Studie über Kinderpornografie im Netz: Von wegen Milliardenmarkt
Eine Studie gibt erstmals Aufschluss über die Verbreitung von Kinderpornografie im Netz. Demnach existiert der angebliche Milliardenmarkt gar nicht.
Das Bündnis White IT hat eine Studie zur Verbreitung von Kinderpornografie vorgelegt. Wesentliche Erkenntnis: den viel beschworenen Milliarden-Markt zur Verbreitung von Kindesmissbrauch-Bildern scheint es nicht zu geben.
"Die Studie gibt erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet nähere Einblicke in die Herstellung und den Vertrieb von Kinderpornografie über das Internet", sagte der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann am Montag in Berlin. Mehr als ein Jahr hatten Mitarbeiter des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Leibniz Universität Hannover Experten interviewt und Gerichtsakten ausgewertet.
Die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte bereits im Jahr 2008 von einem Milliardenmarkt berichtet, für den skrupellose Banden Kinder systematisch missbrauchen würden. Mit einem politischen Bravourstück schaffte sie es so, die schwarz-rote Koalition zu einen und das Zugangserschwerungsgesetz durchzusetzen, mit dem sie die Sperrung von Kinderpornografie-Angeboten in Deutschland durchsetzen wollte.
Doch wie auch die White-IT-Studie zeigt, hatte dieses simple Erklärungsmuster wenig mit der Realität zu tun. "Unentgeltliche Tauschbörsen sind nach unseren Erkenntnissen der größte Markt für kinderpornografisches Material", sagte Professor Bernd-Dieter Meier, der die Studie verantwortet hat. Während die Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten seit Jahren zurückgehen und dank verstärkter Bemühungen der Polizeibehörden relativ gelöscht werden können, entziehen sich Peer-to-Peer-Netzwerke zentralen Sperrungen: "Gerade in den Tauschbörsen und in Newsgroups besteht ein breites, nahezu unerschöpfliches und grundsätzlich kostenfreies Angebot", fasst Meier zusammen.
Fündig werden in Tauschbörsen
Statt neues Material zu kaufen und sich somit einfach entdeckbar zu machen, besorgen sich die Konsumenten ihre Missbrauchsbilder auf anderen Wegen. In Tauschbörsen lässt sich das Material unter bestimmten Codewörtern finden. Ein weiterer wichtiger Vertriebsweg sind Untergrundforen, in denen die Bilder und Videos getauscht werden. Schünemann fordert deswegen neue Befugnisse für Polizisten, um in diesen geschlossenen Foren ermitteln zu können. Um dort aufgenommen zu werden, müssen neue Mitglieder oft neues Material vorlegen.
Geld verdient wird trotzdem. Doch dies landet in den allermeisten Fällen nicht bei den Tätern, die die Kinder auf den Bildern missbrauchen. "Es tendieren gerade Einsteiger dazu, Geld für Kinderpornographie zu bezahlen. Es handelt sich offensichtlich um Personen, die keine vertiefende Kenntnisse von der Infrastruktur haben", erklärt Meier. Bei den Verkäufern handelt es sich aber in der Regel nicht um die Täter, die Kinder selbst missbraucht haben, denn sie schöpfen das Material aus kostenfreien Quellen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die "European Financial Coalition", in der Kinderschutzorganisationen und Zahlungsdienstleister zusammengeschlossen sind. 2010 konnte die breit aufgestellte Industrie-Allianz nur vier kommerziell ausgerichtete Kinderporno-Angebote //heise.de/-1097294%E2%80%9C:ausfindig machen, die Gratis-Konkurrenz hatte den Geschäftemachern schon lange das Wasser abgegraben.
Weiteres Ergebnis der White-IT-Studie: das im Internet kursierende Material zeigt oft brutalen Kindesmissbrauch. 43,4 Prozent der in der Untersuchung erfassten Bilder zeigen Kinder beim Sex mit einem Erwachsenen. Die Konsumenten verlangen stetigen Nachschub: "Für die Nachfrager mit pädosexueller Präferenz besteht immer der Wunsch nach neu- oder einzigartigem Material", so Meier.
Durchgreifende Lösungsansätze fehlen bisher. Präventions- und Therapieangebote für Pädosexuelle sind weiterhin Mangelware. Stattdessen versucht EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström derzeit Websperren auf europäischer Ebene durchzusetzen. Studien zur Wirksamkeit dieser Maßnahme wurden von der EU-Kommission zugesagt.
Leser*innenkommentare
Ingrid Schaper
Gast
Ich kann mich dem Kommentar von kopf-schüttler nur anschließen, erst im 2. Drittel des Textes wurde mir klar, dass hier das Ausmass von Kinderpornographie im Internet wohl nicht verharmlost werden soll. Aus welchem Grund haben die Verantwortlichen für den Artikel diese Überschrift gewählt? Jegliche Verharmlosung dieses Themas ist Gewalt gegen die betroffenen Kinder.
Matthias Böhme
Gast
Na also! Ich bin stets davon ausgegangen, dass diese Behauptungen getürkt sind. Und ich bin stets davon ausgegangen, dass das Ganze getürkt ist, weil dahinter unglaubliche Interessen stehen.
Die Schaffung der Infrastruktur von Internetsperren diente doch vor allem Rechtverwertern, Lizenzinhabern usw. Niemand hätte solche Maßnahme mit der Wahrung der internationalen Medien- und Softwareindustrie durchsetzen können. Kinderpornografie war der ideale Aufhänger, um solche Infrastrukturen rechtfertigen zu können. Wer wollte dem schon widersprechen, wer wollte sich dem Verdacht aussetzen, sich nicht für den bedingungslosen Schutz hilf- und wehrloser Kinder einzusetzen, wer nicht gar dem Verdacht, selbst kinderpornografischen Interessen nachzuhängen! Und die Sicherheitsbehörden hatten ein Interesse, auf diese Weise den Internetverkehr umfassend überwachen zu können.
Ich möchte wetten: Sobald die Infrastruktur für Internetsperren geschaffen worden wäre, hätte es keine drei/vier Jahre gedauert, und die Rechteverwerter hätten gefordert, die vorhandene Infrastruktur zur Wahrung ihrer Interessen - pardon: Rechte - zu nutzen.
Und wesentliche Teile der Politik: Natürlich spielen sie das dreckige Spiel mit - wie könnte es auch sein!
Mario H.
Gast
Als es immer klarer wurde, dass die Behauptungen der Zensurbefürworter keine wirkliche Grundlage besitzen, sondern reines Stammtischgelaber sind, haben sie auch sogleich auf den Glückspielvertrag umgeschwenkt, um Internetzensur zu ermöglichen.
Kopf_schüttler
Gast
Ich finde es von der taz sehr fahrlässig mit ihrer Überschrift das Phänomen der Kinderpornographie zu verharmlosen. Wie kann man die Behauptung aufstellen, es existiere gar kein Milliardenmarkt, nur weil der größte Teil des Warenaustausches in peer-to-peer-Netzwerken und in Tauschbörsen stattfindet, die sich zentralen Sperrungen entziehen? Man muss sich doch nicht auf das Niveau der Bildzeitung begeben (auch wenn es umgekehrte Vorzeichen sind), oder?