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Streit um GanztagsbetreuungSchleswig-Holstein muss noch Hausaufgaben machen

Schleswig-Holsteins Konzept für die Ganztagsbetreuung für Erst­kläss­le­r:in­nen stößt auf Kritik: zu wenig Fachkräfte, zu viel Flickenteppich.

Umstritten ist, wer es macht: Nachmittags sollen in Schleswig-Holstein auch ehrenamtliche Nicht-Fachkräfte Kinder betreuen Foto: Soeren Stache/dpa

Ab dem Schuljahr 2026 haben alle Erst­kläss­le­r:in­nen bundesweit einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Dazu braucht es Räume, Personal und Ideen, was die Kinder in den Nachmittagsstunden machen können. Schleswig-Holsteins Landesregierung hat dazu ein Rahmenkonzept aufgelegt, das Bildungsministerium sieht sich auf einem guten Weg. Immerhin bei den Finanzen gab es eine Einigung zwischen Land und Kommunen. Doch die Opposition und zahlreiche Vereine und Verbände bleiben kritisch.

„Das Land vertut eine Chance“, sagt Kerstin Quellmann, Co-Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Bei den Ganztagskonzepten werde „alles der Finanzierung untergeordnet“. Am Ende könnte ein „Flickenteppich“ stehen, weil jede Schule, je nach Finanzausstattung der zuständigen Gemeinden, ein anderes Modell fährt.

Denn das Land erlaubt für den Anfang auch Betreuung ganz ohne Fachkräfte. Bei diesem „Modell 1“ könnten zum Beispiel Ehrenamtliche den Kindern bei den Hausaufgaben helfen und „Zeiträume für freies Spiel schaffen“, so heißt es in einem Papier. Quellmann ist das zu wenig: „Es geht nicht nur darum, den Kindern beim Spielen zuzugucken, sondern um Bildung, und die braucht höchste Qualität.“

Ganztagsbetreuung als Gemeinschaftsaufgabe

Besorgt ist auch Michael Saitner, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Schleswig-Holstein: „Wir sehen, dass uns die Zeit wegläuft und Hausaufgaben liegen bleiben.“ Der Verband stehe auf der Seite der Kommunen, die nicht wüssten, wie sie mit Personalmangel und Kosten umgehen sollten. Zum Beispiel in Kiel, wo die für Bildung zuständige Bürgermeisterin Renate Treutel warnte, der Ganztag stehe „vor dem Kollaps“.

Ganztagsbetreuung ist eine Gemeinschaftsaufgabe: Neben dem Land sind die Kommunen als Schulträger beteiligt, Schulleitungen und Lehrkräfte, aber auch Fachkräfte für Erziehung, Sozialarbeit, Jugendhilfe, freischaffende Honorarkräfte und Ehrenamtliche. Eine verbindliche Einbeziehung aller Beteiligten fordern mehrere Vereine in einem offenen Brief an die Bildungsministerin Dorit Stenke (CDU). Sie hat das Amt erst im Mai von Karin Prien (CDU) übernommen – der Wechsel an der Spitze des Ministeriums hat den Protest zum Ganztagskonzept neu befeuert. „In nicht ­öffentlichen Treffen weisen wir ständig darauf hin“, betont Saitner. „Aber wir erleben leider nicht, dass unsere Einwände Gehör finden.“

Staatssekretär Tobias von der Heide (CDU) hält die Kritik für übertrieben und ein bisschen unfair. Denn Schleswig-Holstein sei „unheimlich weit“ bei der Umsetzung der Ganztagsbetreuung, sagte er der taz. Dagegen sprechen allerdings die Zahlen des „Fachkräfte-Radars 2022“, einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach liegt in Schleswig-Holstein die Teilhabequote an Ganztagsangeboten deutlich unter dem Bundesschnitt, das Land muss Plätze ausbauen. Niedersachsen und Bremen liegen zwar über dem Schnitt, brauchen aber noch Fachkräfte. Hamburg dagegen stellt bereits jedem Kind einen Betreuungsplatz.

Konzept bei CDU-Veranstaltung vorgestellt

Aber Schleswig-Holstein tue zurzeit viel, betont von der Heide, das gelte auch für die Finanzierung, bei der sich das Land „sehr stark engagiere“. Nach langen Debatten einigten sich Kommunen und Land in dieser Woche darauf, dass die Regierung 85 Prozent für den Ausbau von Angeboten inklusive Personalbedarf übernimmt. Damit sei Schleswig-Holstein das erste Bundesland, das eine solche Vereinbarung treffe, so Finanzministerin Silke Schneider (Grüne). Das Land hofft, dass der Bund einen Teil übernimmt. Die Kommunen zeigten sich erleichtert.

Auch mit den weiteren Gruppen und Vereinen sei das Land im Kontakt, sagt von der Heide. Die inhaltliche Kritik lässt er nicht gelten: Das Rahmenkonzept sei eindeutig „vom Kind aus gedacht“.

Dieses Konzept hatte allerdings einen schlechten Start, weil das Bildungsministerium es zuerst bei einer CDU-Veranstaltung vorstellte. Das brachte vor allem die Landtagsopposition auf die Palme: „Schulen, Städte und Gemeinden warten seit Monaten auf das Konzept, aber bekannt wurde es bei einer Abschiedsparty für Frau Prien“, ärgerte sich Martin Habersaat (SPD).

Zwischen den Ministerien knirscht es

Inzwischen ist das Konzept öffentlich. Es geht um Themen wie „Chancengerechtigkeit“ und „Leistungsförderung“, aber auch um die Zusammenarbeit aller Akteur:innen.

Besonders wichtig ist die Frage, wie sich Personal gewinnen lässt. Eine Idee bringt der Paritätische Wohlfahrtsverband ins Spiel: Sogenannte „sozial erfahrene Personen“, die zurzeit am Vormittag die Schulbegleitung von Kindern mit Förderbedarf übernehmen, könnten für den Nachmittag weiterqualifiziert werden. Bis zu den Sommerferien sollten alle Fakten und Ideen auf dem Tisch liegen, verspricht von der Heide. Damit sei noch ausreichend Zeit, mit den Beteiligten über offene Fragen zu sprechen.

Das bezieht auch das Sozialministerium mit ein, das von der Grünen Aminata Touré geführt wird. Zwischen beiden Ministerien knirsche es manchmal, heißt es von verschiedenen Seiten. Staatssekretär von der Heide kann das nicht ganz abstreiten. Aber er verspricht: „Wir verbessern das noch mal.“

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