Strom für Bolivien: Die Erleuchteten
Eine halbe Million Menschen in Bolivien haben keinen Strom. Nun fördert die Regierung Solarenergie. Davon profitieren Schüler – und deutsche Firmen.
LAPHIA taz | Im Zentrum Boliviens, nur eine halbe Stunde Fahrzeit von der Großstadt Cochabamba entfernt, liegt das Dorf Laphia. Nachts haben die Bewohner einen prächtigen Blick auf das Lichtermeer von Cochabamba. „Wir selbst aber saßen lange im Dunkeln“, erinnert sich Benjamin Vargas. Der 30-jährige Kleinbauer ist der Sprecher des kleinen Dorfs. „Laphia ist das letzte Dorf der Hochebene ohne Stromanschluss.“ Seit Ende November 2013 hat knapp die Hälfte der 45 Familien, die verstreut über die Hochebene leben, auch nach Sonnenuntergang noch Licht. Sie haben in kleine Solarpanels und Lampen investiert, damit ihre Kinder abends nicht mehr ihre Hausaufgaben im Schein von Kerzen oder Öllampen machen müssen.
500.000 Familien sind in Bolivien noch nicht mit Strom versorgt. Mit kleinen Solarsystemen und dem Einsatz von Solarpanels und Lithiumbatterien an den Schulen soll die Versorgung verbessert werden. Die Interamerikanische Entwicklungsbank fördert daher ein Programm für die Verteilung von 10.000 solarbetriebenen Lampen, sogenannten Pico Lámparas.
Vargas deutet auf das kleine Solarpanel, welches ein Stück über das strohgedeckte Dach hervorlugt. „Da liegt es und per Kabel ist es mit der Batterie und den beiden Lampen drinnen verbunden“, erklärt der Gemeindepräsident. Er hat mehr Geld ausgegeben als andere Dorfbewohner und sich neben dem Panel und der obligatorischen Pico Lámpara, einer orangefarbenen, trichterförmigen LED-Lampe, mit einem zusätzlichen USB-Anschluss, noch eine Lithiumbatterie und zwei kleinere LED-Lampen geleistet. Der Kleinbauer, der nebenbei auch als Maurer auf den Baustellen von Cochabamba schuftet, wollte, dass es abends sowohl Licht zum Kochen als auch am Tisch gibt, wo die beiden Kinder ihre Hausaufgaben machen.
„Nun kommen sie besser in der Schule klar“, erklärt Vargas und sein rundes Gesicht unter dem zerbeultem Schlapphut leuchtet zufrieden. Die Batterie, die an einem Nagel an der Wand aus Lehmziegeln hängt, speichert Strom für rund fünf Stunden. Das reicht auch noch, um sein Mobiltelefon und das seiner Frau aufzuladen.
Für Dorflehrer Pastor Caceres Aguilar machen sich die neuen Lichtquellen schon deutlich bemerkbar: „Es gibt einen Unterschied zwischen den Schülern, wo zu Hause eine Pico Lámpara Licht spendet, und denen, wo nur eine Kerze flackert“, sagt der 50-jährige Dorflehrer. Er wohnt direkt gegenüber dem Schulgebäude und ist an das große Solarpanel angeschlossen, welches die Schule mit Energie versorgt. In seiner kleinen Wohnung steht ein Laptop für den Anschluss an den Rest der Welt. „Kinder aus Familien mit den hellen LED-Lampen machen ihre Hausaufgaben besser und setzten sich in ihren Leistungen von denen ohne ab“, schildert er seine Erfahrung, ein Jahr nachdem die Ersten im Dorf sich für die Solartechnologie entschieden.
Rußende und qualmende Kerze
Bei Cristian Solis Racha, einem 12-jährigen Jungen, der nach der Schule gemeinsam mit seiner Mutter Schafe und Ziegen nahe dem kleinen Hof hütet, kommt die Pico Lámpara gut an: „Lesen macht mir, seit wir die Lampe haben, viel mehr Spaß“, sagt er.
