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Stück zu den „Lehman Brothers“ in BerlinVerfall einer Familie

Das Stück „Lehman Brothers“ erzählt über 150 Jahre hinweg US-Wirtschaftsgeschichte. In Berlin ist es in der Vagantenbühne zu sehen.

Die Lehman Brothers sputen sich beim Lauf durch die Jahrzehnte Foto: Manuel Graubner

Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Die Lehman Bro­thers wissen es. Ihre Geschichte erzählt der italienische Dramatiker in „Lehman Brothers – Aufstieg und Verfall einer Dynastie“. In dem kleinen Theater Vagantenbühne in Charlottenburg bringt der neue Intendant Lars Georg Vogel mit dieser Familiengeschichte eine Geschichte des westlichen Kapitalismus zur Premiere. Vogel übernimmt die Leitung des seit 1956 im Souterrain des Delphi-Filmpalastes ansässigen Privattheaters von Jens-Peter Behrend.

„Lehman Brothers“ ist eine klassische American-Dream-Geschichte, ein Buddenbrooks-Roman der Börse, erzählt über 150 Jahre, die eng mit der Geschichte der USA selbst verflochten ist. Vom Sklavenhandel bis zum Sezessionskrieg, von der Großen Depression bis zum Vietnamkrieg, die Lehman Bro­thers waren dabei.

1844 zieht Hayum Lehmann, Sohn eines jüdischen Viehhändlers, aus Rimpar, Bayern nach Montgomery, Alabama. Ab jetzt heißt er Henry Lehman – mit englischer Aussprache. Bald folgen die Brüder Emmanuel und Mayer. Sie betreiben einen Tuchwarenhandel, werden aber oft mit Baumwolle bezahlt, die sie teurer weiterverkaufen – ein lukratives Geschäft.

Und so beginnt das Geschäftsmodell, das der Familie zu ihrem Ruhm, aber auch ihrem Verfall helfen würde: die Lehman Brothers als Vermittler, als Zwischenhändler. Zuerst mit Baumwolle, später mit Kaffee, Eisen, Öl und dann Fernsehgeräten. Entscheidend wird aber die Gründung einer Bank sein. Später wird die Lehman Bro­thers Holdings Inc. fast zum Synonym für die globale Finanzkrise 2008 werden: Die viertgrößte Investmentbank in den USA geht als Folge der Subprime-Krise in Konkurs und bringt Märkte weltweit mit zum Einstürzen.

2018 inszenierte Sam Mendes das Stück am National Theatre in London mit nur drei Schauspielern. Das hat Vogel scheinbar beeinflusst: Er entscheidet sich für eine ähnliche Besetzung mit dem Schauspielertrio Andreas Klopp, Urs Stämpfli und Joachim Villegas. Ein Highlight des Abends ist deren Vermögen, nahtlos in viele Rollen hinein- und herauszuschlüpfen und das Publikum dabei nicht selten zum Lachen zu bringen. Es ist ein Stück, das eine große Schauspielkunst verlangt, die das kleine Ensemble auch liefern kann. Das funktioniert am besten in Szenen, die aus den rhythmischen Versen von Massinis Text gebastelt sind.

Das Stück

„Lehman Brothers“, wieder am 11. Januar und 25. bis 27. Februar, weitere Termine unter: www.vaganten.de.

Auch das Bühnenbild erinnert leicht an Mendes’ gläserne Office-Ästhetik: Bürojalousien ähnelnde Papierstreifen hängen vom Dach in einem offenen Quadrat, das wie eine abstrakte Vorstandsetage wirkt. Hier fehlt das enorme Budget der Londoner Inszenierung, damit weiß Vogel aber gut umzugehen: Eine Stärke der Inszenierung ist ihr Einfallsreichtum. Vogel gelingt es, große Effekte mit wenigen Mitteln zu schaffen: Ein brennendes Stück Watte steht für eine Baumwollplantage in Flammen, ein Barhocker reicht aus, um aus einem Wolkenkratzer zu springen und durch die Luft zu surfen. Das hat etwas Charmantes auf dieser kleinen Bühne.

Geschehnisse rasen vorbei

150 Jahre Kapitalismusgeschichte sind allerdings ein ambitioniertes Vorhaben für zweieinhalb Stunden Spielzeit. Luca Ronconis Inszenierung am Piccolo Teatro 2015 in Mailand dauerte beispielsweise fünf Stunden, Mendes’ Inszenierung dreieinhalb. Das hat zur Folge, dass die Geschehnisse zu schnell an einem vorbeirasen. Der erwartete Höhepunkt des Abends – die Pleite der Lehman Brothers 2008 – bleibt unbegreifbar.

„Lehman Brothers“ ist aber auch eine Geschichte der Assimilation: aus einem jüdischen Deutschen wird ein kapitalistischer Ami. Die Gefahr, dabei antisemitische Stereotype zu bedienen, ist groß. Die jüdischen Wurzeln der Lehmans stehen zwar nicht im Mittelpunkt, werden aber immer wieder nebenbei erwähnt. Auch die Zusammenarbeit der Lehmans mit dem Antisemiten Henry Ford wird im Vorbeirauschen des Stücks thematisiert. Eine Antwort auf diese Problematik bietet die Inszenierung allerdings nicht. Das ist schade. Denn schließlich entsteht und stirbt der Kapitalismus ja nicht allein mit den Lehmans. Eine kritischere Haltung dazu hätte die Inszenierung bereichert.

12 Jahre nach der Finanzkrise hat die Geschichte auch wenig Neues zu erzählen: Hier fehlt ein zeitgenössisches Framing, wie zum Beispiel der seit 2008 erstarkte Rechtspopulismus, der Mangel an Schuldbewusstsein der Krisenverantwortlichen und die neue Generation von Financiers, die sich mit kriminellen Cum-Ex-Geschäften bereichern.

In London findet das Stück eine stärkere Relevanz: Die Metropole ist ein Knotenpunkt für globales Kapital und wurde von der Krise stark betroffen. Das verleiht Mendes’ Inszenierung einen kritischen Rahmen: sie fungiert als Erinnerung und Warnung zugleich. Diese Dringlichkeit fehlt jedoch der Berliner Inszenierung.

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