Studie zu impressionistischer Kunst: Impressionismus? Luftverschmutzung!
Wer dachte, Claude Monet und William Turner hätten die Atmosphäre gemalt, hat recht – allerdings anders als gedacht.
Vincent van Goghs „Abendlandschaft bei Mondaufgang“ schmückt Wohnzimmerwände und Kalender. Der niederländische Maler erblickte den gelb-orange aufgehenden Mond, der sich zur Hälfte hinter einer blauen Bergkette versteckt, vom Rand eines Feldes in der Nähe des französischen Dorfs Saint-Rémy. Und zwar am 13. Juli 1889 um 21:08 Uhr lokaler Zeit.
So präzise datiert eine im Jahr 2003 publizierte Studie des Astrophysikers und Kunstdetektivs Donald Olson von der Texas State University das Bild. Das Ergebnis geht aus astronomischen Berechnungen und Mondkarten hervor. Zeit und Ort verifizierte Olson anhand persönlicher Briefe. Er schlussfolgert, dass van Gogh seine Umwelt wie in einer Momentaufnahme festgehalten habe.
Diesen Gedanken des Künstlers als Chronisten haben nun die Autor:innen einer im Fachmagazin PNAS erschienenen Studie aufgegriffen und weiterverfolgt. Auch sie schauen sich die Künstler des 19. Jahrhunderts an, deren Kunst oft unscharf und skizzenhaft wirkt. Und sie vermuten, dass hinter dem Verschwimmen der Kontraste nicht nur ein künstlerischer Stilwandel steckt, sondern auch die konkrete Veränderung der Atmosphäre.
Die Studie
Die Autor:innen untersuchten Veränderungen in Stil und Farbe von fast 100 Gemälden verschiedener impressionistischer und vor-impressionistischer Maler, zum großen Teil des Briten William Turner und des Franzosen Claude Monet. Beide lebten zur Zeit der industriellen Revolution in Westeuropa und parallel zu ihrer künstlerischen Entwicklung kam auch die Industriegesellschaft samt Luftverschmutzung in Fahrt. Der Himmel in ihren Gemälden wurde immer trüber.
Die Forscher:innen nutzten Schwefeldioxid (SO2) als Näherungswert für historische Luftverschmutzung. Die frühe industrielle Revolution wurde größtenteils mit Kohle angefeuert, die in der Regel 1 bis 5 Prozent Schwefel enthält. Die historischen Schätzungen der jährlichen SO2-Emissionen entnahmen die Autor:innen einer anderen Studie. Dann verglichen sie die Kontrastvariation eines Kunstwerks mit den historischen SO2-Emissionen und seinem Erscheinungsjahr. So fanden sie heraus, dass die lokalen Emissionen stärker beeinflussten, ob ein Bild kontrastreich gezeichnet wurde, als der historische Zeitpunkt.
Ihre Schlussfolgerung: Die künstlerische Entwicklung von scharfen zu unscharfen Konturen, von realistischer zu impressionistischer Darstellung, entstammt vor allem der zunehmenden Luftverschmutzung im industriellen Westeuropa. Sind Monet und Co. dann überhaupt noch Impressionisten? Den Studienautor:innen zufolge enthält ihre Kunst mindestens auch Elemente von „polluted realism“ – eines verschmutzten Realismus' also.
Was bringt's?
Zweierlei: Maler:innen sind erstaunlich akkurate Umweltchronisten. Und der Dreck der Industriegesellschaft folgt uns bis in die Museen.
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