Eine Studie der Universität San Simón von Cochabamba bestätigt die Wahrnehmungen der Dorfbewohner. Demnach haben sich die schulischen Leistungen der Kinder in Dörfern wie Pucara Pampa, Pasorapa oder Laphia deutlich verbessert. Außerdem ist die Zahl der Augeninfektionen rückläufig, seitdem die Einwohner angefangen haben, die rußenden und qualmenden Kerzen aus ihren Hütten zu verbannen.
Dass Kinder ohne Solarlampe benachteiligt sind, solle aber nur ein Übergangsproblem sein, so Enrique Rodríguez von der Solarfirma Phocos. Die Phocos AG beschäftigt weltweit 170 Mitarbeiter und gehört zu den führenden Herstellern von Solarladereglern und Komponenten zur autonomen Stromversorgung und hat ihren Stammsitz in Ulm. In Cochabamba ist sie mit einer Dependance vertreten. Die soll in den kommenden Jahren mehr und mehr Dörfer mit Pico Lámparas ausstatten. Ein lohnendes Geschäft. Der Umsatz betrug nach Firmenangaben im vergangenen Jahr zehn Millionen Euro, die Rendite sei zufriedenstellen.
60 Prozent des Monatslohns
Ginge es nach dem Bundeswirtschaftsministerium, könnten noch mehr deutsche Firmen vom lückenhaften Stromnetz Boliviens profitieren. 2013 lud das Ministerium bolivianische Experten zu einer Reise durch Deutschland ein, um Kontakte zur deutschen Solarindustrie zu vermitteln. Die Familien, die auf Solartechnik umsteigen, müssen einen Eigenanteil leisten, der nicht zu knapp ist. Die Anlagen kosten umgerechnet 100 Euro – etwa 60 Prozent des monatlichen Mindestlohns. Viel Geld also; dennoch bemühen sich viele Bauern, das Geld aufzutreiben.
Auch Cresencia Roche Montesinos hat sich ein Solarpanel samt Lampe gekauft und obendrein auch in eine Lithiumbatterie investiert, um fortan immer Licht zu haben. Sie gehört zu den Familien, die sich gleich für die Pico Lámpara entschieden und immerhin einen Zuschuss von der verantwortlichen Stadtverwaltung von Tikipaya erhalten haben, das rund zwanzig Minuten entfernt im Tal liegt und natürlich Strom hat.
Cresencia Roche Montesinos hat sich vor allem für die Pica Lámpara entschieden, weil sie zweimal knapp einem Hausbrand entgangen ist. „Einmal ist eine Kerze, das andere Mal die Petroleumlampe umgefallen, als meine Tochter ihre Hausaufgaben machte“, so die Bäuerin, die eine kleine Schafherde mit ihrem Mann hält. Sie streicht ihrer achtjährigen Tochter Anabel über den Kopf. Die träumt davon, Ärztin zu werden, und die Chancen stehen heute in abgelegenen Landregionen besser als früher.
Quechua: Kinder der Sonne
Die sozialistische Regierung hat eine Elektrifizierungskampagne gestartet. Da der Anschluss an das nationale Stromnetz oft kostspielig ist, sucht das Energieministerium nach lokalen Versorgungsalternativen.
In Laphia glaubt niemand so recht, dass der Anschluss an das Stromnetz schnell kommen wird. „Aber das ist jetzt nicht mehr so wichtig, immerhin haben wir Licht“, gibt sich Cresencia Roche Montesinos pragmatisch. Sie sitzt mittlerweile abends öfter mit ihrer Tochter Anabel vor dem Heft und bessert ihr Spanisch auf. Die meisten der Familien in Laphia sprechen schließlich Quechua, eine indigene Sprache, die schon die Inkas sprachen; jenes Volk, das sich einst als Kinder der Sonne sah.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
CO₂-Fußabdruck von Superreichen
Immer mehr Privatjets unterwegs