Suizidhilfe und Justiz: Arzt wegen Sterbehilfe angeklagt
Dürfen Mediziner psychisch Kranken beim Suizid helfen? Dafür steht jetzt in Berlin ein ehemaliger Hausarzt vor dem Landgericht.
![Der angeklagte Arzt und sein Anwalt vor Gericht. im Hintergrund die Richter und die Schöffen Der angeklagte Arzt und sein Anwalt vor Gericht. im Hintergrund die Richter und die Schöffen](https://taz.de/picture/6838881/14/34707394-1.jpeg)
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorger*innen zu chatten.
Am Dienstag begann der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht in Berlin. Angeklagt ist T. wegen Totschlags „in mittelbarer Täterschaft“. Dafür drohen ihm fünf Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Hausarzt und Internisten aus Berlin-Steglitz vor, der Frau bei ihrer Selbsttötung geholfen zu haben, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer „schweren depressiven Episode“ „nicht zur freien Willensbildung in der Lage gewesen sei“, heißt es in der Anklageschrift.
Suizidhilfe durch Ärzt:innen ist nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 nicht mehr strafbar. Der oder die Sterbewillige muss sich allerdings „freiverantwortlich“ zur Selbsttötung entscheiden können. Eine „freie Suizidentscheidung“ setze voraus, dass der oder die Betroffene ihren Willen „frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden“ könne, urteilte das Bundesverfassungsgericht.
Der Arzt hatte schon in vielen Fällen Sterbehilfe geleistet und war durch einen Prozess am Bundesgerichtshof medial bekannt. Isabell R. fand seine Kontaktdaten im Internet, kontaktierte ihn am 12. Juni 2021 und bat ihn um Hilfe.
Ein langes Gespräch
Er führte ein anderthalbstündiges Gespräch mit ihr. Darin sagte die Studentin der Tiermedizin ihm zufolge, sie hätte schon seit 16 Jahren an Depressionen gelitten und diese seien trotz jahrelanger Behandlung mit Medikamenten und Psychotherapie immer wieder gekommen – sie könne nicht mehr.
Die Frau habe drei Suizidversuche hinter sich und habe den vierten „akribisch geplant“, schilderte der Arzt am Dienstag vor Gericht. Sie hätte angekündigt, sich im Badezimmer zu erhängen, wenn ihr T. nicht helfe.
Der Arzt erklärte, er hätte erwogen, einen psychiatrischen Gutachter heranzuziehen, um die Freiverantwortlichkeit von R. bestätigen zu lassen. Sterbehilfeorganisationen verlangen ein solches Gutachten häufig, wenn Suizidwillige eine psychiatrische Vorgeschichte haben. R. habe ihn gefragt, was das koste, schilderte T. Er habe ihr gesagt, rund 1.000 Euro. Sie habe gesagt, 1.000 Euro habe sie nicht. Ein Gutachten zu erstellen dauere ihr auch zu lange.
Direkt ins Hotel
T. stellte ihr in einem ersten Suizidversuch in ihrer Wohnung einen Medikamentencocktail zur Verfügung, der oft eingesetzt wird. Doch Isabell R. erbrach die Medikamente, ein Bekannter alarmierte den Rettungsdienst, und R. wurde in die Psychiatrie eingewiesen. Am 12. Juli wurde sie entlassen, fuhr direkt in ein Hotel in Berlin-Lichterfelde und rief T. zu sich, der ihr nun die tödliche Infusion legte, die sie selbst startete.
Die Staatsanwaltschaft wertete die 121 Nachrichten von Isabell R. auf T.s Geräten aus, die sie ihm innerhalb eines Monats schickte. Die Mehrzahl der Nachrichten beherrscht der Suizidwunsch, aber in 6 der 121 Nachrichten spricht R. davon, vielleicht doch weiterleben zu wollen. Dieser Wunsch sei allerdings „nur ganz flüchtig“ gewesen, erklärte T. Er habe das „quantitativ abgewogen“. „Ich hätte sagen können, Sie sind ambivalent, das mache ich nicht. Dann hätte sie sich aufgeknüpft“, so T. Das Landgericht hat neun weitere Verhandlungstage bis zum 26. März angesetzt.
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