Stundenlange Kontrolle durch die Polizei: Nachspielzeit für St.-Pauli-Fans
Rund 140 St. Pauli-Fans wurden nach einem Auswärtsspiel aufgehalten und kontrolliert. Es ist die zweite große Kontrolle innerhalb weniger Wochen.

Grund war laut der Polizei eine Auseinandersetzung am Bahnhof Göttingen zwischen Fans des Hamburger Vereins und Fans des FC Augsburg, der am Samstag auswärts in Wolfsburg spielte. Beide Fanszenen hatten einen kurzen Aufenthalt in Göttingen und seien dort aufeinander getroffen. Die Bundespolizei spricht von insgesamt 60 „aggressiven Fans“ beider Lager, die mit Glasflaschen geworfen haben sollen. Beamt*innen hätten die Auseinandersetzung gestoppt, Verletze habe es keine gegeben.
Unter den St. Pauli-Fans, die in Hannover kontrolliert wurden, war nach eigener Aussage auch Konstantin, der eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben will. Der taz erzählt er, dass die Polizei in Göttingen schnell mit Pfefferspray eingegriffen habe, um die Auseinandersetzung zu beenden. Er selbst sei daran nicht beteiligt gewesen, habe sich aber anschließend um Fans gekümmert, die Pfefferspray abbekommen hatten.
Als der Zug nach dem Zwischenfall in Göttingen wenig später in Hannover einfuhr, sei das Bahngleis bereits voll mit Polizist*innen gewesen. Im Zug habe es dann die Ansage gegeben, dass alle Gäste einen Platzverweis erhalten und den ICE verlassen müssen. Konstantin habe auf dem Bahngleis gewartet, bis ihn ein Polizist zu einer Gruppe an Beamt*innen geführt habe, die ihn mit Fotos abglichen. Erst danach habe er wieder in den Zug einsteigen dürfen.
Kein Trinkwasser und kaputte Klos
Die Polizei spricht davon, nach der Auswertung von Videoaufnahmen aus Göttingen 138 Fans kontrolliert und mit den verdächtigen Personen aus den Videos abgeglichen zu haben. Von mehreren Fans seien anschließend Personalien aufgenommen worden. Insgesamt will die Polizei so acht Tatverdächtige identifiziert haben. Gegen sie werde nun wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch ermittelt. Der Einsatz soll insgesamt zweieinhalb Stunden gedauert haben. Alle unbeteiligten Fahrgäste hatten vorher bereits die Möglichkeit, mit einem anderen Zug weiter Richtung Hamburg zu fahren.
Die Fanhilfe von St. Pauli spricht von einer überzogenen Maßnahme und fordert betroffene Fans auf, Gedächtnisprotokolle anzulegen. In einem Statement auf ihrer Website zweifelt die Fanhilfe darüber hinaus an, ob der Einsatz rechtmäßig durchgeführt wurde: Denn ein Platzverweis wie ihn die Polizei ausgesprochen hat, sei nur „zur Abwehr einer Gefahr“ erlaubt. „Unserer Ansicht nach hat die zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr existiert“, sagt ein Sprecher der Fanhilfe der taz. Die Fans seien zum Zeitpunkt des Verweises weder am Ort der Auseinandersetzung gewesen noch seien Augsburg-Fans anwesend gewesen.
Eine Polizeikontrolle dieser Größenordnung habe er noch nicht erlebt, sagt St. Pauli-Fan Konstantin der taz. Er fährt nach eigener Aussage seit 15 Jahren zu fast jedem Auswärtsspiel. „Das stärkt natürlich nicht wirklich mein Vertrauen in die Polizei“, sagt er. Einsatzleiter und Polizeidirektor Martin Kröger hingegen sagt: „Wer auf der Bahnreise zum oder vom Fußball Straftaten begeht, hat jederzeit mit Folgemaßnahmen der Bundespolizei zu rechnen.“
Erst Mitte Februar hatten etwa 400 Beamt*innen der Bundespolizei 855 HSV-Fans nach dem Auswärtsspiel in Rostock stundenlang in einem Regionalzug festgehalten und kontrolliert. Die Bundespolizei wollte 60 Fans identifizieren, die im vergangen September an einer Schlägerei in Mannheim beteiligt gewesen waren. Viele betroffene Fans beschwerten sich anschließend über den Einsatz: Es habe kein Trinkwasser gegeben, zum Teil seien auch die Toiletten im Zug nicht mehr benutzbar gewesen. Ob der Einsatz verhältnismäßig war, wurde auch von der Politik angezweifelt.
In den folgenden Wochen kochte der Konflikt zwischen der Polizei und HSV-Anhänger*innen immer weiter hoch. Bei Spielen des HSV hielten Fans Banner hoch, auf denen unter anderem zu lesen war: „Niemals Freund. Niemals Helfer. Ganz Hamburg hasst die Polizei“. Vor zwei Wochen verbrannte ein Fan während des Spiels gegen Osnabrück eine Polizeiuniform. Gegen ihn wird ermittelt, zwischen den Ultras, dem HSV und der Polizei fanden anschließend mehrere Gespräche statt. Der Verein hofft auf eine Deeskalation zwischen Fans und Polizei.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!