Streit ums Tempelhofer Feld in Berlin: Die Freiheit endet an der Stirn
Berlins Kulturkämpfe werden immer bizarrer. Da wird ein Kinder-Zirkus zum Vorboten böser Flächenbebauung, Späti-Schließzeiten bedrohen die Freiheit.
![Ein Kind auf dem Tempelhofer Feld, es trägt einen Helm, hinter ihm steigen bunte Drachen Ein Kind auf dem Tempelhofer Feld, es trägt einen Helm, hinter ihm steigen bunte Drachen](https://taz.de/picture/3537936/14/boopathi-rajaa-3g_4mmMAB1A-unsplash.jpeg)
Da hier auch auswärtiges Publikum mitliest ein paar Worte zu diesen Kulturgütern: Einmal geht es um die riesige Brache des Tempelhofer Fughafens am Rande der beiden Bezirke, zum anderen um so genannte „Spätis“, Läden, die auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten alles führen, was man so braucht (oder auch nicht, wenn man nur etwas besser organisiert ist).
Beide Einrichtungen sind bedroht, das empört ihre Fans: Wehe, das Tempelhofer Feld bleibt nicht vollständig unbebaut, wie es die Bürgerini – so sagen sie gerne, als wäre jede Ini eine gute Freundin – „100 % Tempelhofer Feld“ mittels Volksentscheid erreicht hat. Und: Wehe, mein „Späti“ darf sonntags nicht öffnen, wie es das Berliner Verwaltungsgericht jetzt entschieden hat, weil sich auch diese Läden ans Ladenschlussgesetz halten müssen.
Die Aufwallung um Feld und Späti markiert die große Engstirnigkeit, die diese Leute zwar überdeutlich auszeichnet, die sie aber weit von sich weisen, weil es ihnen ja um nichts weniger als ihre „Freiheit“ geht, die sie bedroht sehen. Sie geben sich alle megalässig, sind aber darin schrecklich konservativ geworden und wollen nur eins: ihre Egoismen verteidigen.
Hundertprozentig. Ernsthaft!
Begeben wir uns zunächst aufs Feld: Da steht am Rande neben einem für die Beherbung von Flüchtlingen errichteten Containerdorf ein gelb-rot gestreiftes Zirkuszelt, betrieben vom Kinderzirkus Cabuwazi. Der Name bildet sich aus der Abkürzung des Langnamens „Chaotisch bunter Wanderzirkus“, was auf die Herkunft aus einem Kreuzberger Hinterhof schließen lässt. Als sozialpädagogisches Projekt sollte er zum natürlichen Freund der sich ebenfalls kreuzbergisch-links gebenden 100 %-Ini zählen, doch die wendet sich gerade gegen ihn. Sie warnt, dass das Zelt, wenn es noch länger dort steht, der weiteren Bebauung des Feldes Vorschub leiste.
Dass im Cabuwazi Kinder und Jugendliche aus allerhand Schichten und Herkünften Spaß haben, seiltanzen und jonglieren, das ist den 100%-lern egal. Sie sind ja Hundertprozentige. Und das sehr ernsthaft.
Sie betrachten das Areal – groß wie 450 Ikea-Parkplätze, wo sie gerne heimlich einkaufen – als ihren Garten. Und wehe, da will jemand Spaß haben und etwas Sinnvolles tun. Und nicht, wie sie, einfach nur etwas bewahren, weil sich die Frage „Wem gehört die Stadt“ so revoluzzerhaft anhört.
Nicht mehr so oft zur Demo gegen hohe Mieten
Nun zu den Spätis. Von denen gibt es sehr viele in den oben benannten Gegenden Berlins. Als Versorgungsstellen sind sie überflüssig, denn ihre sehr wütenden Verteidiger („Das ist nicht mehr Berlin!“) könnten natürlich auch auf Vorrat einkaufen. Kühlschränke und Platz für Instantsuppentüten dürften sie haben. Aber auch hier wollen sie etwas bewahren, weil das nun mal ihr liebevoll gepflegter Berlin Way of Life ist. Als hinge ihr Lebensglück von der Möglichkeit ab, auch mal abends oder sonntags etwas einzukaufen. In ihrem Bemühen, nicht spießig zu sein, sind sie verspießt.
Wie gut, dass die Deckungsleichheit der Empörten groß ist: Ihnen wird das in ihren Kreisen beliebte „Späti-Bier“ näher sein als das Tempelhofer Feld. Denn das brauchen sie ja, um es dann dort zu trinken. Und während sie für jeden Späti eine Mein-Späti-muss-bleiben-Ini gründen, wird das Zirkuszelt in Ruhe noch eine Weile stehen bleiben können. Am besten, das Feld wird in der Zeit auch großflächig bebaut. Das wäre die einzig sinnvolle Nutzung. Und der schöne Nebeneffekt: Die Späti- und Feld-Freunde müssten dann nicht mehr so oft zu Demos gegen zu hohe Mieten. Ein Wohnviertel auf dem Feld würde den Markt entlasten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links