Studienabbrecher in Deutschland: Die Prüfungsfalle
Von 100 Teilnehmern schafften nur 14 die Klausur im ersten Anlauf. Sollen Erstsemester abgeschreckt werden? Die Hochschulen widersprechen heftig.
Als David R., 20, die Ergebnisse seiner Elektrotechnik-Klausur sah, war er schockiert: Er hatte nicht bestanden – so wie 86 Prozent seiner Kommilitonen. Vier Wochen hatte R. fast täglich Vorlesungsfolien durchgelesen, in Lerngruppen über Grundmechanismen diskutiert und Übungsaufgaben gelöst.
Doch als er vor den sechs Aufgaben saß, konnte er sie nicht alle lösen. Dabei war die Klausur des Kurses „Elektro- und Informationstechnik 1“ an der Technischen Universität Darmstadt eine Erstsemesterklausur. Eine, in der Basiswissen abgefragt werden soll.
Von 485 Mitschreibern hatten gerade mal 68 bestanden, die beste Note war eine 2,3. „Die Klausur hatte wenig mit den Schwerpunkten aus Übungen und Altklausuren zu tun“, sagt R.
Die Studierenden sind sauer. In ihrem internen Gruppenforum schreiben sie von unfairer Behandlung und absichtlichem Rausprüfen. Schon vor der Klausur befürchteten einige, die Klausur diene nur dazu, die Gruppe der Studienanfänger absichtlich zu verkleinern. Ein Student im fünften Semester schreibt von „Aussieben“ und David R. fasst zusammen, was im Forum Konsens ist: „Es wird am Anfangaussortiert, damit die Universität ihren Status als renommierte Uni mit vielen erfolgreichen Absolventen halten kann.“
Die Barrierefächer: Im Fach Maschinenbau brechen bundesweit 36 Prozent der Studienanfänger vorzeitig ab, in Elektrotechnik werfen 37 Prozent hin und in Informatik 43 Prozent. In Mathe sind es 47 Prozent und im Bauingenieurwesen sogar 51 Prozent.
Die Erfolgsfächer: In den Wirtschaftswissenschaften brechen von 100 Anfängern nur 16 ab, in der Pädagogik 15 und in der Pädagogik nur 10 Studierende. Noch geringer sind die Abbruchquoten in der Psychologie: Jeder siebte Studienanfänger hält nicht durch bis zum Examen.
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Sieben Unis aus, um Geld zu sparen?
Die Vermutung ist nicht abwegig. Denn die Hochschulfinanzierung richtet sich auch nach der Zahl der Studienanfänger. Im Hochschulpakt haben Bund und Länder vereinbart, dass die Unis für jeden zusätzlichen Studienplatz den mittleren Gegenwert eines sechsemestrigen Bachelorstudiums bekommen. Wenn viele Neulinge anfangen, gibt es entsprechend viel Geld. Wird die Gruppe kleiner, bleibt das Geld an der Uni und die Bedingungen für die verbleibenden Studierenden verbessern sich.
„Wir sind doch keine Schokoladenfabrik“, empört sich Hans Jürgen Prömel über den Vorwurf, Universitäten würden sich über Abbrecher finanzieren. Prömel ist Präsident der TU Darmstadt und gleichzeitig Präsident des Zusammenschlusses von neun Technischen Universitäten in Deutschland. „Wir wollen kein Geld verdienen, sondern Studierende gut ausbilden.“ Durch die doppelten Abiturjahrgänge seien die Unis zu über 100 Prozent ausgelastet. Daher gebe es Sondergelder, die Grundfinanzierung hinge aber von den Studierenden in der Regelstudienzeit ab.
Der zuständige Dekan des Fachbereichs Elektrotechnik und Informationstechnik, Abdelhak Zoubir, streitet eine Politik des Rausprüfens vehement ab. Ob die Klausur, an der David R. scheiterte, unfair war, möchte er nicht beurteilen. „Elektrotechnik ist eben anspruchsvoll und ein hundertprozentiger Erfolg ist nie möglich.“ Erfahrungsgemäß sei es bereits gut, wenn die Hälfte der Prüflinge bestände. Dass 60 Prozent durchfallen, sei üblich.
