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Stuttgart 21 wird noch viel teuerProgrammiertes Desaster

Rund zehn Milliarden Euro soll das Projekt Stuttgarter Bahnhof nun kosten. Da geht Stuttgarts grünem OB die Muffe.

Die Kostenspirale für Stuttgart 21 dreht sich weiter Foto: dpa

Berlin taz | Endlich: Als erster grüner Spitzenpolitiker problematisiert Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn den Weiterbau von Stuttgart 21. Nachdem bekannt geworden ist, dass der Bundesrechnungshof für den Bau des unterirdischen Bahnhofs bis zu 10 Milliarden Euro Kosten veranschlagt, verlangt Kuhn vom Bund eine belastbare Aussage. Er will wissen, „ob die Deutsche Bahn in der Lage ist, das Projekt im vereinbarten Zeitrahmen zu bauen und ob er die Finanzierung sicherstellt“. Ein weiteres Hinhalten belaste nur das ohnehin angeschlagene Vertrauen.

Bei Baubeginn 2010 hatte das Projekt 4 Milliarden Euro teuer sein sollen. Im Juni hatte die Bahn erhebliche Proble­me und damit Gesamtkosten von 6,5 Milliarden Euro eingeräumt – da ging es um Lärm- und Brandschutz, Verbesserungen im Tunnelbau und fehlende Baufreigaben. Wenn der Rechnungshof der Bundesregierung jetzt in seiner lange erwarteten Prüfmitteilung von 10 Milliarden Euro ausgeht, ist Stuttgart 21 ziemlich genau so teuer, wie seine Gegner schon lange errechnet haben.

Seit der Volksabstimmung von 2011, die eine klare Mehrheit für den Tiefbahnhof gebracht hatte, hatten sich die zuständigen Grünen in Land und Stadt – Ministerpräsident Winfried Kretschmann, sein Verkehrsminister Winfried Hermann sowie Stuttgarts OB Kuhn – mit Äußerungen zurückgehalten, die das Projekt relativieren könnten. Inzwischen erhöhen die entschiedenen Gegner aber den Druck auf die grün-schwarze Landesregierung.

„Es kann nicht sein, dass Verkehrsminister Hermann und der Stuttgarter OB Kuhn weiter dumm-doof die von Bahnchef Grube präsentierten Zahlen glauben, obwohl alle Welt weiß, dass sie völlig unrea­listisch sind – jetzt sogar vom Bundesrechnungshof bestätigt“, sagte der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann. „Hoch bezahlte Politiker“ sollten nicht „jeden Schwachsinn der Bahn glauben“.

Politiker sollen nicht jeden Schwachsinn der Bahn glauben

Matthias von Herrmann

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat erneut eine Variante ins Spiel gebracht, die die Landtagsfraktion der Grünen seit Mitte der Neunziger diskutiert, damals geführt von Kuhn: Danach würden nur vier Gleise unter die Erde verlegt, in einem kleiner dimensionierten und so deutlich kostengünstigeren Tiefbahnhof für den Fernverkehr.

Regionalzüge bleiben oben

Regionalzüge kämen weiterhin im heutigen oberirdischen Kopfbahnhof an. Nach der berühmten Schlichtung 2010 bis 2011 hatten sich auch Heiner Geißler (CDU) und der Schweizer Verkehrsexperte Werner Stohler für dieses Konzept starkgemacht.

Die BUND-Landesvorsitzende, Brigitte Dahlbender, befürchtet angesichts der neuen Zahlen, dass die Projektpartner sehenden Auges in ein programmiertes Desaster schlittern. Es drohten „jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen um die Verteilung der Mehrkosten“ und eine „vor sich hin dümpelnde Bauruine, wie etwa der Flughafen Berlin-Brandenburg“.

Der Stuttgarter Oberbürgermeister will der Bahn als Bauherrin und dem Bund als Eigner Zeit bis maximal September geben, wenn die nächste Aufsichtsratssitzung der Bahn stattfindet. Bis dahin müsse Klarheit geschaffen sein.

