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Streit um KlassenfragePara und Props

Es gehe um Geld oder um Anerkennung, heißt es in der Debatte um Klassismus oft. Dabei geht es um beides gleichermaßen.

„Bandarbeit oder lieber Chef sein?“ – Rapper Haftbefehl Foto: BOBO/imago

K lassismus, über diesen Begriff streiten gerade viele in einer ziemlich zeitgeistigen binären Entweder-oder-Logik. Die einen sagen, es gehe um Geld, die anderen sagen, es gehe auch um Anerkennung. Und beide Lager werfen einander vor, ihr Fokus verkenne das Problem.

Dabei geht es um beides. Es geht um Anerkennung durch Geld und Geld durch Anerkennung; und das im Sinne des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, der nicht nur den Kontostand im Blick hatte, sondern auch soziales und kulturelles Kapital, also Kontakte und Wissen, die mit Geld einhergehen und mit denen Geld einhergeht. Natürlich kann man diese Differenzierung nebensächlich finden und sich radikalcool hinstellen und sagen: Only one solution – revolution! Aber dass sich die materielle Ordnung nicht mal kurz umwälzen lässt, wenn man nur fest daran glaubt und sich dabei nicht von kulturellen und psychologischen Aspekten der Klassengesellschaft ablenken lässt, das wissen wir mittlerweile.

Es gibt Anekdoten, die einem Eltern erzählen, und die, bewusst oder nicht, auch eine Funktion haben: Sie sollen dem Nachwuchs klarmachen, woher der Erzählende kommt, somit auch der Zuhörende. Der Nachwuchs soll erfahren, was es kostet, dass er auf eine bessere Zukunft hoffen kann. Ich erinnere mich an zwei Anekdoten: Mein Vater, der in einer Textilfabrik arbeitet, wird von einem Vorgesetzten in dessen Büro gerufen. Dort wird er forsch zurechtgewiesen, dass er, der Arbeiter aus der Türkei, das Büro gefälligst durch die Hinter- und nicht Vordertür betreten solle.

Meine Mutter geht an dem Gymnasium putzen, an dem ich später mein Abitur mache. Immer wieder erzählt sie meinen Brüdern und mir, woran sie denkt, wenn sie Schultoiletten reinigt: Meine Söhne sollen auch mal auf diese Schule gehen.

taz Talk zum Thema

taz-Redakteur Volkan Ağar diskutiert mit Lars Weisbrod, Redakteur der ZEIT, über die Renaissance des Begriffs „Klasse“ – und ob dadurch überhaupt irgendetwas anders wird.

➡ zum taz-Talk

Was Haftbefehl rappt

Natürlich wäre mein Vater nicht in einer Fabrik gestanden, hätte er geerbt, meine Mutter hätte keine Klos geputzt. Aber weil es so war, wie es war, taten meine Eltern, was sie tun mussten. Als sie dabei Erniedrigungen erlebten, motivierte sie nicht nur die Aussicht auf zukünftige finanzielle Sicherheit ihrer Kinder, weiterzumachen, sondern auch die Aussicht auf Anerkennung: Ihre Kinder sollten einmal unabhängig genug sein, um sich wehren zu können, um den Respekt einzufordern, der ihnen aufgrund ihrer Abhängigkeit verwehrt wurde; sie sollten nicht mehr in dreckiger Arbeitskleidung Textilmaschinen bedienen oder putzen, sie sollten Hemden tragen und Texte schreiben.

Natürlich ist Letzteres nicht ehrenwerter als die Lohnarbeit, die sie ausübten. Aber die Gesellschaft behauptet das und meine Eltern bekamen es zu spüren.

Deshalb sind meine Eltern heute stolz auf mich, dabei sind sie eigentlich stolz auf sich. Deshalb rappt Haftbefehl nicht die Internationale, sondern: „Mercedes SLS oder S-Bahn fahren? Bandarbeit oder lieber Chef sein?“ Und deshalb geht es um Geld, aber auch um Anerkennung, um Para und Props.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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2 Kommentare

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  • Lieber Volkan Agar, ich komme ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie. Meine beiden Eltern haben ebenfalls dafür gearbeitet, dass ich nicht in einen Betriebe gehen musste und Abitur machen und zur Uni gehen konnte. Aus meiner eigenen Lebensgeschichte kann ich nur bestätigen und unterstreichen, was du hier aus deiner Lebensgeschichte und der deiner Eltern aufgeschrieben hast. Die Gegenüberstellung von Klassenpolitik und Identitätspolitik ist künstlich und geht an aller Realität vorbei. Wenn ein Arbeiter oder eine Arbeiterin sich dessen bewusst werden, dass sie einer Klasse zugehören, dann bilden sie damit eine Identität aus, nämlich eine Identität als Arbeiter bzw. Arbeiterin. Und dass sie oft darauf hinarbeiten, ihren Kindern eine Tür zu öffnen, die aus dieser Identität hinausführt, hat damit zu tun, dass Arbeitern soziale Anerkennung, die sich u.a. auch in der Entlohnung ausdrückt, oft verwehrt wird.

  • All die selbsternannten materialistischen Linken, die den kulturellen Aspekt von Klassenkämpfen nicht anerkennen wollen, sind ja auch geschichtsvergessen: Die Arbeiter*innenbewegung war so erfolgreich, weil sie kulturelle, emotionale und materialistische Bedürfnisse gleichermaßen zu befriedigen versuchte.