Studis prüfen Nachhaltigkeitsberichte: Nachhaltig oberflächlich

„Vage und unklar“: Studierende der Eberswalder Hochschule haben in die Nachhaltigkeitsberichte von Berliner Unternehmen geschaut.

Die deutsche Bahn war eines der Unternehmen, deren Nachhaltigkeitsbericht die Studierenden prüften Foto: dpa

Es sollte ein besonderes Uniprojekt werden: Über drei Monate nahmen Studierende der Eberswalder Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (HNEE) die Nachhaltigkeitsberichte von Berliner Unternehmen unter die Lupe. Unterstützt wurden sie dabei von der NGO Germanwatch. Große Unternehmen müssen regelmäßig über die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Nachhaltigkeit berichten. Allerdings fallen diese Berichte sehr unterschiedlich aus. Denn: Es gibt dafür bisher kaum inhaltliche Vorgaben.

Nachhaltigkeitsberichte Seit 2017 verpflichtet eine EU-Richtlinie börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten dazu, regelmäßig Angaben zu den sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Tätigkeit zu machen. Allerdings macht die Richtlinie kaum konkrete Vorgaben für den Inhalt der Berichte. Nun will die EU-Kommission nachbessern und einen Vorschlag für ein neues Gesetz ausarbeiten. Der Kreis der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsberichte veröffentlichen müssen, soll damit erweitert, Berichtskriterien stärker an die Ziele des Pariser Klimaabkommens gekoppelt werden. Auch über Strafen bei Verstößen wird diskutiert.

Germanwatch ist eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Berlin und Bonn. Sie setzt sich für globale Gerechtigkeit und den Erhalt der Lebensgrundlagen ein. (taz)

Also formulierten die Studierenden klare Kategorien, mit denen die Berichte vergleichbar und kritisierbar wurden. Aus fünf verschiedenen Sektoren suchten sie Unternehmen aus, die in Berlin ansässig sind oder mit einer nennenswerten Anzahl von Mitarbeitenden produzieren. So gelangten der deutsche Ableger des schwedischen Stromkonzerns Vattenfall, der Bremssystemhersteller Knorr-Bremse, die Strahlen- und Medizintechnikspezialisten Eckert und Ziegler, die Deutsche Kreditbank (DKB) und die Deutsche Bahn in den Fokus.

Die Erkenntnisse sollten den Unternehmen bei einer Onlinediskussion am 22. Juli präsentiert werden, damit diese Stellung zu den Kritikpunkten nehmen konnten. Wollten sie aber nicht – zumindest reagierte keines der fünf Unternehmen auf die Anfragen. Dafür waren Saskia Lössl, Nachhaltigkeitsmanagerin der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), und Laura Kromminga aus der Abteilung Soziale Ökonomie der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe der Einladung gefolgt. Unterm Strich seien die Aussagen der Unternehmen in ihren Berichten „vage, unklar und oberflächlich“, resümiert Steffen Vogel. Vogel ist Referent für Zukunftsfähiges Wirtschaften in globalen Lieferketten bei Germanwatch.

Stephanie Hübner, Masterstudentin in „Nachhaltiger Unternehmensführung“, hat den Bericht der DKB genauer analysiert. Der sei für sie besonders spannend, da sie selbst Kundin der DKB sei, weil die Bank damit wirbt, besonders nachhaltig zu sein. Und tatsächlich schneidet die DKB im Branchenvergleich ganz gut ab – zumindest „macht sie transparent, wenn Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden. Die meisten Berichte sind eher von Selbstlob geprägt als von kritischer Aufarbeitung“, sagt Hübner bei der Ergebnispräsentation. Außerdem weise die DKB ein „tolles soziales Engagement“ auf. Es fehlten allerdings Angaben über die Auswirkungen von Kreditvergabe und Investments auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte, auch das Thema Biodiversität werde ausgeklammert.

„Ich sehe die Gefahr, dass Menschen sich von den Berichten blenden lassen“, merkt Hübner an. Sie selbst sei durch das Uniprojekt nun geschulter darin, einen kritischen Blick auf die Berichte zu werfen.

Tatsächlich werden die Unternehmensberichte sonst nicht extern überprüft. Auch die Studierenden der HNEE konnten nicht überprüfen, ob die Angaben der Wahrheit entsprechen. Aber sie können auf Lücken hinweisen: „Die vorgelagerte Wertschöpfungskette wird bei Vattenfall kaum thematisiert. Und das in einem so rohstoffintensiven Sektor wie Energie“, bemängelt etwa Projektteilnehmerin Stella Carlsen. „Stattdessen finden sich im Berliner Stadtbild jede Menge Plakate von Vattenfall, wie nachhaltig sie angeblich seien. Da kommt die Frage auf, wie ehrlich hier vorgegangen wird.“

Steffen Vogel von Germanwatch sieht das ähnlich. „Es bestätigt sich der Eindruck, dass diese Berichtspflicht Greenwashing nicht vorbeugt, sondern den Unternehmen eine Plattform geboten wird, ihr Marketing zur Schau zu stellen.“ Ziel des Projektes sei es daher auch, mit der Landespolitik über die Berichterstattung in einen Dialog zu treten.

Das gelang am Tag der Präsentation der Projektergebnisse zumindest in Teilen. Laura Kromminga von der Senatsverwaltung für Wirtschaft sah in dem Projekt der Studierenden einen Schritt in die richtige Richtung: „Nachhaltigkeitsberichterstattung hat Potenzial, wenn die Qualität messbar ist, weil es dann relevant für die Finanzierung und Kreditvergabe wird.“

Langfristig werden die Ergebnisse der Studierenden in eine bereits bestehende Onlinedatenbank eingepflegt, in der die Berichte verglichen werden können. Kurzfristig holte sich bereits die IHK Anregungen für ihren eigenen Bericht, wie deren Nachhaltigkeitsmanagerin Saskia Lössl beteuert. Auf die Frage, ob die IHK strengere öffentliche Vorgaben für die Unternehmen befürworte, antwortete sie vorsichtig: „Eine offizielle Position der IHK dazu gibt es noch nicht. Aber ich persönlich fände es sehr wichtig, dass das erweitert und konkreter wird.“

IHK-Vertreterin Lössl wies aus der Praxis noch auf einen anderen zentralen Punkt hin: „Als Unternehmen denke ich vielleicht: Gut, jetzt veröffentlichen wir mal schnell einen Nachhaltigkeitsbericht. Aber es ist wichtig, dass man zu diesem Bericht auch einen Prozess beginnt, um sich in eine bestimmte Richtung zu verbessern.“ Diesen „Change-Management-Prozess“ würden viele Unternehmen unterschätzen.

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