Substitutionsambulanz vor dem Aus: Drogenhilfe sucht neuen Vermieter

Die Substitutionsambulanz in Kreuzberg verliert ihre Räume – und ruft mit einer Kundgebung um Hilfe. Ein erstes Angebot gibt es wohl bereits.

Etwa 250 Menschen kamen zum Protest zum Erhalt der Drogenambulanz in Berlin-Kreuzberg Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Charlie Bonilla ist mit seinem Kind gekommen. „Substitution ermöglicht uns ein Familienleben“, steht in Schnörkelschrift auf seinem selbst gemalten Pappschild, der 3-jährige Sohn auf seinen Schultern hält es fest umklammert. Bonilla, ein junger Mann mit braunem Strubbelhaar, ist Patient der AID, der Ambulanz für integrierte Drogenhilfe, die am Montag Mittag zum Protest an den Checkpoint Charlie gerufen hat. Denn die Ambulanz muss zum Jahresende raus aus ihren Räumen in der Kochstraße, Ecke Friedrichstraße – für die 350 Pa­ti­en­t*in­nen eine Katastrophe.

„Wenn ich morgen keine Substitution mehr bekomme, hätte ich übermorgen ein Riesen-Problem“, sagt Bonilla. Seit 2016 kommt er hierher, inzwischen nur noch einmal pro Woche. Ob er einen Platz in einer anderen Praxis bekommt, die Ersatzstoffe ausgibt, bekommt, ist fraglich – es gibt viel zu wenige solcher Praxen in Berlin. Darum müsste er wohl ins Krankenhaus, wenn die AID schließt, befürchtet Bonilla: ein Drogenrückfall komme für ihn nicht in Frage. „Um mein Kind könnte ich mich dann erstmal nicht mehr kümmern.“

Gut 250 De­mons­tran­t*in­nen sind dem Protestaufruf der AID und ihrem Trägerverein Notdienst Berlin gefolgt. Punkt 12 Uhr am Montag Mittag strömen sie auf die Kreuzung, die Polizei hat den Verkehr für die angemeldete Kundgebung umgeleitet. Die Nachricht, dass Berlins älteste und größte Subtitutionsambulanz vor dem Aus steht, hat neben Mitarbeitenden und Pa­ti­en­t*in­nen auch Un­ter­stüt­ze­r*in­nen von anderen Trägern der Drogenhilfe auf die Straße getrieben. „Suchtkranke gehören zur Gesellschaft“ heißt es auf einem Plakat, andere fordern, der zunehmenden Verdrängung von gesellschaftlichen Randgruppen an den Stadtrand etwas entgegen zu setzen.

Denn dass Sozialunternehmen oder Vereine aus Innenstadtbereichen verdrängt werden, weil ihre Gewerbemietverträge nicht verlängert oder drastisch verteuert werden, ist längst gang und gäbe in Berlin. Diesmal ist der Vermieter selbst ein „sozialer“ Träger: Die Malteser Stiftung wolle das Eckhaus sanieren und dann zu „marktüblichen Preisen vermieten“, echauffiert sich Norbert Lyonn, ärztlicher Leiter des AID, in seiner Rede. Ein Sprecher der Malteser erklärt auf taz-Anfrage, die Stiftung müsse „gemäß Satzung und Stiftungsrecht für einen dauerhaften Kapitalerhalt sorgen“. Warum dies nicht mit der AID als Mieterin möglich ist, schreibt er nicht.

„Wo hat Drogenhilfe ihren Platz?“

Auf dem „normalen“ Markt wiederum hat ein Mieter wie die AID kaum eine Chance. „Viele Vermieter sehen in uns ein Risiko. Aber das ist nicht real, wir hatten noch nie nachbarschaftliche Probleme. Unsere Pa­ti­en­t*in­nen stören niemanden“, betont Michael Frommhold, Geschäftsführer vom Träger Notdienst Berlin. Zudem seien Gewerbemietpreise von 30 Euro pro Quadratmeter im Innenstadtbereich zwar inzwischen „normal“, doch für soziale Träger nicht zu stemmen. Der neue Senat, ruft er unter dem Beifall seiner Mitstreiter*innen, müsse sich daher dringend mit der Frage befassen: „Wo hat die Drogenhilfe ihren Platz?“

Seit 1997 gibt es die AID in Kreuzberg, inzwischen arbeitet der Träger an 17 weiteren Berliner Standorten, seit 2002 gibt es die Räume in der Kochstraße 15. Hier bekommen 350 Schwerstabhängige von drei Ärzten ihren Drogenersatzstoff, etwa Methadon oder Subutex. Zudem beraten zehn So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen in psychosozialen Belangen: Sie helfen bei der Beschaffung von Personalausweis und Gesundheitskarte, bei Anträgen auf Transferleistungen, der Suche nach Wohnungen, Beschäftigung oder Arbeit. Dieses Konzept, so Frommhold in seiner Rede, werde bundesweit in Fachkreisen als „vorbildlich und handlungsleitend“ angesehen. Lyonn ergänzt: „Hier wird – für die meisten Ber­li­ne­r*in­nen unsichtbar – täglich 350 Leuten geholfen, ein normales Leben zu führen.“

Angesichts dessen sei es geradezu „skandalös“, dass sich die Landespolitik, die man schon zu Jahresbeginn auf das Problem angesprochen habe, lange nicht gekümmert habe, so der Geschäftsführer zur taz. Zwar habe die Drogenbeauftragte des Senats den Verein bei der bislang vergeblichen Suche nach neuen Räumen unterstützt – und immerhin erreicht, dass die AID einen Monat länger – bis Ende Januar – in der Kochstraße bleiben darf. Doch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) und ihr Staatssekretär hätten über Monate nicht auf seine Bitte um Hilfe reagiert, beschwert er sich. „Beide waren ein absoluter Totalausfall!“

Kalayci wies diesen Vorwurf, den Frommhold seit Tagen medial verbreitet, vorigen Dienstag in der Senatspressekonferenz scharf zurück. „Sie können sich vorstellen, dass eine Senatorin keine Räumlichkeitsmöglichkeiten hat“, sagte sie dem RBB. Und: „Ich finde den Umgang ‚Die Senatorin hat sich nicht gekümmert‘ nicht hilfreich.“

Appell an Vermieter

Doch der Geschäftsführer bleibt dabei: Auf seine Anfrage, ob die Senatorin ihn nicht an die Berliner Immobilienmanagement (BIM) vermitteln könne, die über 5.000 landeseigene Immobilien verwaltet, habe Kalayci nie reagiert. Erst kürzlich sei der Kontakt doch zustande gekommen – „ganz unkompliziert“ über Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke), sagt er.

Und so gibt es nun immerhin etwas Hoffnung: Die BIM hat laut Frommhold zum einen Räume in Prenzlauer Berg angeboten, zum anderen eine „Containerlösung“, die eventuell am Anhalter Bahnhof stattfinden könne. Beides wäre nicht ideal: das eine nur ein Provisorium, das andere eigentlich zu weit weg. „Aber wir schauen uns alles genau an“, sagt Frommhold. „Wir sind dankbar für jeden Strohhalm.“

Derweil schließt Arzt Lyonn seine Rede mit einem Appell an alle Vermieter, die „hier in der Nähe Büroflächen haben, teils auch viel Leerstand: Wir bitten Sie inständig um Hilfe!“

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