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Stress des NikotinentzugsJetzt nur nicht spazieren gehen!

Manchmal will unsere Kolumnistin nicht vor die Tür – aus therapeutischen Gründen. Es könnte gefährlich sein, weil es da draußen doch Zigaretten gibt.

Wenig vorbildhaft: ohne Zigarette wollte Helmut Schmidt gar nicht sein Foto: Ralf Hirschberger/picture alliance/dpa

E s ist Samstagmorgen, ich sitze in der Küche am Tisch, Jacke und Schuhe angezogen, und weiß, dass ich jetzt auf keinen Fall rausgehen darf. In meiner Tasche sind merkwürdigerweise exakt 9,80 Euro: gerade genug für eine Schachtel Zigaretten plus das kleine Mentholpapierchen, das ich da immer reinstecke, um wie einst Helmut Schmidt trotz Rauchens fast hundert Jahre alt zu werden.

Seit Dienstag habe ich bereits nicht mehr geraucht, und der dritte Tag ist immer der schlimmste – gestern Abend habe ich geweint und genau gewusst, dass ich meine Arbeit ganz und gar schlecht und sowieso eigentlich schon immer alles falsch mache und stets gemacht habe, dass mein Kind nur aus diesem Grund kürzlich auf einen anderen Kontinent ausgewandert ist und mein Liebster mich eigentlich nur noch deshalb supportet, weil ihm ja quasi nichts anderes übrig bleibt. Heimlich wünscht er sich wahrscheinlich längst mein baldiges Ableben.

Weiter zu rauchen erschien mir plötzlich irgendwie viel logischer

Was ich dagegen nicht mehr gewusst habe: Warum ich durch Nichtrauchen diese jämmerliche Existenz eigentlich noch verlängern will. Weiter zu rauchen erschien mir plötzlich irgendwie viel logischer, aber irgendwo – ich bin ja suchterfahren – war da doch noch dieser Gedanke: Das liegt bloß am dritten Tag! Halte durch. Morgen wird alles schon viel besser sein.

Heute ist morgen, und es ist alles noch viel schlimmer geworden.

Das Ziehen in meiner Lunge

Ich bin krank, natürlich bin ich krank, ich werde immer krank, wenn ich versuche, mit dem Rauchen aufzuhören: Statt ohne das tödliche Gift einfach dankbar drauflos zu genesen, kapituliert der Körper vor dem Stress des Nikotinentzugs. Sämtliche Atemwege sind mit einer Masse aus getrocknetem Uhu gemischt mit Betonstaub verstopft, Einatmen ist plötzlich so mühsam, dass sich das Ausatmen jedes Mal anfühlt wie nach einer körperlichen Anstrengung. Das Ziehen in meiner Lunge fühlt sich ganz genau wie ein echter Trennungsschmerz an, und meine Haut sieht plötzlich aus, als hätte ich viele Jahrzehnte lang viel zu viel geraucht.

Außerdem ist das gewohnte Piepsen in meinem Ohr auf das Mehrfache der üblichen Lautstärke angeschwollen. Wie durch Watte höre ich deshalb Reporter im Radio von Fufballfpielen reden, die einf fu fwei geendet haben, Bundefliga. Aber Fport intereffiert mich gerade nicht: Ich habe Hunger.

Mein Liebster ruft an. Wie geht ef dir, fragt er. Ich habe Hunger, sage ich. Dann iff waf, sagt er. Aber ich habe doch eben erst gegessen! Und davor auch! Ich esse jetzt eigentlich den ganzen langen Tag! Iff noch waf, sagt er. Effen ift beffer alf rauchen.

Nichtraucherinnenappetit wie bei einer Schwangeren

wochentaz

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Also gehe ich jetzt doch raus, gehe ohne auch nur einen einzigen Seitenblick am Zigaretten-Späti vorbei direkt zur Bäckerin. Mein Nichtraucherinnenappetit gleicht dem einer Schwangeren: Ich weiß ganz genau, was ich essen will, und meist ist das etwas, was ich sonst niemals esse. Und: Ich will viel davon. In der Bäckerei um die Ecke bestelle ich vier Berliner Pfannkuchen.

Sechs Euro, sagt die Verkäuferin, ich kann plötzlich wieder klar und rauschfrei hören und blicke deshalb überrascht auf. Sie missdeutet das und glaubt, sich entschuldigen zu müssen: „Ja, es ist leider alles viel teurer geworden!“, sagt sie. Und dreht dann ihren Kopf schräg nach unten zur Seite, das Gesicht in nachdenkliche Falten gelegt, für einen kurzen Moment der Besinnung ganz still.

Dann strahlt sie mich plötzlich an: „Aber uns geht’s ja noch gut!“ Mein Gott, ja, denke ich, ohne dabei wirklich an Gott zu denken. Oh mein Gott, ja. Es geht mir gut.

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Kolumnistin taz.stadtland
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4 Kommentare

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  • „Du kannst alles machen .. nur nicht rauchen!“ … mit dem Satz hab ich aufgehört. Kann ich also nur empfehlen.

  • Na zum Glück wird die einfachste Methode, vom tödlichen Rauchen wegzukommen, ja immer mehr verteufelt, übrigens unter fleißiger Anleitung der WHO, diversen Menschenfreunden mit Profitinteressen, halbreligiösen Eiferern und unter intensiver Mitarbeit einiger geldgieriger Produzenten von Einwegschrott. Nennt sich auf neudeutsch Harm Reduction, also Konsum von Nikotin Produkten mit signikant niedrigerem Schadenspotential. Ich empfehle dazu den Youtube-Kanal von Bernd Mayer, vielleicht könnte das den Druck der Autorin ein wenig mindern.



    Ach ja, und zum bitteren Lachen mal nach "Fackeln der Freiheit" googlen.

    • @Wurstfinger Joe:

      Der Markt wurde politisch mit unverhältnismäßigen Regulierungen und Steuern zerstört und die Tabakindustrie hat den verbleibenden, u.a. auch durch Werbeverbote nicht mehr profitablen Einzelhandel geschluckt ... um natürlich wieder den Tabak an den Mann oder die Frau zu bringen.

      Das Ergebnis ist, dass deutsche Dampfer im europäischen Ausland zu Preisen (online) einkaufen, die in Deutschland längst Geschichte sind.

  • 😬 Aufhören ist hart, besonders wenn man gerne raucht : Ich drücke die Daumen, es gibt kein Rezept, ich finde Rauchen mittlerweile auch ziemlich teuer, die restlichen Gründe sind endlos oft erzählt worden. Es lohnt sich immer der Rauchstopp, aber es ist sehr sehr hart, das 1. Jahr, danach wird es besser. Viel Erfolg !