Streit um Hightech-Schwimmanzüge: Mit Polyurethan aufs Siegertreppchen

Ab 2010 sollen die umstrittenen Ganzkörperanzüge aus Polyurethan bei Schwimmwettkämpfen verboten werden. Nicht alle Schwimmer sind davon begeistert.

Noch ist unklar, wie es künftig mit den Schwimmhäuten aus Polyurethan weitergehen wird. Bild: dpa

ROM taz | Welch Theater um die Schwimmanzüge. Italiens neues Idol Federica Pellegrini schwamm im Mizuno-Produkt ihren Vorlauf über 200m Freistil, die neuen Weltrekorde in Halbfinale und Finale aber in Jaked – dies allerdings mit abgeklebtem Sponsorenlogo. “Mizuno ist mein persönlicher Sponsor. Ich wollte zeigen, dass ich fest zu ihm stehe. Wir entwickeln für das nächste Jahr gemeinsam einen neuen Anzug. Mit Jaked schwimme ich momentan aber schneller”, erklärte die blonde Athletin.

Die Doppelweltmeisterin und Doppelweltrekordlerin über 200 und 400m Freistil hat eine Klausel im Vertrag, die ihr den Kleiderwechsel erlaubt. Gegenwärtig streiten sich Mizuno und Jaked über die Rechte an den Fotos des weiblichen Gegenstücks von Paul Biedermann; auch der Hallenser triumphierte über 200 und 400m Freistil – in Arena übrigens.

Biedermann schloss sich in Rom einer Initiative des unterlegenen Michael Phelps an. Der Rekordweltrekordler – 34 Stück und damit eines mehr als Mark Spitz – regte an, alle seit Einführung des Speedo LZR geschwommenen Weltrekorde als “künstlich unterstützt” zu annullieren.

Phelps würde elf eigene Bestmarken verlieren. Der Amerikaner erschwamm sein erstes Einzelgold in Rom im Retrotrend: Über 220m Schmetterling gewann er mit freiem Oberkörper in Weltrekordzeit. Sein präferierter Anzug war kaputt gegangen, das Ersatzmodell hatte er kaum getragen. Also griff er zur Ausgabe von 2008 zurück.

Während Phelps eindeutig für eine Rückkehr zur Vergangenheit votiert – und damit zumindest anhand der bisherigen Verlautbarungen auf große Zustimmung im Athletenlager stößt – wird er links wie rechts von Kollegen überholt.

Zwei Schwimmer aus Nicaragua stellten sich in den 100m-Freistil-Vorläufen als große Experimentatoren heraus. Sie trugen gleich zwei Anzüge übereinander und hofften darauf, die Auftriebseffekte zu verstärken. Sie wurden disqualifiziert.

Ihr Versuch aber ist verständlich. Denn entgegen der Ankündigung der FINA, für jeden Athleten den gewünschten Anzug bereitzustellen, reichen die Kapazitäten der Hersteller nicht aus. “Ich hätte gern Jaked getragen. Aber für uns war nichts mehr da”, klagte Filip Velkovski.

Der mazedonische Rekordhalter über 50m Brust würde gern zum textilen Zeitalter zurückkehren. “Das war gerechter”, sagt er.

“Gerechtigkeit – wo gibt es denn das?”, fragt hingegen Markus Rogan. Österreichs Rücken-Star kritisiert den populären Retro-Trend. “Warum sollten wir technischen Fortschritt verbieten? Das macht man bei der Formel 1 doch auch nicht. Die Sponsoren sind daran interessiert, neue Produkte auf den Markt zu bringen. Und wir Schwimmer profitieren von den Verträgen mit den Sponsoren. Ziehen die sich zurück, wird der Schwimmsport wieder zweitklassig”, meint der Mann, der gegenwärtig neben dem Sport in einer Wiener Bank eine Ausbildung zum Private Banker macht. Das disponible Vermögen seiner Kunden sollte mindestens 300.000 Euro betragen.

Markus Rogan ist nicht mehr einer der Schnellsten im Becken (keine Finalteilnahme bisher in Rom), aber wohl einer der Schlauesten im Metier.

Der Weltschwimmverband FINA ist derzeit zerrissen. Die Funktionär wollen populär sein und damit die Rückkehr zum Textil befördern, andererseits aber auch nicht dier Sponsoreneinnahmen verlieren. Daher wird die für den 1. Januar 2010 beschlossene Abkehr von den Polyurethan-Häuten wieder relativiert.

Weder gibt es eine exakte Definition, was “textil” in der Folgezeit überhaupt bedeuten soll. Verbandspräsident Julio Mangione, aus Uruguay, druckste auf der Pressekonferenz in Rom herum und verwies auf “unsere Wissenschaftler, die dies exakt beschreiben müssen”.

Unklar ist auch der Zeitpunkt, ab dem die Regelung gelten soll. Auf Druck der Hersteller, die angeblich neue Modelle nicht rechtzeitig fertigen können, werden derzeit der 1. April und sogar der 1. September diskutiert.

Der Onlinedienst swimnews.com zitiert eine Quelle aus der Chefetage der FINA mit der Vermutung, dass die Hersteller die Zeit brauchen, um ihre Hightech-Lagerbestände noch zu verscherbeln. Über Textilbestände sollen sie laut dieser anonym bleibenden Quelle aber bereits verfügen.

Schwimmen ist ein Technologie-Sport geworden. Ein Schritt zurück ist nur möglich, wenn die aktuelle Elite auf Geld verzichten will und nur noch bei textilen Events antritt. Dann müssen auch die Funktionäre einlenken. Doch wann hat ein Proletariat schon einmal seine Interessen gegenüber der Managerklasse durchgesetzt?

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