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19 Kommentare

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  • In manchen Stuttgarter Kreisen nennt man den Herrn Oberbürgermeister schon "Fritz Wowereit". Da ist es gut, dass er langsam keine Lust mehr auf Durchhalte- und Unterstützungsparolen hat. Eine kritische Betrachtung haben die Versprechungen der DB AG mehr als notwendig.

     

    Der einzige 'Haken' daran: das Projekt hält einer solchen kritischen Betrachtung vorne und hinten nicht stand. Bei der strittigen Finanzierung angefangen und bei den fehlenden Planfeststellungsverfahren noch nicht aufgehört. Wie beim BER eben.

  • Ein seriös wirtschaftender Politiker würde einfach fragen:"Wollt ihr eine neue Abstimmung oder Steuererhöhungen?" und für beides offen sein.

  • Das Land Ba-Wü ist reich genug um diese Mehrkosten aufzufangen.

     

    Wandert eben weniger über den Finanzausgleich nach Berlin, NRW und Breme - so what.

  • Tja, das ist halt das Problem bei unserem Ausschreibungssystem. Wenn ausschließlich der Preis ausschlaggebend für eine Auftragsvergabe ist, bei gleichzeitiger Zusicherung, dass Mehrkosten übernommen werden, brauch sich niemand zu wundern, wenn die Planungskosten um ein vielfaches zu niedrig angesetzt werden.

    Nun ist es natürlich "reiner Zufall" dass der Bundesrechnungshof Zahlen präsentiert, die ungefähr der ursprünglichen Schätzung der S21-Gegner entsprechen, aber die war ja laut Bahn und S21-Befürwortern total unseriös. Merkt man auch, daran, dass das einzige Statement der Bahn zu dem Fall ist, dass die Zahlen des Rechnungshofes "nicht belastbar" wären. Einfach nur noch ein Trauerspiel.

  • Ich möchte mal sehen, dass jemand für dieses unglaubliche Vorgehen in Haftung genommen wird, dass mal jemand persönlich dafür gerade stehen muss - so wie das jeder Bürger tun muss, wenn er was verbockt.

  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    Nach der ElPhi und Ber frage ich mich, ob das hier noch Zufall ist.

    Offenbar werden in Deutschland alle großen Bauvorhaben doppelt bis 10x so teuer wie veranschlagt und werden, wenn überhaupt, erst Jahre später fertig.

    Das haben uns die vielgescholtenen Engländer mit der Olympiade in London vorgemacht: Man kann auch noch größere Projekte rechtzeitig und im kalkulierten Kostenrahmen fertigstellen.

    • @64938 (Profil gelöscht):

      Dies liegt einfach an einer zum ersten völlig Falschen Ausschreibungssystematik, die nur einen Grundpreis beachtet mit Klauseln für Steigerung des Baupreises und zum Zweiten an der öffentlichen Vorstellung das Billig eine Option ist bei komplexen Vorhaben, selbst die 4,5 Mill. waren den meisten ja schon zuviel, wie glauben sie wäre denn zu verkaufen wenn jemand sich hinstellt und einmal realistische Preise für Bauvorhaben vorgibt, wir würden defacto..NICHTS mehr bauen in Deutschland.

      • @Krähenauge:

        Aha. Die Lüge soll also Grundlage öffentlichen Handelns sein. Soll das dann auch in ein Gesetz hinein geschrieben werden, so á la "Bei Bauvorhaben von mehr als 2 Milliarden Euro ist gegenüber der Öffentlichkeit stets nur der halbe erwartete Preis anzugeben"?

         

        Das wäre dann wohl ein Offenbarungseid.

         

        Die Ausschreibungssystematik ist jedenfalls nicht das Problem. Wenn es dort tatsächlich systemische Verschiebungen gibt, kann man diese auch von vorne herein berücksichtigen.

         

        Davon abgesehen ist Stuttgart 21 ein privatwirtschaftliches Projekt der Firma Deutsche Bahn AG. Die Vorschriften zu öffentlichen Bauvorhaben finden gar keine Anwendung.

