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Streitgespräch"Reala gegen Linke?" - "Unfug!"

Grünes Gedrängel vor der Bundestagswahl: Mit Alice Ströver und Lisa Paus streiten sich zwei Frauen um einen Listenplatz, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Entscheidung fällt in zwei Wochen.

taz: Frau Paus, Frau Ströver, nehmen Sie doch mal die Würfel und klären, wer von Ihnen sich als Erste profilieren darf.

Alice Ströver: Eins.

Lisa Paus: Sechs.

Frau Paus, was würden Sie im Deutschen Bundestag tun, was Frau Ströver nicht könnte?

Paus: Ich kann mich für die Aufarbeitung der Finanzkrise, der grundsätzlichen Umgestaltung der Finanzmärkte und der Wirtschaft einsetzen. Wirtschafts-, Finanz-, und Haushaltspolitik sind meine Stärke.

Sie wollen also das fortsetzen, was Sie bisher als Landesparlamentarierin gemacht haben. Und Sie, Frau Ströver, wollen natürlich weiter Kulturpolitik betreiben. Aber gerade für die Berliner Kultur macht sich schon die CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters stark.

Ströver: Kultur- und Medienpolitik sind nicht nur wichtig für Berlin. Es geht darum, weiche Standortfaktoren zu stärken und für ganz Deutschland die Kreativwirtschaft, die Medien- und Kulturlandschaft durch gute Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln. Es muss endlich geklärt werden, welche Aufgaben der Bund hat und welche die Länder. Da gibt es auch für zwei Kulturpolitikerinnen aus Berlin eine Menge zu tun.

Wieso wollen Sie überhaupt wechseln? Ist Ihnen die Landespolitik nach 13 Jahren zu dröge geworden?

Ströver: Nach der Berlinwahl 2006 hatte ich auf einen rot-grünen Senat gehofft und die Möglichkeit, grüne Politik in Regierungshandeln umzusetzen. Die Art, wie uns Klaus Wowereit dabei ausgebootet und stattdessen die Koalition mit der Linkspartei fortgesetzt hat, war für mich persönlich Anlass, mir eine andere Herausforderung zu suchen.

Das heißt, Sie hören in der Landespolitik auf, auch wenn es beim Parteitag in zweieinhalb Wochen nicht mit Ihrer Nominierung klappt?

Ströver: Ich denke schon, dass nach dieser Legislaturperiode Schluss ist. Man sollte nicht zu lange im Abgeordnetenhaus sein.

Und Sie, Frau Paus: Wieso ist Landespolitik für Sie nicht mehr interessant?

Paus: Interessant durchaus. Mich faszinierte die Wirtschaft von klein auf. Ich stamme aus einer Familie mit einem mittelständischen Unternehmen und habe auch Wirtschaftswissenschaften studiert. Als ich 1995 zu den Grünen kam, lag mein Schwerpunkt bereits auf Wirtschaftspolitik. Auf diesem Feld lässt sich auch auf regionaler Ebene eine Menge erreichen.

Warum wollen Sie dann in den Bundestag wechseln?

Paus: Weil die zentralen Themen und Rahmenbedingungen nun mal auf nationaler und europäischer Ebene gesetzt werden. Die aktuelle Finanzkrise zeigt aus meiner Sicht, wie wichtig Nachhaltigkeit und Verantwortung gewesen wären. Da gilt es im Wirtschaftssystem Grundlegendes zu verändern. Dazu will ich im Bundestag meinen Beitrag leisten.

Wirtschaft und Kultur sind die Themen, die Sie beide unterscheiden. Lassen Sie uns grundsätzlicher werden: Alice Ströver die Reala, Lisa Paus die Linke - irgendwelche Einwände?

Ströver: Ja, ganz vehemente. Ich habe mich noch nie einem Lager zugeordnet.

Es reicht ja auch, wenn das andere für Sie tun.

Ströver: Ich mache realpolitische Vorschläge, keine Frage. Aber ich kann mit diesen Begriffen "Reala" und "Linke" nichts anfangen. Diese Zuschreibungen sind überholt. Ich bin gegen eine Lagerpolitik.

Und Sie, Frau Paus, sind Sie etwa keine Linke?

Paus: Ich bin so sozialisiert, mir sind soziale Fragen wichtig.

Im Gegensatz zu Frau Ströver?

Ströver: Es ist doch Unfug, solche Schubladen aufzumachen. Für eine grüne Politik war Pragmatismus schon immer ein wichtiges Standbein. Trotzdem sind auch Visionen erforderlich. Die soziale Frage war neben der Ökologie immer ein grünes Thema.

Es gibt also keine Lager und auch keine Flügelkämpfe - alles eine Erfindung der Medien?

Paus: Natürlich gibt es in zentralen Positionen Unterschiede, und zwar erhebliche.

Dann lassen Sie uns die doch mal durchgehen. Nummer eins: bedingungsloses Grundeinkommen, ja oder nein?

