Streitfall Osman Kavala in der Türkei: Ankara droht Rauswurf aus Europarat

Straßburg hat die Freilassung von Osman Kavala angeordnet. Doch die Türkei ignoriert das Urteil – das könnte bald gewichtige Folgen haben.

Erdogan vor einer türkischen Flagge

Steuert auf ein ernsthaftes Zerwürfnis mit dem Europarat zu: Türkeis Präsident Erdoğan Foto: dpa

ISTANBUL taz | Am Ende eines langen Prozesstags in Istanbul entschieden die Richter am Freitagabend zuletzt gegen die Verteidigung und für einen Antrag des Staatsanwaltes: Das bedeutet, dass der prominente politische Gefangene Osman Kavala auch nach vier Jahren weiterhin in Untersuchungshaft bleibt.

Diese Entscheidung ist eine Provokation, nicht nur gegen Kavala, sondern vor allem gegen den Europarat, dessen höchstes Gremium, der Ministerrat, erst Mitte September ultimativ gefordert hatte, Kavala sofort aus der U-Haft zu entlassen.

Der Ministerrat verlieh damit einer Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes (EGMR) in Straßburg Nachdruck, der bereits 2019 geurteilt hatte, Kavala und der ebenfalls seit vier Jahren in U-Haft festgehaltene ehemalige Parteivorsitzende der links-kurdischen HDP, Selahattin Demirtaş, müssten unverzüglich aus der U-Haft entlassen werden.

Die türkische Regierung verweigert seitdem die Umsetzung des Gerichtsbeschlusses aus Straßburg. Bleibt die türkische Regierung bis Ende November dabei, Kavala und Demirtaş nicht aus der U-Haft zu entlassen, will der Ministerrat des Europarates in seiner Sitzung vom 30. November bis 2. Dezember ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei einleiten.

Parallele zu Aserbaidschan

Der EGMR ist die wichtigste Institution des Europarates. Er überwacht die Einhaltung der europäischen Menschenrechtscharta, die alle Mitglieder ratifiziert haben. Erst vor wenigen Monaten ist die Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen ausgetreten, ebenfalls ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag des Europarats.

Der Ausschluss der Türkei aus der ältesten europäischen Staatenorganisation, die 1949 gegründet wurde, und in der alle europäischen Staaten einschließlich Russland und der Kaukasusstaaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien Mitglied sind, wäre ein Novum.

Er dürfte der Erdoğan-Regierung, die sehr großen Wert auf ihr internationales Prestige legt, nachhaltig schaden. Bislang gab es in der Geschichte des Europarats nur einen vergleichbaren Fall, als Aserbaidschan ebenfalls die Umsetzung eines Urteils des Straßburger Gerichts verweigerte. Bevor es zum Ausschluss kam, lenkte Präsident Aliyew allerdings ein und ließ einen bekannten Oppositionellen frei.

Gegen Russland verhängte der Europarat nach der Übernahme der Krim als Sanktion die Aussetzung des Stimmrechts in der parlamentarischen Versammlung. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen wurde diese Sanktion allerdings wieder aufgehoben.

Verteidigung spricht von „Justizputsch“

Der 64-jährige Osman Kavala ist einer der bekanntesten Streiter der türkischen Zivilgesellschaft. Er gründete verschiedene Initiativen, die die Kultur der Minderheiten in der Türkei, insbesondere Armenier und Kurden, unterstützen und für eine Aussöhnung in der Gesellschaft eintreten.

Kavala, der aus einer reichen Industriellenfamilie stammt und deshalb regelmäßig als Mäzen auftrat, ist Erdoğan schon lange ein Dorn im Auge. Er wurde zunächst angeklagt, die Gezi-Proteste 2013 finanziert zu haben, wurde von diesem Vorwurf jedoch freigesprochen. Noch bevor er das Gefängnis verlassen konnte, präsentierte die Staatsanwaltschaft eine neue Anklage, in der ihm vorgeworfen wird, am Putschversuch gegen Erdoğan 2016 beteiligt gewesen zu sein.

Im aktuellen Prozess ist sein Verfahren erneut mit einem laufenden Verfahren wegen der Gezi-Proteste zusammengelegt worden, weshalb die Verteidigung von einem „Justizputsch“ spricht. Am 28. November soll dieser Prozess nun fortgesetzt werden. Es dürfte die letzte Chance für die Türkei sein, einem Rauswurf aus dem Europarat zu entgehen.

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