Studierendenprotest wegen Corona: Jobverlust und Mietendruck

Am Samstag gingen in Berlin rund 250 Studierende auf die Straße. Sie kritisieren, dass sie in der Coronakrise politisch zu wenig unterstützt werden.

Studierende hinter einem Demobanner

Sie stehen im Regen, weil sie im Regen stehen: Studierende protestieren in Berlin Foto: Bennet Groen

BERLIN taz | Bei stürmischem Wetter flattern die Fahnen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie von Studierendenvertretungen. Trotz starken Regens haben sich am Samstag rund 250 Studierende vor dem Berliner Hauptbahnhof auf dem Washingtonplatz versammelt. Sie machen mit Mundschutz und Abstand zueinander auf ihre derzeitig prekäre Situation aufmerksam. Ihr Protest richtet sich gegen unzureichende Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung in der Corona-Pandemie und speziell gegen Bundesministerin Anja Karliczek (CDU).

Mittlerweile liegt das Herunterfahren des öffentlichen Lebens als Reaktion auf die Pandemie drei Monate zurück. Studentische Verbände fordern seit Beginn dieses Zustandes eine angemessene Unterstützung für Millionen von StudentInnen. Der Protestzug zum Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) an diesem Samstag ist der zweite seiner Art. Bereits am 8. Juni fanden in vielen Städten dezentrale Protestaktionen statt.

Zwischen Plakaten wie ‚Reiche Eltern für Alle‘ und ‚KarliczExit‘ fordert Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), einen Kurswechsel der Regierung und eine wirksame Soforthilfe. „Es kann und darf nicht sein, dass die Coronakrise zur Bildungskrise wird“, sagt Keller zu Beginn der Demonstration. Studierende würden von der Krise hart getroffen. Man sei mit der Geduld am Ende.

Tatsächlich ergab eine Umfrage unter knapp 1.900 Studierenden durch den Personaldienstleister Zenjob, dass ein Drittel der Befragten von finanziellen Einbußen betroffen sei. Zudem haben 40 Prozent aufgrund der Coronakrise ihren Job verloren und 22 Prozent gaben an, dass sie Mieten und Rechnungen nicht mehr bezahlen könnten.

Hilfsmittel sind ein „Armutszeugnis“

Da Studierende zudem keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Kurzarbeitergeld haben, sei das Vorgehen der Regierung ein Armutszeugnis, so Keller: „Man kann dies nur als eine unterlassene Hilfeleistung bezeichnen.“ Er beklagt, dass die Bundesregierung unter dem Coronarettungsschirm keinen Platz für Studierende habe. Sie würden im Regen stehengelassen werden, sagt Keller. Studierende hätten die Wahl zwischen einem Bankkredit und einem Bürokratiemonster.

Mit letzterem ist die seit dem 16. Juni gegebene Möglichkeit auf Überbrückungshilfen gemeint. StudentInnen können über ein Portal des Bundesministeriums für Bildung und Forschung einen Antrag auf finanzielle Hilfe aus dem mit 100 Millionen Euro ausgestatteten Nothilfefonds stellen.

Die Höhe des Zuschusses richtet sich nach dem Kontostand zum Zeitpunkt der Antragstellung. Der Höchstsatz von 500 Euro wird bei einem Kontostand von unter 100 Euro ausgezahlt. Je höher der Kontostand ist, desto niedriger fällt die Unterstützungsleistung aus. Bei einem Kontostand von mehr als 500 Euro besteht kein Anspruch auf Überbrückungsgeld, dessen Auszahlung auf 3 Monate begrenzt ist.

Zuvor hat das Bildungsministerium die Möglichkeit für zinslose Kredite bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geschaffen. Bis zu 650 Euro könne man pro Monat als zinsloses Darlehen erhalten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht diese kritisch: „Studienkredite sind ein Auslaufmodell.“ Darlehen seien nicht ausreichend und müssten zudem direkt nach Studienende zurückgezahlt werden. Betroffene würden sich in eine Schuldenfalle gedrängt fühlen.

Es bedarf einer Bafög-Reform

Auf der für 1.000 Personen angemeldeten Demonstration wurde deshalb auch eine Reform des Bafögs gefordert. Während vor 50 Jahren noch jeder zweite Studierende Bafög bezogen habe, sei es heute nur noch jeder achte. Keller spricht von einem systematischen Kaputtsparen des Bafögs, weshalb rund 60 Prozent der StudentInnen ganzjährig erwerbstätig sein müssten. Von einer Refom wolle die Bildungsministerin aber „nichts wissen“.

SPD, Oppositionsparteien, Studierendenwerke und Hochschulleitungen hatten sich für eine vorübergehende Öffnung des Bafögs für alle Studierende unabhängig vom Einkommen der Eltern stark gemacht.

Diese Idee findet auch Nadia Galina, Mitglied des Leipizger Studierendenparlaments sowie des Bundesverbands ausländischer Studierender (BAS) gut: „Auch wenn eine Öffnung nur zeitlich begrenzt wäre, wäre das eine bessere Hilfe.“ Gerade bei ausländischen Studierenden sei der Anspruch auf finanzielle Hilfen begrenzt. Hinzu kommt aus ihrer Sicht, dass Eltern ihre in Deutschland studierenden Kinder weniger unterstützen können.

Außerdem würden weitere Ängste eine Rolle spielen: „Für mich sehe ich momentan keinen Zeitpunkt, an dem ich meine Familie wieder sehen kann“, sagt die in Mexiko geborene Galina. Die Sorge um das Wohlbefinden der Familie, die räumliche Trennung sowie die eigene finanzielle Lage herrsche bei den meisten ausländischen Studierenden vor.

Keine Rücksicht auf ausländische Studierende

Jedes Jahr kommen ungefähr 350.000 StudentInnen aus dem Ausland an deutsche Hochschulen. Obwohl Galina sich freut, dass diese Gruppe bei den Maßnahmen berücksichtigt wird, hält sie diese für nicht zielführend. In Euro aufgenommene Kredite seien für ausländische Personen schwer zurückzuzahlen. „Für ausländische Studierende, für die es eine Verdienstobergrenze gibt, ist das eine Falle“, sagt sie.

Nadia Galina ist enttäuscht darüber, dass etliche Lobbyinteressen in der Krise berücksichtigt worden seien, die Interessen der Studierenden aber nicht. „Studierendenvertretungen haben seit Pandemiebeginn auf Bedürfnisse aufmerksam gemacht und Forderungen gestellt“, erklärt sie. Es habe aber keine Verhandlungen gegeben und nun stünde ein intransparentes und „schlechtes Ergebnis“ fest.

Die Nothilfe bringe ausländischen Studierenden nichts, da sie oft höhere Studien- und Kontokosten hätten. Und um überhaupt erstmal ein Visum zu bekommen, müssten zudem 10.236 Euro auf einem Sparkonto hinterlegt werden, bei der Nothilfe fiele man deshalb aus dem Raster. „Ausländische Studierende verlieren nicht nur ein Studium, sondern ein ganzes Leben und oft die Aufenthaltserlaubnis“, ärgert sich Galina.

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