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Stück „Bühnenbeschimpfung“Vom Niedergang und der Auferstehung des Theaters

Die Landesbühne Niedersachsen Nord inszeniert „Bühnenbeschimpfung“ von Sivan Ben Yishai. Das Stück seziert humorvoll die Krise des Theaters.

Nicht mehr ins Theater? Doch! Am Ende wird aus der Bühnenbeschimpfung ein Loblied auf die Bühnenkunst Foto: Volker Beinhorn/Landesbühne

Wer einen Blick in den Theatersaal werfe, schreibt Dramaturgin Kerstin Car in ihrem erfreulich theaterselbstkritischen Programmheft-Beitrag, werde sehen, dass ganze Sitzreihen „heute frei bleiben“. So ist es wie immer bei zeitgenössischen Stoffen im Stadttheater Wilhelmshaven. Also warum nicht auf der Bühne dieses Missverhältnis von Angebot und Nachfrage, ja, das Theater als Minderheitenveranstaltung erkunden und analysieren, wie ihm die Rechtfertigungsmythen – Systemrelevanz! – wegbrechen, während Zu­schaue­r:in­nen schon aus demografischen Gründen verschwinden.

Dafür steht Sivan Ben ­Yishais „Bühnenbeschimpfung“ auf dem Spielplan der Landesbühne Niedersachsen Nord. Damit kann Regisseur Daniel Kunze die Probleme auf der Künstler:innenseite, die Erwartungen auf Publikumsseite und die Konventionen auf beiden Seiten satirisch aufbereiten. Und dazu Fragen zu Macht, Missbrauch, Mobbing, Widerstand und Narzissmus ausleuchten.

Fünf Schau­spie­le­r:in­nen spielen Schauspieler:innen, tüllig schwarz mit Halskrause kostümiert wie Hamlet in Glitzer. Sie treten aus dem Rahmen ihrer Kunst, einem Bühnenbildrahmen, und steigen im eher privaten Tonfall ein in den Tiefenbohrungstext über die Verabredungen zwischen Kunst und Publikum sowie die Behauptung, das Ensemble sei die Verkörperung der Institution.

Das Ensemble will Grundsätzliches diskutieren. Los geht es überdeutlich mit einer selbst geschriebenen Szene zu Klassikeraktualisierungen. Geradezu kabarettistisch wird der Vorschlag goutiert, die Themen „Polyamorie und neue Beziehungsformen“ am Beispiel von „Schneewittchen“ zu verhandeln. Und sollte nicht bei „Maria Stuart“ die Frage nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestellt werden?

Die Neugierde, Lust und Liebe für ein neues, anderes Theater bringt das Ensemble mit abgründiger Spielfreude über die Rampe

Schon sind wir auf einer Probe, Hannah Sieh steigt pathetisch auf Schillers Worte für Königin Elisabeth ein, das Klagen über die Einsamkeit in ihrem Beruf. Da klingelt das Telefon, die Darstellerin soll ihr krankes Kind aus der Kita abholen. Der Regisseur aber nötigt sie zum Bleiben. „Dieses Thema ist einfach zu wichtig. Familie und Beruf, das müssen wir verhandeln, uns dem künstlerisch nähern, um so Impulse in die Gesellschaft zu tragen.“

Eine Schauspielkollegin bietet sich an, die Rolle zu übernehmen. Die Elisabeth-Darstellerin schluckt dieses unsolidarische Verhalten empört herunter, der Regisseur nutzt ihre glühende Wut für eine Rollengestaltung aus, die ihm gefällt: Klappe halten und weitermachen aus Angst vor der Nichtverlängerung des Engagements.

Schauspielende sind Lästermaulhelden abseits der Bühne und Opportunisten bei der Arbeit, das kritisiert die Aufführung – beispielhaft als gesamtgesellschaftlich bekanntes Verhalten in institutionellen Zwängen. Angemerkt sei: In einem anständig geführten Theater/Betrieb, die es ja auch gibt, würden Belegschaft, Betriebsrat und Frauenbeauftragte wohl die Abberufung des Regisseurs durchsetzen.

Dann stehen mit Aktenordnern verklebte Menschen im Papierregen für den Dauerärger mit einer lähmenden Bürokratiemaschinerie. Eine Künstlerin bietet devot dem Intendanten eine Projektidee an und ist entrüstet, als alles abgesagt wird. Alle fühlen sich entmündigt, weil sie Texte sprechen müssen, die ihnen nicht passen.

Im zweiten Teil werden Stereotype von Theaterbesuchern comedymäßig abgewatscht. Man kann eine von Kulturüberfütterung gelangweilte Kritikerin erleben, einen verklemmten Schlauberger und einen bildungsbürgerlichen Smartie – sie finden zusammen in einer hübschen Choreografie aus Niesen, Husten, Gähnen, Schmatzen und Gesang. Die Regie übersetzt Aussagen in körperliche Eskalationen und treibt sie ins Absurde – gegen die passive Haltung der Zuschauenden, die nur wegen des Rotweins danach ins Theater gegangen sind.

Das Stück

Bühnenbeschimpfung: 14. November, 19.30 Uhr, Theater an der Blinke, Leer; Mi, 20. 11., 20 Uhr, sowie 6. 12. und 1. 2. 25, Stadtheater Wilhelmshaven

Also einfach das Theater verlassen? Nein! Oder doch? Warum nicht? Die Dar­stel­le­r:in­nen schalten das Licht aus. Totale Dunkelheit.

Jetzt beginnt das Gebäude als Zivilisationszombie aus dem Off über seine Schließung zu sprechen und resümiert das bisher Geschehene: „Der Tod hat von innen heraus angefangen.“ Die Natur übernimmt das Haus, lässt wachsen und gebären – genährt von einem magischen Objekt, dessen Licht mit dem Bühnennebel tanzt. Bald stehen wieder Zweibeiner auf den die Welt bedeutenden Brettern und entdecken die Möglichkeiten ihres Körpers mit frisch erfundener Bewegungskunst, aber auch das Publikum im Parkett.

Es ist Zeit für den Start eines anderen, neuen Theaters. Diese Neugierde, Lust und Liebe bringt das Ensemble mit abgründig komödiantischer Spielfreude über die Rampe. Der Abgesang funktioniert als Loblied auf die Bühnenkunst, Theaterbashing als Theaterhighlight.

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