Südtirol klagt gegen Umweltschützer: Pestizidrebellen vor Gericht
Eine Region in Norditalien zieht wegen „übler Nachrede“ gegen konventionellen Apfelanbau vor Gericht. Kritiker sollen offenbar mundtot gemacht werden.
Bei diesem einen Prozess soll es nicht bleiben. Arnold Schuler, Landesrat für Landwirtschaft in der Südtiroler Regierung, klagte im Jahr 2017 nicht nur gegen Bär, sondern auch gegen sechs gegenwärtige und ehemalige Vorstandmitglieder des Umweltinstituts München, weil es die Kampagne „Pestizidtirol“ organisiert hatte.
Und auch den Buchautor Alexander Schiebel sowie seinen Verleger Jacob Radloff würde Schuler gern auf der Anklagebank sehen. Der Vorwurf: Die selbsternannten „Pestizidrebellen“ hätten den Südtiroler Bauern und der Provinz schweren Schaden zugefügt.
Im Apfelgeschäft ist Südtirol ein gewichtiger Player: 7.000 Erzeuger gibt es, 10 Prozent der in der EU verzehrten Äpfel kommen aus der Region. Das soll auch so bleiben. Auch deshalb landet wieder einmal ein Konflikt um die Landwirtschaft vor Gericht in Bozen.
„Wunder von Mals“
Denn in der Alpenregion hatte sich von 2014 an das „Malser Wunder“ ereignet: Die 5.000-Einwohner-Gemeinde Mals im Vinschgau hatte damals mit einem kommunalen Volksentscheid den Einsatz von Pestiziden auf ihrem Territorium praktisch unmöglich gemacht.
Es war ein erstes Fanal gegen die Apfel-Monokultur, die mittlerweile die Täler Südtirols prägt und die mit kräftigem Einsatz von Pestiziden gegen Pilze und Insekten einhergeht. Die Südtiroler Landesregierung reagierte jedoch umgehend und schränkte die kommunalen Kompetenzen im Umweltschutz drastisch ein.
Umgehend reagierten 130 Landwirte mit einer Klage gegen den Volksentscheid. Vor dem Verwaltungsgericht in Bozen bekamen sie recht, da die Gemeinde für ein Pestizidverbot „nicht zuständig“ sei. Die Gemeinde Mals allerdings legte vor dem Staatsrat in Rom Berufung ein, über die noch nicht entschieden ist.
Bürgermeister vor Gericht gezerrt
Zugleich zerrte die Staatsanwaltschaft Bozen Bürgermeister Ulrich Veith vor Gericht, weil der mit dem Referendum 25.000 Euro öffentliche Gelder veruntreut habe. Der Rechnungshof Bozen allerdings wies diese Klage ab und sprach Veith frei.
Nun soll offenbar mit den neuen Klagen die Kritik an „Pestizidtirol“ mundtot gemacht werden. Selbst über den Begriff „Monokultur“ regt Landesrat Schuler sich in seiner Klageschrift auf. Hier betont er, hoher Pestizideinsatz sei nun einmal ein Spezifikum des Apfel- ebenso wie des Weinanbaus. Den Autor des Buchs „Das Wunder von Mals“ hat Schuler auf dem Kieker, weil dieser von den Gefahren der Pestizide, ja von „Tötung durch vorsätzliches Ignorieren von Gefahren“ spricht.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung wollen da weder Schuler noch die Bozener Staatsanwälte gelten lassen. Anders sah das der Leitende Oberstaatsanwalt in München: Er schmetterte ein Rechtshilfeersuchen der Bozener Kollegen gegen das Umweltinstitut ab.
Gefährlich können die Verfahren den beklagten Umweltaktivist*innen vor allem deshalb werden, weil ihnen im Fall einer Verurteilung neben einer Geldstrafe die Übernahme der Verfahrenskosten droht. Bis zu 1.600 Landwirte haben sich den verschiedenen Klagen Schulers als Nebenkläger angeschlossen. Sie könnten anschließend in Zivilverfahren Zahlungen in Millionenhöhe von Karl Bär oder Alexander Schiebel einfordern – und sie so ökonomisch ruinieren.
Dennoch lässt sich die Gemeinde Mals vorerst nicht beirren: Der Kampf für pestizidfreie Landwirtschaft soll fortgesetzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren