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Streit um Korte und DağdelenLinksfraktion diskutiert die V-Frage

Wer im Herbst auf Gregor Gysi folgt, ist klar. Wen sich die neuen Fraktionschefs als Vize wünschen, sorgt aber für ordentlich Zoff.

Fraktionsvize in spe? Sevim Dağdelen im Regierungsviertel. Foto: imago/Christian Thiel

Berlin taz | Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch geben sich größte Mühe. Seit feststeht, dass die beiden im Herbst an die Spitze der Linksfraktion rücken, veröffentlichen sie ein gemeinsames Papier nach dem anderen. Griechenland, Flüchtlinge, rechte Gewalt – zu all dem formulierten sie im Sommer gemeinsame Gedanken.

Die Botschaft ist klar: Der Reformer und die Parteilinke haben sich zusammengerauft. Die Zeit der großen Flügelstreits ist vorbei.

Jetzt bekommt die Harmonie aber einen ersten Kratzer. Zwischen Wagenknecht und Bartsch ist zwar weiterhin alles im Lot, dafür hat das Duo mit einer möglichen Personalentscheidung eine Reihe von Fraktionsmitgliedern gegen sich aufgebracht.

Die Abgeordneten baten ihre zukünftigen Chefs deshalb um ein Gespräch, der Termin am Dienstag Abend endete nach taz-Informationen aber ohne Ergebnis.

Zoff um die Stellvertreter

Es geht um die Riege der stellvertretenden Fraktionschefs, die im Herbst ebenfalls neu gewählt werden. Von offizieller Seite heißt es, die Kandidaten stünden noch nicht fest. Abgeordnete berichten aber, dass Wagenknecht und Bartsch bereits einen Plan präsentiert hätten: Wie bisher werden die sechs Arbeitskreise der Fraktion je einen Kandidaten vorschlagen. Zusätzlich wollen die beiden Fraktionschefs aber auch zwei eigene Kandidaten nominieren.

Die insgesamt acht Stellvertreter wären formal gleichberechtigt. De facto ist aber klar: Wer von den Chefs persönlich bestellt wird, ist am Ende noch etwas gleicher als seine Kollegen.

Für die beiden Posten haben die Fraktionschefs in spe schon zwei Kandidaten im Auge. Dietmar Bartsch wirbt für den Reformer Jan Korte, Sahra Wagenknecht für die Parteilinke Sevim Dağdelen.

Bekannt für klare Kante

Dağdelen ist in ihrer Fraktion nicht unumstritten. Für gewöhnlich zeigt die Duisburgerin klare Kante, Angriffe auf politische Konkurrenten inklusive – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei.

Dass sie vor zwei Wochen in Eintracht mit SPD und Grünen einen gemeinsamen Aufruf gegen Rassismus initiierte, überraschte. Im Juni 2014, der Bundestag debattierte gerade über die Krimkrise, bezeichnete sie die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt im Plenum noch als Verbrecherin. Dafür handelte sie sich einen öffentlichen Verweis von Gregor Gysi ein.

Drei Monate später kritisierte sie auf einer Friedensdemo eine Reihe von Fraktionskollegen, weil diese für eine UN-Mission in Syrien geworben hatten. Wieder gab ihr der Fraktionschef öffentlich eins auf den Deckel.

Entsprechend hält sich Begeisterung über Wagenknechts Wunschkandidatin gerade unter den Reformern in Grenzen. Kurioserweise könnte Dağdelen trotzdem auf Stimmen aus diesem Lager hoffen: Votieren sie nicht für Dağdelen, verweigern die Parteilinken womöglich Korte die Stimmen. Oberreformer Bartsch würde mit einer Schlappe ins Amt starten.

Trotzdem Widerstand

Deutlicher Widerstand gegen die Personalie formiert sich dafür in einer dritten Gruppe: Unter denjenigen Abgeordneten, die sich keinem der beiden Parteiflügel zuordnen. Rund zwanzig von ihnen trafen sich am Dienstag mit Wagenknecht und Bartsch - unter anderem, um über die Stellvertreter zu sprechen.

Von Dağdelen und Korte würden sie sich nicht repräsentiert fühlen, klagte die Gruppe. Rückten zu viele Vertreter der beiden Parteiflügel in den Vorstand, sei das Gleichgewicht der Fraktion in Gefahr.

Wagenknecht und Bartsch erwiderten nach Teilnehmerangaben, dass sie jeweils einen Abgeordneten ihres Vertrauens als Stellvertreter an ihrer Seite bräuchten. Von ihren Plänen rückten sie demnach nicht ab.

Start mit Makel

Bleibt es dabei, steht eine enge Wahl an. Selbst wenn die beiden Vize-Kandidaten mit den Stimmen der Parteilinken und der Reformer eine knappe Mehrheit erzielen, wären sie ohne die Stimmen der blockfreien Abgeordneten von einem Traumergebnis weit entfernt. Über der neuen Fraktionsspitze läge zumindest ein Makel.

