Sturzserie im Radsport: Geschäftsmodell Lebensgefahr
Wieder mal sorgt ein Massensturz für Entsetzen im Peloton. Doch es ist auch dieses Risiko, von dem der Radsport lebt.
D ie Baskenlandrundfahrt ist ein traditionsreiches Radrennen. Doch auch wenn die besten Rundfahrer der Welt am Start sind, generiert es für gewöhnlich nicht allzu viel Interesse. Am Donnerstag jedoch bewegten Bilder aus dem Baskenland die Gemüter wohl aller Radsportfans auf der Welt. Ein Massensturz, in den drei der besten Radprofis verwickelt waren, wird noch lange für Diskussionen sorgen.
Der dänische Tour-de-France-Sieger Jonas Vingegaard hat sich mehrere Rippen und das Schlüsselbein gebrochen. Primož Roglič, der Slowene, der sowohl den Giro d'Italia als auch die Spanienrundfahrt schon gewonnen hat, humpelte nach dem Crash zum Teamfahrzeug. Und die belgische Rundfahrthoffnung Remco Evenepoel hat sich Schulterblatt und Schlüsselbein gebrochen. Schnell begann man in der Radsportwelt zu spekulieren, welche Auswirkungen der Sturz wohl auf die Tour de France im Sommer haben wird, dem alles überwölbenden Höhepunkt jeder Radsportsaison.
Von den zahlreichen anderen Verletzten, die in den Sturz verwickelt waren, ist schnell keine Rede mehr gewesen. Etliche Fahrer erlitten Gehirnerschütterungen; bei Jay Vine vom Team Emirates wurde gar ein Bruch der Halswirbelsäule sowie zwei Wirbelkörperfrakturen an der Brustwirbelsäule diagnostiziert. Es ist der beinahe alltägliche Irrsinn des Radsports, dem sie zum Opfer gefallen sind. Lebensgefahr ist Teil des Geschäfts, von dem die Profis leben, für das schon so mancher sein Leben gelassen hat.
Abfahrten mit Geschwindigkeiten weit jenseits der 70 km/h sorgen für den Schauer, der den Sport in den Augen vieler Fans erst so faszinierend macht. In der Klassikersaison, die in diesen Tagen mit dem Rennen Paris–Roubaix ihren Höhepunkt hat, werden die Profis über Kopfsteinplasterstraßen geschickt, die selbst Besitzer gut gefederter Geländewagen meiden. „Die Hölle des Nordens“ wird das Rennen genannt, bei dem die Bilder von Fahrern, die von Schlaglöchern ausgehoben regelrecht durch die Luft fliegen bevor sie unsanft landen, zum Erfolg des Events beitragen.
Schikane als Sturzfalle
Um zu verhindern, dass das Peloton mit 60 km/h in die wohl gefährlichste Kopfsteimpflasterpassage im Wald von Arenberg brettert, haben die Veranstalter nun eine Schikane vor der Einfahrt in das Waldstück installiert. Die ist so eng, dass nun befürchtet wird, sie könne selbst eine Sturzfalle darstellen. Ein Hingucker wird die Passage beim Rennen auf jeden Fall. Spektakel ist garantiert. Und auch wenn gewiss niemand im Radsportzirkus will, dass jemand sich ernsthaft verletzt, dürfte allen Matadoren der Szene klar sein, dass auch deshalb so viele Menschen zu ihnen aufschauen, weil sie bereit sind ihr Leben zu riskieren.
So brutal es vor dem Hintergrund der schweren Verletzungen auch klingen mag – mit jedem gebrochenen Schlüsselbein steigt der Unterhaltungswert des Radsports. Die Hölle verkauft sich besser als das Paradies. Das Entsetzen wäre jedenfalls groß, wenn die Veranstalter mit einem Mal verkünden würden, aus Sicherheitsgründen alle Kopfsteinpflasterpassagen aus dem Programm zu nehmen. Abfahrten von den hohen Alpenpässen würden für viele Zuschauer ihren Reiz verlieren, würde man die Rennen auf den Bergabpassagen neutralisieren und so die wilden Jagden durch die Serpentinenkurven unterbinden.
Im Juni des vergangenen Jahrs erlag der Schweizer Profi Gino Mäder den Verletzungen, die er sich bei einem Sturz auf der Abfahrt vom Albulapass bei der Tour de Suisse zugezogen hat. Das Entsetzen darüber und die Trauer im Peloton über den Tod des damals 26-Jährigen waren groß und durchaus ehrlich. Der Irsinn geht dennoch mit unverminderter Geschwindigkeit weiter.
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