  • Was will OB Fritz Kuhn denn tun, wenn er im September weder vom Bund noch von der Bahn eine zufriedenstellende Antwort bekommt?

     

    Ihm sind doch - wie man so sagt - "die Hände gebunden", er kann doch selbst dann nichts Wirkungsvolles tun. Verträge sind nun mal Verträge, auch wenn sie vom Vorgänger ausgehandelt und unterschrieben wurden.

    Natürlich kann man Verträge kündigen, nur, was geschieht dann; oder anders gefragt, welche Kündigungsklauseln stehen in dem Vertrag, in den Verträgen?

     

    Ähnliches gilt meiner Meinung nach auf Landesebene.

     

    Stadt und Land können meiner Meinung nach nur darauf beharren, nicht mehr zu zahlen als es vertraglich festgelegt wurde; insofern muss die Bahn und der Bund schauen, wie sie die - als völlig unmöglich bezeichneten - Mehrkosten finanzieren.

    Ich bin überzeugt, dafür (aber auch nur dafür!) würde selbst Finanzminister Schäuble seine "schwarze Null" aufgeben; man kann doch Freunde nicht im Stich lassen.

    • @Der Allgäuer:

      Selbstständig aufkündigen kann die Stadt den Vertrag natürlich nicht. Sie kann aber eine ganze Menge tun:

       

      - Die Mitfinanzierung des Propagandavereins "Turmforum" streichen.

       

      - Eine Aussage "Wenn das Projekt eingestellt werden soll, werden wir uns dem nicht entgegen stellen" tätigen.

       

      - Den Bürgern Unterstützung bei den ständig vorkommenden Ordnungswidrigkeiten (z.B. am Sonntag mit dem Kies-Lkw durch's Wohngebiet rumpeln) unterstützen. Aktuell tut sie eher das Gegenteil, sie verteidigt die DB.

       

      - All die Schieflagen des Projekts benennen.

       

      Das alles klingt nach nicht viel und manches sollte sogar eine Selbstverständlichkeit sein, doch für die Stadt Stuttgart wäre das schon ein erheblicher Fortschritt.

    • @Der Allgäuer:

      Ganz richtig - 1) Der vereinbarte Gesamtpreis beträgt 4.526 Mrd. Euro!

      2) Der Rest, inclusive Zerstörung der Stadt bleibt in der Verantwortung der CDU/FDP .https://www.dropbox.com/s/k3c0wfgdp8zrbaz/Screenshot%202015-07-02%2010.03.35.png?dl=0 Herr Schäuble spart bereits für die Rettung der 100% öffentlichen Deutschen Bundes Bahn wie für die Rettung der Deutschen Bank AG. Die führenden schwarzen Nullen in der Verantwortung suchen den EXIT (Notausgang)?

  • Stuttgart und Baden-Württemberg können froh sein, dass Fritz Kuhn OB von Stuttgart geworden ist!

    Frau Merkel hatte sich persönlich in die OB Wahl für Stuttgart eingemischt https://www.dropbox.com/s/fr5qzbl17jefk9r/Bildschirmfoto%202016-04-13%20um%2019.35.54.png?dl=0 und einen ihr bekannten "Werbe-Fachmann" unterstützt. Der hätte solche kritischen Fragen heute nicht formuliert? Günter Oettinger hatte ihn bei den Nord-Süd-Dialogen mit seinem Freund Christian Wulff, MP in Hannover, eingeschaltet. Der Werbespezialist hat den Zufall des Wappens für Niedersachsen, ein Pferd und dem Pferd der Stadt Stuttgart als Fügung der Verbindung gepriesen.

    Das Ergebnis am Ende der 3 Dialoge war am 2.4.2009 der S21 Finanzierungsvertrag über die 4.526 Mrd Euro!

    Ein absolutes CDU Projekt. Die Stadt Stuttgart hat einen großen Stand auf der Immobilien Messe in Cannes die zu erwartenden Bauland Flächen mehrfach angeboten.

  • Ein Problem mit Volksabstimmungen ist, das es zu den meisten Themen viele Lösungsvariantan gibt. So auch bei Stuttgart 21. Es gibt mit der Kombilösung, die der BUND bevorzugt, halt auch noch eine dritte Lösung jenseits von Kopfbahnhof und Durchgangsbahnhof, über die nicht abgestimmt wurde.

    Das manipulative Element von Volksabstimmungen ist, das eine komplexe Wirklichkeit mit einer Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten in eine Fragestellung gezwängt wird, die nur zwei Alternativen ermöglicht.

    • @vulkansturm:

      Öhm, das ist nicht ganz richtig. Es wurden nicht zwei Konzepte zur Wahl gestellt sondern nur eines, welchem man zustimmen oder es ablehnen konnte. Die Variante K21 (also der Kopfbahnhof) wurde zu keinem Zeitpunkt offiziell verhandelt.

      Das war eines der Probleme bei S21, es gab bei den S21-Befürwortern überhaupt keine Kompromisse nur S21 oder gar nichts.

    • @vulkansturm:

      Ja, Sie haben Recht.

       

      Andererseits war in der tatsächlichen Situation damals die Volksabstimmung der einzige Weg, um - nach monatelangem und erfolglosem Kampf gegen S21 - vielleicht doch noch das Projekt durch "Volkes Stimme" zu stoppen.

       

      Dass dann das Volk - leider auch in Stuttgart selbst und in den Landkreisen drumherum - für S21 votierte, ist zwar bitter, aber dennoch Tatsache.

      Wobei ich nicht bestreite, dass in dem "Wahlkampf" vor der Volksabstimmung die Union ihre in den Jahrzehnten ihrer Regierungszeit aufgebauten Netzwerke aktiviert haben. Es spricht doch Bände, dass nicht einmal die - nach ihrem Motto - meinungsstarke und größte Tageszeitung im Ländle, die STUTTGART ZEITUNG, neutral und objektiv berichtet hat: die Aussagen der Befürworter und der Bahn selbst wurden 1 zu 1 übernommen, hinter jede Aussage der Kritiker und Gegner wurden mehrere Fragezeichen gesetzt.

  • Mir unverständlich, dass sich MP Kretschmann angesichts neuer Zahlen nicht mal klar äußert. Seine Zurückhaltung kann er guten Gewissens aufgeben, da die Abstimmung 2011 mit Kosten von 4,5 Milliarden erfolgreich und nicht 10 Milliarden. Ist eh erstaunlich, wie sich Kretschmann in nur gut 4 Jahren gewandelt hat.

    • @Senza Parole:

      ... nur weil er den stark konservativ-bürgerlichen Grünen gab, wurde er gewählt und nun im März bestätigt.

       

      Ohne diesen (!!) Kretschmann hätte die Grüne Partei weder 2011 noch 2016 ein solch gutes Wahlergebnis erreicht; und wäre Kretschmann nicht dieser (!!) Kretschmann, gäbe es keine Grünen in der ba.-wü. Landesregierung.

       

      Deshalb muss er auch jetzt aufpassen, denn vielen CDU-Abgeordneten ist diese Koalition "ein Dorn im Auge", man muss berücksichtigen, dass - auf Grund des guten Abschneidens der Grünen - in der CDU-Fraktion die konservativsten CDU'ler sind, die es in Ba.-Wü. gibt. Und die würden viel lieber mit der kaputten SPD regieren. Also, Machtwechsel in Ba.-Wü. ist durchaus während der Legislaturperiode möglich, zumal von der sich spaltenden AfD keine grosse Gefahr mehr ausgehen dürfte.

  • "Grinsekefer" weiß genau, warum er das Handtuch geworfen hat. Bei allem, was ihm vorgeworfen werden kann - dumm ist er nicht. Die Politiker sind nun aufgefordert, das Gemeinwohl über persönliche Gesichtswahrung zu stellen und ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vorziehen.