Streit um Waldnutzung: Windkraft in den Wipfeln
Niedersachsen will Windräder im Wald zulassen – auch Landschaftsschutzgebiete sind davon nicht ausgenommen. Umweltverbände fühlen sich nun betrogen.
Niedersachsen ist zwar weiterhin Windenergiestandort Nummer eins in Deutschland, doch von 2019 bis 2021 sind nur noch 143 Windkraftanlagen neu hinzugekommen. Zum Vergleich: In den drei Jahren zuvor waren es noch 1.016. Der Blick wendet sich daher auch auf bewaldete Flächen – immerhin 25 Prozent von Niedersachsen.
Der Wald aber ist als Standort umstritten, Umweltverbände fürchten dauerhafte Schäden durch Bau und Betrieb von Windkraftanlagen. Gegen die Energiewende will man natürlich trotzdem nicht arbeiten, und so gab es bereits vor zwei Jahren einen „Runden Tisch Windkraft“ mit Landesregierung, Umweltverbänden und Branchenvereinigungen.
Am Ende stand tatsächlich ein Kompromiss: „Vor dem Hintergrund eines erhöhten Flächenbedarfs […] kann der Wald als zusätzliche Potentialfläche betrachtet werden“, heißt es dort. Die Einschränkung folgt sofort: „Allerdings wird die potenzielle Nutzung von Windenergie im Wald mindestens in Schutzgebieten und anderen ökologisch besonders wertvollen, insbesondere auch alten Waldstandorten, ausgeschlossen bleiben.“
Schutzgebiete dürfen genutzt werden
Um diese Einschränkung fühlen sich die Umweltverbände nun betrogen. Niedersachsen legt aktuell ein neues Landesraumordnungsprogramm auf, bis zum Sommer soll es verabschiedet sein.
Axel Eberling, BUND Niedersachsen
Das sieht immerhin eine „Vorranggebietskulisse Wald“ vor, auf der Windkraft ausgeschlossen ist. „Aber die ist so klein geraten, dass jetzt die Hälfte des Waldes als Standort infrage kommt“, sagt Axel Ebeler. „Versprochen worden war uns eine behutsame Nutzung“, so der stellvertretende Landesvorsitzende des BUND.
Probleme mit Windenergie im Wald sieht Ebeler zum einen im Betrieb: Die Windkraftanlagen weisen zwar weit über die Baumwipfel empor, Greifvögel aber gleiten in hohen Höhen und könnten dort in Gefahr durch die Rotorblätter geraten. Große Probleme beginnen aber schon vorher: Für den Transport und das Aufstellen von Kränen müssten Bäume gerodet werden. Durch die Schneise könne die Sonne den Waldboden leichter austrocknen und der Sturm die benachbarten offenen Baumkronen angreifen. „Das führt zu einem Dominoeffekt“, sagt Ebeler.
Selbst einige der im Kompromiss vom runden Tisch noch ausgeschlossenen Schutzflächen könnten mit dem neuen Landesraumordnungsprogramm bebaut werden, kritisieren BUND, Nabu und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW): Landschaftsschutzgebiete, aber auch einige ältere Wälder in Natura-2000-Gebieten, die nicht in das Vorranggebiet Wald fallen.
Nicht alle möglichen Flächen würden auch genützt
Die Landesregierung äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zur Kritik der Umweltverbände. Beim Windkraft-Branchenverband LEE (Landesverband Erneuerbare Energien) aber findet man die Aussagen von Nabu, BUND und SDW irreführend.
Schließlich seien von allen möglichen Schutzflächen nur Landschaftsschutzgebiete im Landesraumordnungsplan nicht ausdrücklich verboten. Und das bedeute nicht, dass ausgerechnet dort als nächstes gebaut werde, sagt Silke Weyberg. „Es geht nur darum, welcher Ort überhaupt in Betracht kommen kann“, so die LEE-Geschäftsführerin. Sie geht davon aus, dass von den potenziell genehmigungsfähigen 50 Prozent etwa drei Prozentpunkte realistisch für Windkraft genutzt werden.
Auch die Folgen für den Wald seien gering. „Es ist ein gewisser Eingriff in die Natur“, sagt LEE-Pressesprecher Lars Günsel. „Aber wir machen hier keinen gesunden Wald kaputt.“ Schließlich seien 40.000 Hektar Wald „ohnehin unglaublich geschädigt“.
Dieter Pasternack stößt dieses Argument sauer auf. „Natürlich hat der Borkenkäfer wegen der falschen Waldbewirtschaftung viele Flächen zerstört“, sagt der Landesvorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Jetzt aber habe man die Chance, die Fehler der Vergangenheit auszuradieren und standortgerechte Bäume zu pflanzen. „Wer sagt, das sind eh keine Bäume mehr, machen wir Windkraft dahin, der macht es sich zu leicht“, so Pasternack.
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