Immerhin: Normalerweise wählt die Fraktion den gesamten Vorstand in einem Zug. Dieses Mal hat sie zwei Termine angesetzt. Wagenknecht und Bartsch werden sich wie geplant Mitte Oktober zur Wahl stellen. Der Termin für die Stellvertreter findet erst im November statt. Der absoluter Fehlstart für das neue Führungsduo ist damit schon mal ausgeschlossen.

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8 Kommentare

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  • @TOBIAS SCHULZE:

    Die Sache ist ganz einfach: Sie behaupten Frau Dagdelen hätte etwas gesagt und können dabei kein direktes Zitat von Frau Dagdelen liefern. Fällt Ihnen da nix auf oder zitieren Sie immer so freihändig? Dass Gysi und Co diesen Unsinn erklärt haben macht es nicht wahr. Und es ist auch keine Beweisführung weil sie in ihrem Artikel nicht behaupten, dass Dritte eine solche Aussage Frau Dagdelen unter-stellen sondern Sie selbst unterstellen es und liefern nicht den Beleg.

     

    PS: Wieso haben Sie nicht gleich das Plenarprotokoll bzw. das direkte Zitat im Artikel eingebaut, so dass wir Leser uns tatsächlich ein Bild über die Aussagen und den Umstand hätten machen können? Vielleicht liegt es daran, dass dann ihre haltlose Behauptung und damit der Versuch der Diskreditierung aufgefallen wären?

    • Tobias Schulze , Autor des Artikels, Parlamentskorrespondent
      @Steffan Christensen:

      Nein, es liegt daran, dass wir schon aus Platzgründen nicht zu jeder Aussage einen mehrzeiligen Protokollauszug stellen können. Und es bleibt dabei: Frau Dagdelen ist an besagtem Tag nicht als Literaturkritikerin im Bundestag aufgetreten, sondern hat ein bestimmtes Zitat in einem bestimmten Kontext als Antwort auf Göring-Eckardt verwendet. Meine Aussage ist damit vom Protokollauszug gedeckt.

  • Dass der Autor sich in den Kommentaren mittlerweile schon zweimal erklärend einschalten musste, zeigt, dass er den Artikel doch mit ein wenig zu heißer Nadel gestrickt hat.

    Die - mittlerweile auch innerhalb der Grünen-Fraktion - merklich angeschlagene Göring-Eckardt muss wohl unbedingt im Amt gehalten werden.

    Und Sevim Dagdelen stellt ja in sofern eine Gefahr für die Grünen dar, weil sie für westdeutsche, urbane und migrantische Wähler interessant ist - gerade in diesen Zeiten, in denen die Grünen einen Rechtsschwenk in der Asylpolitik vollziehen.

    Das Zitat Dagdelens war im übrigen eines der wenigen, die noch Leben in die erstarrte Parlamentsroutine brachten - und es traf den Kern.

  • Als Volljurist würde ich sagen, dass ich überrascht bin über eine so offenkundig provokative und justiziable Aussage hier, mit dem scheinbaren Ziel Frau Dagdelen verleumden zu wollen. Wo ist der Beleg von Herr Schulz wenn er die Tatsachenbehauptung aufstellt „Im Juni 2014, der Bundestag debattiert gerade über Krimkrise, bezeichnet sie die Grünen-Fraktionschefin Kathrin-Göring-Eckardt im Plenum noch als Verbrecherin.“???

    Da ich diesen Satz so nicht glauben konnte, habe ich mal im Netz nachgeschaut. Im Netz ist nachzulesen, dass Frau Dagdelen bei einer Diskussion im Bundestag Bertold Brecht zitiert hat. Seriöse Journalisten haben das auch so wiedergegeben. Wieso die taz eine auch noch juristisch angreifbare, weil unwahre Behauptung hier aufstellt, erschließt sich mir nicht. So macht man es eben jenen die gerne das Wort „Lügenpresse“ verwenden ziemlich leicht.

    • Tobias Schulze , Autor des Artikels, Parlamentskorrespondent
      @Steffan Christensen:

      Ich zitiere aus dem entsprechenden Plenarprotokoll:

       

      „Frau Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Rede gerade erinnerte mich an den großen Dichter und Denker Bertolt Brecht, der einmal treffend formuliert hat: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! Es entsetzt mich, dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass sich mit den geringen Stimmenzahlen für die Kandidaten der Swoboda oder des Rechten Sektors das Problem des Neofaschismus, das Problem des Antisemitismus in der Ukraine erledigt habe.“

       

