Streit um Nordirlandprotokoll: Regierungschef wirft hin
Im Konflikt um den Brexitvertrag ist der nordirische Premierminister Paul Givan zurückgetreten. Seiner Partei geht die Zollgrenze gegen den Strich.
Dieses Protokoll regelt, dass Nordirland Teil des EU-Binnenmarkts bleibt und sich an die EU-Zollregeln halten muss. Dadurch soll eine physische Grenze in Irland vermieden werden. Stattdessen entsteht eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien, was der DUP ein Dorn im Auge ist.
Givans Parteichef Jeffrey Donaldson hat bereits seit Monaten damit gedroht, die Mehrparteienregierung platzen zu lassen, sollte das Nordirlandprotokoll des Brexitvertrags bestehen bleiben. Ian Paisley Junior, Sohn des gleichnamigen Parteigründers, der 2014 gestorben ist, sagte im Londoner Unterhaus: „Wir sind nicht Monate, Wochen oder Tage, sondern nur einen Moment vom Zusammenbruch der nordirischen Regionalregierung entfernt. Das ist sehr traurig, aber vollkommen vorhersehbar, und es ist in den vergangenen 13 Monaten hier in diesem Haus vorhergesagt worden.“
Die Mehrparteienregierung ist im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, das der Krisenprovinz relativen Frieden beschert hat, vorgeschrieben, um die Vorherrschaft einer Partei zu verhindern. Entscheidungen können nur getroffen werden, wenn sowohl die protestantisch-unionistischen als auch die katholisch-nationalistischen Parteien zustimmen. Die beiden stärksten Parteien auf beiden Seiten stellen den Regierungschef und die gleichberechtigte Stellvertreterin – in diesem Fall Paul Givan und Michelle O’Neill von Sinn Féin, dem ehemaligen politischen Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA).
Nun, da Givan zurückgetreten ist, verliert automatisch auch O’Neill ihren Job. Die anderen Minister könnten im Amt bleiben, dürften aber keine wichtigen Entscheidungen treffen, wie über den Haushaltsplan der nächsten drei Jahre.
Kontrollen von Importen ausgesetzt
Der seit Langem schwelende Konflikt um das Nordirlandprotokoll ist am Mittwoch auf die Spitze getrieben worden, als Landwirtschaftsminister Edwin Poots angeordnet hat, die Kontrollen von Lebensmittelimporten aus Großbritannien zu beenden. Poots, ein Kreationist, der glaubt, Gott habe die Erde vor 6.000 Jahren erschaffen, war voriges Jahr selbst DUP-Chef, musste aber zurücktreten, weil die Parteibasis argwöhnte, er habe Zugeständnisse an Sinn Féin gemacht.
Poots berief sich bei seiner Anordnung, die Kontrollen auszusetzen, auf ein Rechtsgutachten, verriet aber nicht, wer dieses Gutachten erstellt hat. Er sagte, dass die Kontrollen der Zustimmung der Regionalregierung bedurft hätten. Die habe es aber nie gegeben. Deshalb könne er die Aussetzung der Kontrollen anordnen.
Irlands Außenminister Simon Coveney sagte, das sei ein Verstoß gegen internationale Verträge. Schließlich haben sowohl die britische Regierung als auch die nordirische Regionalregierung dem Nordirlandprotokoll als Teil des Brexitvertrags zugestimmt. Die Regierung in London verkündete in einer Presseerklärung hingegen, dass sie die Kontrollen nichts angingen: Dafür sei die Regionalregierung in Belfast zuständig.
Warten auf die EU
Trotz Poots’ Anordnung wurden am Donnerstag weiterhin Tierprodukte aus Großbritannien in den nordirischen Häfen kontrolliert. Beamte der zuständigen nordirischen und britischen Ministerien erklärten, es werde weiterhin kontrolliert, bis Klarheit herrsche.
Seamus Leheny, ein nordirischer Industriemanager, sagte, man hoffe seit einem Jahr auf Klarheit: „Aber die haben wir bisher nicht bekommen. Das steigert die Besorgnis und die Frustration der Unternehmen.“ Er bat die EU, nicht überhastet auf Poots’ Initiative zu reagieren, sondern weiterhin mit der britischen Regierung nach einer Lösung zu suchen. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag