Streit um Wehrdienst: Israels Kabinett hat eine Glaubenskrise
Netanjahus Koalition droht an dem Streit über Wehrpflicht zu zerbrechen. Rechtsreligiöse Kräfte wollen den Dienst für Ultraorthodoxe verhindern.
In Israel müssen alle jüdischen jungen Menschen sowie männliche Drusen und Zirkassen, Teil der arabischsprachigen Minderheiten im Land, den Wehrdienst antreten. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die wohl systematischste von ihnen: Junge, ultraorthodoxe Männer, die an einer Yeshiva die Thora studieren, konnten bislang jedes Jahr wieder eine Ausnahmegenehmigung von der Einberufung beantragen. Zieht man das einfach bis zum Erreichen der Altersgrenze für den Wehrdienst – 26 Jahre – durch, hat man sich den Dienst gespart.
Die ultraorthodoxe Gemeinschaft führt als Begründung für diese Ausnahme meist an: Mit dem Studium der Thora und dem Gebet schütze man Israel spirituell. Und das Militär sei in seiner ganzen Ausrichtung nicht vereinbar mit ihrer strengen Auslegung des Judentums: Frauen und Männer dienen zusammen, auch am Schabbat gibt es Dienst, das bereitgestellte Essen ist zwar koscher, aber nicht genug für den noch strengeren orthodoxen Standard.
Lange erlaubte der Staat Israel es seiner ultraorthodoxen Jugend, sich mit den Ausnahmegenehmigungen zu entziehen. Bis zum Juni vergangenen Jahres. Da beschloss das Oberste Gericht Israels: Eine Regierungsentscheidung aus dem vergangenen Sommer, welche das Militär anwies, die ultraorthodoxen Wehrpflichtigen nicht einzuziehen, sei juristisch nicht haltbar. Ab Juni 2024 war die Regierung also angehalten, aktiv daran arbeiten, die jungen Ultraorthodoxen in den Dienst zu bringen – dabei ist ein Teil der Regierung eben ultraorthodox und erklärter Gegner dieser Politik.
Religiöse Oberhäupter schalten sich ein
Es überrascht daher nicht, dass die ultraorthodoxe Fraktion schon zuvor mit ihrem Austritt gedroht hatte. Etwa im Januar, als Aryeh Deri, Kopf der Shas-Partei, forderte: Die Regierung müsse ein Gesetz verabschieden, das die Ausnahme vom Wehrdienst für Ultraorthodoxe rechtsverbindlich regele. Damals setzte er seinen Regierungspartnern eine Frist von zwei Monaten – und trat dann aber doch nicht aus.
Doch nun haben sich bei der Partei UTJ die religiösen Oberhäupter eingeschaltet: Moshe Gafni, Vorsitzender des Degel-Hatorah-Parteiflügels, soll Instruktionen erhalten haben, die Koalition zu verlassen und die Regierung aufzulösen. Und die Meinung der religiösen Oberhäupter hat Gewicht. Die zweite Fraktion der UTJ soll nach einem Bericht der Times of Israel ebenfalls bereits an der Auflösung der Regierung arbeiten. Und die Shas hat sich zwar bislang nicht geäußert, ist aber in der Vergangenheit ähnlich aufgetreten.
Ob die ultraorthodoxen Parteien ihre Forderungen im Falle von Neuwahlen durchsetzen könnten, ist fraglich. Und in Israel steht wohl die Stimmung der Mehrheit gegen sie: Hunderte Soldaten sind seit dem 7. Oktober 2023 – als die Hamas die an den Gazastreifen grenzenden israelischen Gemeinden überfiel und damit den Krieg auslöste – gefallen, viel mehr wurden verwundet. Die Last des Krieges, so empfinden es viele, ist ungleich verteilt. Um die Reserve zu entlasten, soll das Militär außerdem immer mehr auf Wehrdienstler setzen – was den Eindruck der Ungleichheit wohl weiter verstärkt.
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