: Studieren sollen nur Gesunde
■ Sozialamt Lichtenberg lehnt Eingliederungshilfe für behinderten Studenten ab, weil dessen Krankheit einen „Erfolg des Studiums“ zweifelhaft mache. Studentenwerk: Diskriminierung von Behinderten
Das Sozialamt Lichtenberg verweigert einem behinderten Studenten die Möglichkeit, sein Studium fortzusetzen. Das Amt lehnt eine Unterstützung des an Multipler Sklerose erkrankten und schwer sehbehinderten Michael Czollek ab, weil ein erfolgreiches Examen des Studenten durch die tendenzielle Verschlimmerung seiner Krankheit zweifelhaft sei. In der Ablehnung von Czolleks Antrag auf Eingliederungshilfe verweist das Sozialamt am 5. März 1997 auf ein amtsärztliches Gutachten. Nach diesen Aussagen könne „eine eindeutige medizinische Prognose hinsichtlich eines erfolgreichen Abschlusses des Studiums und einer anschließenden Berufstätigkeit nicht getroffen werden“. Das aber bedeutet: keine Beihilfen zum Studium.
Czollek hatte verlangt, neben der Finanzierung von Arbeitsmaterial wie Laptop oder Fachbüchern vom Sozialamt auch Hilfen zum Besuch der Humboldt-Universität zu bekommen. So hatte er unter anderem auch die Kostenübernahme für einen Tutor, ein Bildschirmlesegerät und die Betriebskosten eines Autos beantragt. Der Jurastudent, der bisher keine abgeschlossene Berufsausbildung hat und mit seiner ebenfalls behinderten Frau drei Kinder versorgt, hatte argumentiert, das Studium werde „seine Berufschancen verbessern“.
Das sieht das Sozialamt Lichtenberg anders. Es begründete die Ablehnung des Antrags unter anderem mit der „ungewissen und schwierigen Arbeitsmarktsituation im Bereich der Rechtswissenschaften“ und mit den eingeschränkten beruflichen Einsatzmöglichkeiten des Antragstellers.
Eingliederungshilfe steht nach dem Bundessozialhilfegesetz Menschen zu, die „wesentlich behindert sind“. Ziel der Hilfe ist, Benachteiligungen von Behinderten zu mildern oder zu beseitigen. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehört auch die Unterstützung Behinderter bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz oder – wie im Fall von Czollek – die Ausbildung in einem angemessenen Beruf.
Die Beratungsstelle für behinderte Studierende des Studentenwerks stellt sich hinter Czollek. In einem Brief an das Sozialamt wird „die Antragstellung ausdrücklich befürwortet“; die Forderungen nach Studienhilfen seien durchaus üblich. Für die Hilfen könne die Erreichung des Studienziels nicht maßgeblich sein: „Das wird kein nichtbehinderter Student gefragt, und auch bei der Bewilligung des Bafögs spielt das keine Rolle.“ Bei Czollek würden körperliche Defizite festgestellt, ohne aber zu prüfen, ob sie mit geeigneten Hilfen ausgeglichen werden könnten, schreibt das Studentenwerk.
Marco Wiegand vom Sozialamt Lichtenberg kann dagegen eine Diskriminierung von behinderten Menschen in den Begründungen des Ablehnungsbescheides nicht sehen. Schließlich sei die Lebensgrundlage der Familie Czollek bereits durch eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgesichert. Isabel Richter
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