Ströver: Nein. Ich bin für Grundsicherungsmodelle, wie sie die Partei auch beschlossen hat.

Und Sie, Frau Paus?

Paus: Grundeinkommen sollte für uns Grüne eine Perspektive sein. Neue Erwerbsbiografien brauchen neue soziale Sicherungssysteme.

Bundeswehr in Afghanistan - sollte sie rausgehen oder drinbleiben?

Ströver: Raus ja, aber nur mit einer klaren Option für das Land selbst. Wir können Afghanistan nicht in diesem Desaster hängen lassen. Das ist für mich auch eine Frage für die Frauen und Kinder dort. Bei der Abstimmung über die Verlängerung des Einsatzes hätte ich mich im Bundestag enthalten.

Und Sie hätten mit Nein gestimmt, Frau Paus?

Paus: Ich halte es da mit Christian Ströbele: Ich will eine verantwortungsbewusste, aber klare Abzugsstrategie, und dazu brauchen wir jetzt ein klares Nein. Selbst Nichtregierungsorganisationen sagen, dass sie dort inzwischen nicht mehr arbeiten können. Mich erinnert die Lage sehr stark an Vietnam. Auch da war zu einem bestimmten Zeitpunkt klar: Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen.

Genauso formuliert das auch die Linkspartei. Das wäre die nächste Gretchenfrage: Können Sie sich eine Koalition mit der Linkspartei vorstellen?

Ströver: Die Art, wie man dort den Namen gewechselt und geschickt die Metamorphose von der SED zur Linkspartei geschafft hat, ist nicht einhergegangen mit einer konsequenten Aufarbeitung der eigenen Unrechtsgeschichte. Hier müssen die Linken noch eine Menge bereinigen.

Also ein klares Nein von Ihrer Seite?

Ströver: Für mich wäre diese Aufarbeitung eine zentrale Voraussetzung für ein gemeinsames Regieren auf Landesebene, erst recht aber auf Bundesebene. Anders als Lisa Paus würde ich nie bedingungslos sagen: Rot-Rot-Grün ist besser als alles andere. Ziel muss Rot-Grün sein.

Sagen Sie das tatsächlich so bedingungslos, Frau Paus?

Paus: Nein, sage ich nicht. Ich finde es richtig, immer wieder die Aufarbeitung der Vergangenheit einzufordern. Aber: Man kann gerade auf Bundesebene, wo inzwischen die jüngeren Mitglieder im Osten und die Masse der Mitglieder im Westen mit der alten SED nichts mehr zu tun haben, nicht alle in Mithaftung nehmen. Insofern ist die Linke schon eine neue Partei.

Ströver: Neu? Mit Herrn Bisky und Herrn Gysi? Also Entschuldigung, aber was soll denn daran neu sein?

Es gibt tatsächlich eine Parteivize, Katja Kipping, die zur Wende erst elf Jahre alt war.

Paus: Und neben ihr gibt es viele andere in verantwortlichen Positionen, die nichts mit der SED zu tun hatten. Die Linkspartei ist nicht die PDS. Sie hat sich erweitert um linke Gewerkschafter bis hin zu alten Westtrotzkisten. Gerade im Westen ist sie eine Abspaltung der SPD.

Ströver: Und außerdem müsste man zunächst sehen, was sie für ein Programm vorlegt.

Paus: Das ist tatsächlich auch mein Problem: Bislang hat die Linkspartei noch nicht einmal ein Programm. Und deshalb können wir auch nichts miteinander abgleichen oder Dissense feststellen, geschweige denn Perspektiven entwickeln. Ich bin aber zu Kohl-Zeiten bei den Grünen eingetreten, um eine konservative Regierung abzuwählen und eine linke zu ermöglichen. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Frau Ströver, Ihre favorisierte Kombination Rot-Grün ist rechnerisch weit von einer Regierungsmehrheit im Bund entfernt.

Ströver: Mich haben Farbenspiele in der Politik noch nie interessiert. Mich interessiert grüne Eigenständigkeit. Und ich habe fast mein ganzes Leben lang Oppositionspolitik gemacht, lange außerhalb des Parlament, dann innerhalb.

Aber auf die Dauer ist Opposition Mist, um mal von Müntefering zu klauen.

Ströver: Natürlich ist die Perspektive reizvoll, grüne Themen auch in einer Regierung umsetzen zu können. Aber wenn das nicht geht, muss man eben Oppositionsarbeit leisten. Da kann man manches erreichen - auch wenn man dafür einen langen Atem braucht.

Zwei Wochen touren Sie noch durch die Kreisverbände. Werden Sie auch nach dem 9. November noch einen Kaffee miteinander trinken?

Ströver: Ich würde es mir wünschen.

Paus: Ich mir auch. Vielleicht schaffen wir es noch nicht direkt am 10. November. Aber das Leben geht weiter, auch in der Politik.

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