Streitschrift zur Reformierung der EU: Europa, bitte links abbiegen
Rechtspopulisten sind im Aufwind. Und die EU schwächelt. Mit einer Streitschrift wollen Rot-Rot-Grüne ein solidarisches und demokratisches Europa kreieren.
In einer Streitschrift, die der taz vorab vorliegt, kombinieren sie linke Kritik mit linken Visionen. Forderungen aus dem eigenen Spektrum nach einem Ausstieg aus dem Euro erteilen sie eine Absage und skizzieren die Vision einer Europäischen Ausgleichsunion mit einer demokratisch gewählten europäischen Wirtschaftsregierung, die Einfluss auf die Haushalte der Nationalstaaten nimmt und in der Lage ist, aktuelle Herausforderungen, wie die der Flüchtlinge, gütlich und solidarisch zu lösen. Die Verfasser wollen die EU also retten, indem sie deutlich mehr Europa fordern, mithin eine Art Lightversion der Vereinigten Staaten von Europa.
Schwan gehört der Grundwertekommission der SPD an, Bsirske ist Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen und ein weiterer Autor, Harald Wolf, war zehn Jahre lang Berlins Wirtschaftssenator und handelt gerade für die Linkspartei den Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen aus. „Das ist mal eine andere Art von Rot-Rot-Grün“, frohlockt Linksparteivize Axel Troost, der das Autorenteam maßgeblich zusammenschmiedete. Der Finanzpolitiker, der in der Linkspartei die zwischen rechtem und linkem Flügel angesiedelte Strömung „Mittelerde“ vertritt, gewann auch Wirtschaftswissenschaftler wie Mechthild Schrooten, eine der Sprecherinnen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memorandum-Gruppe), und Politologen wie Klaus Busch, der die Gewerkschaft Verdi europapolitisch berät.
Ein gesellschaftlich und politisch breit aufgestelltes Autorenteam also. Man kennt sich bereits aus der Gruppe „Europa neu begründen“, die im vergangenen Jahr mit einem entsprechenden Aufruf im Internet auf sich aufmerksam machte.
Linke Euroskeptiker sind selten, aber laut
Das 82-seitige Papier für ein solidarisches Europa soll am4. November veröffentlicht werden. Es ist nicht nur ein Versuch, dem linken Dilemma zu entkommen, die stets kritisierte und mit Attributen wie „neoliberal“, „bürokratisch“, „intransparent“ und „undemokratisch“ bedachte EU gegen rechte Nationalisten in Schutz zu nehmen. Es ist auch eine deutliche Kritik an den Verfechtern linker Ausbruchsversuche aus dem Euro, die nicht mehr daran glauben, dass die EU noch zum Besseren zu verändern sei. „Die zentrale Botschaft dieser Streitschrift liegt in der These, dass die EU und der Euro sich reformieren lassen“, heißt es fast trotzig.
„Es gibt überall Zweifel an der Reformierbarkeit des Euro, ja sogar der EU insgesamt. Am stärksten ist er in der Partei Die Linke und natürlich noch mehr bei der Rechten, aber auch bei renommierten Freidemokraten“, begründet Schwan gegenüber der taz die Fokussierung. Wenn man jedoch die Reformierbarkeit der EU infrage stelle, bedeute das praktisch – um der Demokratie willen – eine Rückkehr zu einem lockeren Verbund von Nationalstaaten. „Damit ist das Projekt der Europäischen Union am Ende“, warnt Schwan.
Die linken Euroskeptiker sind zwar eine Minderheit, aber eine laute, erst recht nachdem die Troika, das Triumvirat aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds, der sozialistischen Syriza-Regierung in Griechenland als Gegenleistung für den Verbleib im Euroraum eine kompromisslose Privatisierungs- und Sparpolitik aufgezwungen hatte. Zu den Befürwortern eines „Plan B“, eines Notausgangs aus dem Euro, für den Fall, dass sich die EU und der Euro nicht demokratisieren lassen, gehören der deutsche Regionalpolitiker Oskar Lafontaine, der französische Sozialist Jean-Luc Mélenchon und Griechenlands Exfinanzminister Yannis Varoufakis. Sie hatten ihren Plan vor gut einem Jahr vorgestellt.
Mittlerweile ist Varoufakis von der Exit-Idee als goldener Hintertür wieder abgerückt und tourte stattdessen als Warner vor dem Brexit durch Großbritannien. Doch in Frankreich will Präsidentschaftskandidat Mélenchon sein Land nach wie vor aus dem Euro führen, und in Deutschland wirbt Lafontaine für eine Rückkehr zu nationaler Währungs- und Wirtschaftspolitik, prominent unterstützt von seiner Ehefrau, der Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht. „Ein einzelnes Land muss die Chance haben, eine linke Politik zu machen“, sagte sie auf einer Konferenz zur Zukunft Europas, zu welcher ihre Fraktion im September eingeladen hatte. Das „Reinregieren“ müsse aufhören, forderte Wagenknecht. Ein anderes Währungssystem sei Teil dieser, wie sie es nennt, Demokratisierung.
