Studie zu Rechtstendenzen im Osten: Diagnose: Sachsenstolz
Immer wieder macht Ostdeutschland mit rechter Gewalt Schlagzeilen. Warum nur? Eine Studie suchte nach Antworten.
Dieser Frage gingen Wissenschaftler des Göttinger Instituts für Demokratieforschung um den Politikprofessor Franz Walter nach. Der Auftrag erging vom Bundeswirtschaftsministerium, genauer von der dort angesiedelten Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Iris Gleicke (SPD). Sie wird die Studie am Donnerstag vorstellen, der taz lag sie vorab vor. Zentrales Ergebnis: Das Problem liegt bei den Politikern vor Ort – und ihrem mangelnden Widerspruch zu rechten Umtrieben.
Vor allem zu Sachsen finden die Forscher deutliche Worte. Gerade dort gebe es ein „spürbares Bedürfnis nach einer kollektiven Identifikation mit einer möglichst positiven, moralisch ‚sauberen‘ regionalen Identität“. Es finde eine „Überhöhung des Eigenen, Sächsischen“ statt, die Fremdenfeindlichkeit ausblende – oder gar als „genuin sächsische Widerständigkeit“ auslebe. Und die Politik, vor allem der CDU, förderte dies, so die Studienautoren: Indem sie die Probleme „mit Sachsenstolz übertünchen“.
Die Wissenschaftler hatten sich von Mai bis Dezember 2016 die sächsischen Städte Freital und Heidenau sowie den Erfurter Stadtteil Herrenberg genau angeschaut. Alle Orte gelten als rechte Hochburgen. Dort führten die Forscher rund 40 Einzelinterviews mit Politikern und Bürgern, dazu mehrere Gruppendiskussionen und eine „teilnehmende Beobachtung“ vor Ort.
„Obsessive Sorge“
Die Studie nennt ein „Ursachenbündel“ für den in Ostdeutschland grassierenden Rechtsextremismus. Einen Teil davon sehen die Autoren schon vor Jahrzehnten angelegt: in der DDR. Das Aufwachsen in einer geschlossenen Gesellschaft, die damalige Migrationspolitik – Völkerfreundschaft ja, aber MigrantInnen nur als Gäste – und ein von jeher begrenzter Kontakt zu Zuwanderer: All diese Faktoren könnten für eine erhöhte Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland „nicht stark genug betont werden“.
Dazu komme die Erfahrung der Wiedervereinigung. Die Erwartungen der Ostdeutschen seien hier „überzogen“ gewesen. Als statt Wirtschaftswunder Jobverluste eintraten, blieb ein Gefühl der „kollektiven Benachteiligung“ zurück. Bis heute bestehe in Ostdeutschland eine „obsessive Sorge“, so die Autoren, die da lautet: „‚Die Fremden‘ könnten besser wegkommen als ‚wir‘ selbst.“
Nicht hilfreich sei auch eine Distanzierung vieler Ostdeutscher von Parteien und Verbänden nach der Wende, als „Gegenreaktion auf die Zwangskollektivierung im sozialistischen Alltag“. Eine demokratische Entwicklung sei so ausgebremst worden, ebenso die politische Bildung. Dazu komme eine „selektive Erinnerungskultur“.
So sagte ein Herrenberger Lokalpolitiker den Forschern, zu DDR-Zeiten habe es keine faschistischen Umtriebe gegeben. In Freital mochte sich laut Studie niemand an die Angriffe auf das örtliche Gastarbeiterwohnheim 1991 erinnern.
Generell, so die Wissenschaftler, komme es zu einer „unglücklichen Verquickung von Dispositionen“ in Ostdeutschland, die rechte Einstellungen beförderten. Die Politik vor Ort lasse diese zudem „eruptiv eskalieren“.
Harmoniesehnsucht der CDU
Harsche Kritik muss sich hier die sächsische CDU anhören. Vor allem ihre Vertreter seien es, die eine politische Kultur beförderten, „die das Eigene überhöht und Abwehrreflexe gegen das Fremde, Andere, Äußere kultiviert“, so die Studienautoren. Um „Ruhe und Ordnung“ zu schaffen, würden Probleme ausgeblendet und rechte Gewalttaten relativiert. Klare Worte blieben aus. Die Forscher sprechen von einer „Harmoniesehnsucht“. Selbst einige linke Parteien in Sachsen würden Gruppen, die auf Rechtsextremismus hinwiesen, als „Nestbeschmutzer“ angehen.
„Besonders ernüchternd“ seien die Erfahrungen in Freital gewesen, heißt es. Die seit 16 Jahren von der CDU geführte Stadt machte 2015 mit einer ganzen Reihe an Übergriffen auf Flüchtlinge und linke Politiker auf sich aufmerksam. Eine lokale Gruppe steht heute unter Terrorvorwurf vor Gericht. Jegliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus sei in der Stadt „von vornherein abzuwehren versucht“, Interventionen von außen „grundsätzlich mit Argwohn“ begegnet worden.
Für die Autoren ist klar: „Die Lösung liegt vor Ort.“ Ein Umsteuern der Politik auf dieser Ebene sei „möglich wie notwendig“. So gebe es etwa in Erfurt, ein überparteiliches Bündnis, dass sich klar gegen rechts positioniere. Allerdings geben die Forscher auch einen trostlosen Ausblick: Viele Ostdeutsche seien „für etwaige politische Gegenmaßnahmen nur sehr bedingt, meist überhaupt nicht mehr erreichbar“.
Die Ostbeauftragte Gleicke appellierte, aus der Studie „Schlussfolgerungen für die Stärkung der Demokratie und für den aktiven Kampf gegen Rechtsextremismus“ zu ziehen. Bereits der jüngste Jahresbericht der Bundesregierung warnte, Fremdenfeindlichkeit stelle „eine große Gefahr für die gesellschaftliche, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der Neuen Länder dar“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen