Streit um Lenin-Statue in Schwerin: Eine altvertraute Debatte
Lange schon steht eine Lenin-Statue in Schwerin. Nun sorgt die Debatte um die Ernennung zum Denkmal erneut für unverständlichen Zündstoff.
4 0 Jahre schon steht im Schweriner Stadtteil Neu Zippendorf eine Statue von Wladimir Iljitsch Lenin – 3,50 Meter hoch, schwer aus Bronze und aktuell noch schwerer umstritten. Überlegungen der Stadt, die Statue in die Liste der Denkmäler Schwerins aufzunehmen, entfachten die Debatte erneut.
Für die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) hat ein Verbrecher wie Lenin ohnehin nichts auf den Straßen Schwerins zu suchen. Jüngst veröffentlichte sie einen offenen Brief, um die Ernennung zum Denkmal zu kritisieren. Doch die Stadt hält an ihm fest. Schließlich sei er Teil der Schweriner Geschichte, sagt Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD).
Verständlich ist, wie Badenschier argumentiert. Seltsam ist nur, dass man dann so wenig über die Statue in Schwerin erfährt. Wer von der Landeshauptstadt wissen möchte, was es mit der Statue des Gründers der Sowjetunion auf sich hat, muss lange suchen. Auf der offiziellen Tourismus-Website versteckt sich die Statue irgendwo weit hinter Schloss und Dom. Ein Audioguide widmet ihr immerhin fünf Minuten – erzählt vom Ort, an dem sie steht, vom estnischen Bildhauer Jaak Soans und vom komplizierten Entstehungsprozess.
Über Lenin selbst erfährt man erstaunlich wenig. Dafür diesen kleinen Funfact: Bei der Errichtung der Statue 1985 warf man dem bronzenen Lenin eine Schlinge um den Hals, um ihn leichter aufzurichten. Ein Fotograf fing den Moment ein, durfte die Bilder allerdings nicht veröffentlichen.
Vielleicht wäre so eine Abbildung der UOKG lieber. In dem offenen Brief sprechen die Mitglieder von einem „Schlag ins Gesicht der Opfer“. Darauf angesprochen, wirkt Oberbürgermeister Rico Badenschier in einem Gespräch mit dem NDR weder überrascht noch motiviert. Er sei aber einfach „kein Freund von Bilderstürmerei“. Seine Genossin, Mecklenburg-Vorpommerns Kultusministerin Bettina Martin, meint dagegen, man müsse die Statue zu einem „Lernort“ machen.
So weit, so vertraut ist die Debatte um Denkmäler: Eine Statue steht, jemand ist beleidigt, jemand verteidigt sie, jemand schlägt den lahmen pädagogischen Mittelweg vor.
Nur will irgendwer ernsthaft noch diese ewigen Denkmal-Debatten hören? An sich werden da ja wichtige Frage angerissen – Erinnerungskultur, Symbolpolitik, kollektive Identität, all das. Nur geht es in jeder konkreten Debatte dann doch direkt immer um alles – Schuld, Ehre, Geschichtsbewusstsein, Haltung. Selten darum, dass Menschen überhaupt erstmal anfangen, sich zu erinnern.
Wenn wir ernsthaft von „Erinnerungsarbeit“ sprechen wollen, dann müsste es sich doch auch wie Arbeit anfühlen: irgendwie unbequem für alle Beteiligten, aber am Ende lohnend. Das heißt aber auch, dass es Ideen braucht. Am besten neue. Am besten welche, die auch ins 21. Jahrhundert passen.
Von Hamburg lernen
Zum Beispiel wie in Hamburg: Dort sorgt die Statue von Otto von Bismarck seit Jahren für ähnliche Schnappatmungen wie bei Lenin in Schwerin. 34 Meter hoch thront dort der ehemalige Reichskanzler über dem Elbpark – mit einem Schwert in beiden Händen und mit bestem Blick auf St. Pauli. 2023, kurz nach millionenschweren Sanierungsarbeiten an der Statue, rief das Museum für Hamburgische Geschichte zu einem Ideenwettbewerb auf.
Künstler:innen sollten neue, unkonventionelle Erscheinungsformen für das Monument entwerfen. Ins Rennen gingen unter anderem ein riesiger Darth-Vader-Helm auf dem Kopf Bismarcks und eine Rollschuhbahn auf seinen Schultern. Am Ende hat zwar niemand gewonnen; die Jury entschied, das Preisgeld auf die Teilnehmenden aufzuteilen, die es in die zweite Runde geschafft hatten.
Und doch: Der Versuch war es wert. Ein Versuch, der zeigt, dass manche Menschen schon begriffen haben, dass Geschichte nicht in Stein gemeißelt ist und dass der Umgang mit der Vergangenheit Arbeit ist.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert