willkommen heißen.
Dafür ist fast alles günstig. Nicht unbedingt im Vergleich zu Sonderangeboten bei Discountern. Aber deutlich billiger als im Bioladen, und der Vergleich hinkt nicht, denn auch in der SuperCoop ist fast alles bio. Nur ganz vereinzelt findet sich zwischen vielen weißen Preisschildern ein blassrotes in den Regalen. „Ausnahmsweise nicht bio“ bedeutet das. Ein Grund dafür kann sein, dass es sich um ein besonders regionales Produkt handelt, wie das Bier der kleinen Brauerei direkt nebenan. In anderen Fällen soll es in einer tendenziell teuren Produktkategorie auch eine etwas preiswertere Option geben. Und (Bio-) Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Linsen oder Mehl werden sowieso mit einer geringeren Gewinnmarge verkauft. Die erkennt man an blassgrünen Preisschildern.
Standard oder Utopie?
Die SuperCoop liegt im Stadtteil Wedding, wo wie überall im halbwegs zentralen Berlin mittlerweile der Mietenwahnsinn um sich greift, aber noch nicht so lange wie in anderen Gegenden. Es gibt hier also immer noch ganz verschiedene Leute. Die sollen auch alle Mitglied werden können, wenn sie wollen. Wen der initiale Mitgliedsbeitrag abschreckt, der kann ihn auch in ganz kleinen Raten zahlen. Oder gar nicht, denn manche Mitglieder finanzieren Soli-Anteile.
Was in die Regale kommt, entscheiden die Mitglieder gemeinsam. Am liebsten natürlich gesundes und leckeres Essen. Eigentlich ein ganz normaler Wunsch, und trotzdem nehmen Hunger und Mangelernährung weltweit wieder zu – auch in Deutschland. Auf drei Millionen schätzte der Wissenschaftliche Beirat des Bundesagrarministeriums im vergangenen Jahr die Zahl der Menschen hier, die sich eine gesunde Ernährung nicht leisten können. Also immer noch Utopie, die ganz normale Idee.
Manchmal komme ich mir dabei aber wie eine schlechte Utopistin vor. Wenn wieder eine Email kommt, die den Termin des nächsten Mitgliedertreffens ankündigt, klicke ich sie schnell weg. Da habe ich nämlich bestimmt schon was vor. Die Wahrheit ist: Länger als drei Stunden im Monat kann ich wirklich keine Gedanken an einen Supermarkt verschwenden, selbst wenn es (auch) meiner ist. So viel Begeisterung bringe ich doch nicht auf.
Andere können mehr Utopie
Es gibt zum Glück Leute, die das besser können. Die vier Gründerinnen natürlich, die so ein Projekt überhaupt in Angriff genommen und mitten in einer Pandemie eine mittlerweile fast 1.500-köpfige Community aufgebaut haben. Oder die vielen Mitglieder, die sich über ihre Schichten hinaus in Arbeitsgruppen zu allen möglichen Themen engagieren, um den Supermarkt zu einem noch cooleren Ort zu machen und etwa gerade ein kleines Café in einer Ladenecke aufgebaut haben.
Aber zum Beispiel auch eine taz-Kollegin, die seit ein paar Monaten ebenfalls Mitglied ist und sogar bei der letzten Versammlung war. Davon kann ich nutznießen und weiß, was besprochen wurde. Unter anderem ging es darum, wie wir mit Personen umgehen, die so viele Schichten verpasst haben, dass ein Nachholen im Grunde aussichtslos ist. Irgendwann werden diese Mitglieder „eingefroren“, dürfen den Laden nicht mehr nutzen.
Soll man nicht wieder zum aktiven Mitglied werden können, indem man pro ausgefallener Schicht einen Betrag zahlt? Nein, hat die Versammlung entschieden, obwohl einige dafür gewesen wären. Plot-Twist: Die Leute können stattdessen einfach so wieder kommen, es gab einen Schichtschuldenschnitt. Freikaufen für Gutverdienende und Ausschluss für alle anderen passt hingegen nicht zu uns. Macht das nicht Mut?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wahrscheinlich werde ich trotzdem weiter nur das Nötigste machen, ich gebe es zu. Aber vielleicht ist das gar nichts Schlechtes. Utopien brauchen auch diejenigen, die auf das Trittbrett des fahrenden Zugs aufspringen und mitfahren. Die SuperCoop zum Beispiel: Es waren keine 1.500 Gründer*innen nötig und eine volle Besetzung bei jeder einzelnen Diskussion stelle ich mir fast hinderlich vor – aber langfristig brauchen wir ungefähr 1.700 aktive Mitglieder, die monatlich 110 Euro im Supermarkt ausgeben, damit sich der Laden trägt. Leute, die Dienst nach Vorschrift machen und ansonsten einfach nur ihren Einkauf erledigen.
Dass daraus viel wachsen kann, zeigen die Vorbilder der SuperCoop aus anderen Ländern. In Paris gibt es seit 2017 den Supermarkt La Louve, der nach dem gleichen Modell arbeitet. Und in der Park Slope Food Coop in New York, die seit 1973 und damit mehr als ein halbes Jahrhundert existiert, machen schon 17.000 Menschen mit.
Dieser Text stammt aus dem taz-Newsletter Team Zukunft, der jeden Donnerstag verschickt wird. Hier können Sie ihn abbonieren: taz.de/teamzukunft
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