Keine Rückkehr zu Peso, Drachme und Lira
Ohne Wagenknecht namentlich zu nennen, erteilen die Verfasser den Exit-Gedankenspielen eine Absage. „Ihre politische Umsetzung würde die EU, aber auch die Exit-Staaten in massive sozialökonomische Krisen stürzen“, schreiben sie und sehen sogar die Gefahr eines Wirtschaftskrieges.
Auch Linkspartei-Chef Bernd Riexinger hat sich in einem Papier gegen Forderungen nach einer Rückkehr zu nationalen Währungen ausgesprochen. In einem Beitrag, der in dem Onlinemagazin Prager Frühling veröffentlicht wurde, bezeichnet er solche als „gefährlichen Irrweg“. „Die Auflösung der Eurozone und die Rückkehr zu nationalen Währungen wären mit einem länger anhaltenden Krisenprozess mit unklarem Ausgang verbunden“, schreibt er.
Riexinger plädiert für eine „soziale und demokratische Neugründung der EU“. Als Punkte nennt er eine europäischen Arbeitslosenversicherung, Arbeitszeitverkürzung, eine Reform der Währungspolitik und eine demokratische Kontrolle der EZB. (epe)
Zwar teilen sie die Analyse der Exit-Fans, dass es unter Nationalstaaten, die in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit gemeinsamer Währung konkurrieren, unweigerlich zu Verwerfungen kommt. Dies geschehe, weil wirtschaftlich potente Länder, wie Deutschland, alle Vorteile der gemeinsamen Währung auf ihrer Seite haben und ihre Exportüberschüsse auf Kosten wirtschaftlich abgehängter Länder erzielen, die mit einem „zu teuren“ Euro nicht wettbewerbsfähig produzieren.
Allerdings sehen Troost, Schwan, Bsirske und Co. die Rückkehr zu Peso, Drachme und Lira und einem System fester Wechselkurse nicht als Ausweg. Mit einer schwächeren Währung würden zwar die Produktionskosten zunächst sinken. Gleichzeitig, so argumentieren sie, stiegen aber die Kosten für Kredite und Importe, sodass die Regierungen gezwungen seien, Löhne und Investitionen zu kürzen. „Es erweist sich damit als recht naive Vorstellung, dass mit der Auflösung der Wirtschafts- und Währungsunion die bisherigen Eurostaaten einen größeren Spielraum für eine fortschrittliche Wachstums-, Beschäftigungs-, Sozial- und Lohnpolitik erlangen könnten“, schreiben sie.
Diese Spielräume sehen sie nur, wenn die EU-Mitglieder ihre Egoismen überwinden, ihre Schulden vergemeinschaften und einen größeren Teil ihrer Einnahmen in einen gemeinsamen Topf abtreten. Radikale, aber keine neuen Vorschläge und beileibe keine mit linkem Patentschutz.
„Deshalb brauchen wir einen Regierungswechsel“
Die Streitschrift verweist auf sechs Jahre alte Pläne des damaligen Kommissionspräsidenten Manuel Barroso und des Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. Die sogenannte Blaupause für eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion, die die beiden konservativen Politiker unterbreiteten, um die Mängel der Maastrichter EU-Verträge auszugleichen, wurde nie umgesetzt. Dies gilt auch für die Eurobonds, die der damalige Premierminister Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, und Italiens Exfinanzminister unter Silvio Berlusconi, Giulio Tremonti, vorschlugen.
„Es ist eine Vision, die nur umsetzbar ist, wenn es in Deutschland und Frankreich einen Änderungswillen gäbe“, räumt Troost ein. Dass Merkel die Streitschrift zur Grundlage ihrer Europapolitik machen wird, ist indes nicht zu erwarten. Eine Voraussetzung, damit die Vorschläge Wirklichkeit werden, wäre daher so Troost, „dass sich in Richtung Rot-Rot-Grün etwas bewegt“. Selbst wenn das gelänge, müssten sich dann allerdings noch die KritikerInnen in der eigenen Partei hinter der Version einer solidarischen EU versammeln.
Auch Schwan hält einen Politikwechsel in Deutschland, der endlich solidarische Lösungen für die EU ermögliche, für dringend erforderlich. „Wenn Wolfgang Schäuble und Angela Merkel dazu bereit wären, wäre das wunderbar“, so Schwan zur taz. Aber das sehe sie nicht. „Deshalb brauchen wir einen Regierungswechsel.“
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