      Ich habe mir diesen Auszug nun fünf Mal durchgelesen. Warum meine Aussage justiziabel sein soll, verstehe ich aber immer noch nicht. Soweit ich weiß, standen auch Herr Gysi, Herr Riexinger und Frau Kipping bisher nicht wegen Verleumdung vor Gericht - trotz dieser Pressemitteilung: http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/pressemitteilung-gregor-gysi-katja-kipping-bernd-riexinger/

  • Der Artikel scheint nur auf einer einzigene Quelle aufzubauen und ist leider tendenziös. So befanden sich anders als im Artikel nahegelegt unter den etwa 20 Abgeordneten des Treffens mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch auch etliche Unterstützer von Sevim Dagdelen und Jan Korte. Ansonsten hätte eine kurze Recherche im Internet gezeigt, dass die jüngste Rot-Rot-Grüne Initiative von Dagdelen bei weitem nicht die Erste ist, wie der Artikel suggeriert. Siehe nur eins von vielen Beispielen den rot-rot-grünen Aufruf zum NSU-Prozessauftakt: http://www.welt.de/politik/deutschland/article115208955/55-Bundestagsabgeordnete-ruegen-das-Gericht.html

     

    Die Ablehnung von Militäreinsätzen ist zum Glück bei den Linken Programm und kein Privileg von Dagdelen. Es bleibt zu hoffen, dass auch in Zukunft eine klare Kritik an der üblen Position der Grünen Fraktionsvorsitzenden Göring-Eckardt hinsichtlich der Verharmlosung von Faschisten in der Ukraine sich prominent bei der Linksfraktion wiederfinden wird. Im Übrigen hat Dagdelen Göring-Ackardt nie als Verbrecherin tituliert auch wenn diese es so sah. Ein wenig mehr Ferne zu den Grünen täte der taz Berichterstattung in jedem Fall gut. Ich verstehe natürlich, dass Sahre Wagenknecht und Sevim Dagdelen nicht zu den Lieblingsprotagonisten der Redaktion gehören.

     

    PS: Dass die Fraktionsvorstandswahl wegen der Unstimmigkeiten über die Vizevorsitzende verschoben worden wäre, halte ich für ein Gerücht. Diese Reihenfolge hatte Gregor Gysi bereits Anfang 2015 festgelegt.

    • Tobias Schulze , Autor des Artikels, Parlamentskorrespondent
      @derMaterialist:

      Erlauben Sie mir zu Ihrer Kritik einige Bemerkungen:

       

      1. Keine Sorge, wir arbeiten zumindest so professionell, dass wir unsere Geschichten nicht auf einzelne Quellen stützen. Die beteiligten Personen hatten natürlich ebenfalls Gelegenheit, sich zu äußern.

       

      2. Ich zitiere aus dem entsprechenden Plenarprotokoll:

       

      „Frau Kollegin Göring-Eckardt, Ihre Rede gerade erinnerte mich an den

      großen Dichter und Denker Bertolt Brecht, der einmal treffend formuliert

      hat: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher! Es entsetzt mich,

      dass Sie hier die Behauptung aufstellen, dass sich mit den geringen

      Stimmenzahlen für die Kandidaten der Swoboda oder des Rechten Sektors das Problem des Neofaschismus, das Problem des Antisemitismus in der Ukraine erledigt habe.“

       

      Man muss kein Grünen-Mitglied sein, um diese Passage so zu interpretieren, wie ich es getan habe. Selbst einige Mitglieder der

      Linkspartei würden mir da nicht widersprechen (http://www.linksfrak...rnd-riexinger/=)

       

      3. Ob Frau Göring-Eckardt eine Verbrecherin ist, ob in der Ukraine

      neuerdings Faschisten reagieren und ob eine UN-Mission für Syrien dem

      Programm der Linkspartei widerspricht, ist nicht Gegenstand des Artikels. Ich habe die entsprechenden Ereignisse wertungsfrei wiedergegeben. Dass Frau Dagdelen zu klaren Worten neigt und sich damit nicht nur Freunde macht, würde sie wahrscheinlich sogar selbst unterschreiben.

       

      4. Warum die Vorstandswahlen getrennt stattfinden, kann ich tatsächlich nicht zweifelsfrei sagen. Die Stelle wird entsprechend geändert. Ich bitte um Entschuldigung und danke für den Hinweis.

       

      5. Der Kern der Geschichte ist davon nicht betroffen. Sollten Sie das anzweifeln, freue ich mich weiter über Ihre Nachrichten – entweder hier oder per E-Mail.

  • Das Muster "Reformer" gegen "Parteilinke" hat schon bei den Grünen (damals Fundis vs "Realos") wunderbar funktioniert, um die Partei immer weiter nach Rechts zu rücken. Bei den Grünen haben wir gestern durch Palmers Auftritt gelernt, dass die Konversion der Grünen zu einer CDU mit Flaschenpfand erfolgreich war.

    Hoffentlich ist die Linke weniger brav.