Weil es diesmal deutlich mehr waren, hat Zoubir die Klausurergebnisse zurückziehen lassen. David R. und seine Kommilitonen dürfen Mitte Juni nochmal ran. Doch die Erfolgsaussichten sind trüb. Die Abbrecherquoten für das Fach Elektrotechnik in Darmstadt zeigen: Zwei Jahre nach Studienbeginn sind noch 55 Prozent eines Jahrgangs dabei. Zoubirs Erklärung: Auf viele wirke die Theoriepaukerei zu Beginn entmutigend.
In Mathe und Informatik wird am härtesten gesiebt
„Barrierefach“ – so nennt Ulrich Heublein solche Fächer. Er hat im Auftrag des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in der vergangenen Woche die aktuellen Zahlen zu den Abbrecherquoten in Deutschland veröffentlicht. 10 Prozent der Studienanfänger in Deutschland wurden von der Uni rausgeprüft. In den Mint-Fächern, Mathe, Informatik, den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, wird am härtesten ausgesiebt.
Heublein will den ProfessorInnen dieser Fächer aber nicht generell unterstellen, dass sie ihre Studierenden gezielt rausprüfen. „Gewiss gibt es Fachvertreter, die mit gewissem Zynismus sofort einschätzen, dass zu viele Anfänger ungeeignet sind. Und dann agieren sie entsprechend.“ Allein solch niedrige Motive könnten aber kaum die Ursache für hohe Abbrecherquoten bei den Mint-Fächern sein.
Die Gründe sieht Heublein eher im Lehrplan: Die schwierigsten Fächer kämen gleich zu Studienbeginn. Keine Zeit und keine Kapazitäten, um Wissenslücken aufzuarbeiten. Heubleins Fazit ist deshalb: Die Unis müssen aktiv werden, Erstsemester brauchten zusätzliche Lehrveranstaltungen, Tutorien und Mentoren.
Wirtschaftsvertreter wie der ehemalige Personalchef der Deutschen Telekom, Thomas Sattelberger, beschweren sich seit Langem über die hohen Durchfallquoten. Er spricht von Talentverschwendung und fordert die Hochschulen zum Handeln auf.
Hochschulen denken zaghaft um
In den letzten Jahren haben sich die Abbrecherzahlen tatsächlich verbessert. Verzweifelte im Fach Maschinenbau 2010 noch knapp die Hälfte, gaben zwei Jahre später nur noch ein Drittel der Studienanfänger vorzeitig auf.
Dafür seien vor allem die Fachhochschulen verantwortlich, so die Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Hochschulforschung. Wegen des Fachkräftemangels in den Mint-Fächern können sich die Hochschulen massenhaftes Rausprüfen nicht leisten. Absolventen der wirtschaftsnahen Hochschulen werden gebraucht.
Auch manche Universität denkt um. In Aachen können Maschinenbau-Bewerber vor Studienaufnahme testen, ob sie dem Studium gewachsen sind. Baden-Württemberg fördert das Studium der individuellen Geschwindigkeit, das heißt, Studierende müssen zu Beginn des Studiums weniger Kurse belegen, dürfen ein Zusatzsemester nehmen und können sich zu Nachhilfetutorien anmelden.
Ansätze, von denen Heublein begeistert ist. „Gerade in den Ingenieurwissenschaften kommt ein Teil der Bewerber mit fachlich fehlenden Voraussetzungen. Dafür können die doch nichts. “
David R. darf die Klausur wiederholen, hat aber dennoch Angst, im dritten Versuch endgültig zu scheitern. Manche seiner Kommilitonen stehen kurz vor der Bachelorarbeit – was fehlt, ist die Klausur aus dem ersten Semester.
Bevor er rausfliegt, will R. lieber die Hochschule wechseln. Oder warten – bis ein neuer Professor die Vorlesung übernimmt. Einer, der nicht so streng ist.
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