Streit um geöffnete Schulen: Politisch gewollt, aber gekonnt?
Im Prinzip läuft vieles richtig beim Schulbetrieb in der Pandemie. Manchen Ländern fällt es aber schwer, Entscheidungen der Ämter zu respektieren.
Z ugegeben: Allen Seiten werden es die Kultusminister:innen sowieso nicht recht machen können. Noch dazu, wenn es um steigende Infektionszahlen und Regelunterricht an Schulen geht. Wie sehr die Nerven derzeit blank liegen, zeigen die Adjektive, die Eltern und Lehrer:innen im Moment für die Entscheidungen der Politik finden: falsch, unverständlich, unverantwortlich.
Dabei machen die Länder vieles richtig – zumindest im Prinzip. Sie versuchen, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten, was dringend geboten ist, um Schüler:innen aus sozial benachteiligten Familien nicht den Anschluss zu verbauen. Sie schicken Schüler:innen und Lehrkräfte bei einem Coronafall vorsorglich in Quarantäne, was auch dann noch vernünftig ist, wenn – wie aktuell – die Zahl der Betroffenen dramatisch klingt (in Wahrheit aber keine 5 Prozent der Schüler:innen betroffen sind). Und: Sie überlassen es den lokalen Gesundheitsämtern, in Rücksprache mit den Schulen vor Ort über Wechselunterricht und Schulschließungen zu entscheiden.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht leider weniger rosig aus. Denn wenn bei gestiegenen Infektionszahlen die Klassen immer noch voll sein sollen, heißt das auch: Maske auf im Unterricht. Manche Bundesländer wie Bayern muten inzwischen lieber ihren Grundschüler:innen einen Mund-Nasen-Schutz zu, als über geteilte Klassen und Wechselunterricht nachzudenken. Und dass viele Schüler:innen im Unterricht nur mehr im Wintermantel sitzen, weil die Kultusministerien regelmäßiges Lüften verordnen (und gleichzeitig die Notwendigkeit von Luftfiltern in den Klassenzimmern abstreiten) –, ist dann halt der Preis, den „wir“ für den weitgehend aufrechterhaltenen Präsenzunterricht zahlen müssen. Fair enough!
Man kann die Einschränkungen natürlich für das kleinere Übel halten, vielleicht muss man das sogar. Eines muss man sich jedoch klarmachen: Die Entscheidung, Schulen offen zu lassen, ist politisch gewollt. Das war sie von Anfang an. Nun aber zeigen sich erste Risse zwischen der heiligen Allianz aus Wissenschaft und Politik: Davon zeugen nicht nur die jüngsten Mahnungen von RKI-Chef Lothar Wieler, die Schulen mögen doch wieder die Abstandsregeln einführen (was die Länder partout ablehnen). Und offenbar fällt es manchen Ländern auch schwer, die Entscheidungen der Gesundheitsämter vor Ort zu respektieren. Das zeigt das autoritäre Verhalten der nordrhein-westfälischen Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), die den Schulen in Solingen verboten hat, ins Wechselmodell zu wechseln. Klar erntet man so Kritik– selbst wenn die Entscheidungen richtig sind.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen